Helden am Telefon
»Hallo? Sind Sie Herr Wrobel?«
»Wer ist denn da –?« »Das ist janz nebensächlich. Sind Sie Herr Wrobel?«
»Sie müssen schon so freundlich sein, sich vorzustellen!«
»Ich will Ihnen mal was sagen: Sie sind ein französischer Lump – Sie nehmen Franken – Sie verraten die Heimat – Sie verdammter Bolschewik – wer weiß, wo Sie überhaupt herstammen – Sie Drückeberger – Sie sollen ja in Frankreich eine Villa haben – von Ihrem ergaunerten Geld –«
Bumms – weg.
Das Leben ist ernst, und der Freuden sind so wenig. Aber dies ist wohl eine: in Ruhe, bei einer Tasse Kaffee und einer Zigarre zu hören, wie sich die Leute aufregen und abhaspeln und ihr schlechtes Deutsch herunterschnurren und sich versprechen und schimpfen, schimpfen, schimpfen …
Ich weiß ganz genau, wie man solche Helden feststellt. Ich bin viel zu bequem dazu. Das ist doch nett: auch einmal in diese Welt einen Einblick zu tun. Also so sieht die aus:
Der nationale Teutsch-Held steht in der Kneipe tief aufatmend auf und sagt: »So« – und sieht sich vorher um, ob es auch alle wissen, was er nun ausfrißt. Und er schreitet ans Telefon. Und legt los. Geduckt hinter einer Anonymität, die leicht zu lüften wäre (was er nicht weiß) – und geschwellt von einem ›vaterländischen‹ Gefühl, das guten Durst macht. Ich lächle, rauche und höre mir das an. Und dann hängt er ab und wallt zum Stammtisch zurück, überall beglückwünscht zu seiner großen Tat. Welch ein Kerl –!
»Dem hab icks jejehm!« – Und die Stammtischler bestellen eine Extrarunde und leeren sie in tiefen Zügen auf das Wohl ihres Armins, des Cheruskers …
Und das ist ganz und gar deutsch-national:
Überfälle auf Waffenlose (hat man schon je gehört, dass sie sich offen, in sauberm Kampfe, an Leute herantrauten, die ihnen gewachsen sind?) – Schüsse aus dem Dunkel – Schläge von hinten – Weglaufen – Leugnen – Verstecken – telefonische Schimpfkanonaden, die nicht einmal witzig sind – abhängen – weg.
Mannhafte Untertanen eines mannhaften Deserteurs.
Ignaz Wrobel
Berliner Volkszeitung, 21.08.1922.