Unsere Zeitgenossen, die Raffkes
Ganz Europa lacht über seine neuen Reichen. Wer das Rennen macht, ist noch nicht heraus, denn sie liegen alle in gerader Linie vorn: der »Gulaschkönig« (Dänemark) und der »Haifisch« (Italien) und »Raffke« (Deutschland). Und drumherum sitzt ein Riesenauditorium und ruft: »Schieber –!« – Warum eigentlich?
Reichtum reizt. Darum haben die Vertreter der guten alten Familien in der Öffentlichkeit immer jene leise Zurückhaltung geübt, die beinahe dafür um Entschuldigung zu bitten schien, dass einer so viel Geld haben könnte – und wer nicht grade zu neidisch veranlagt war, kam dann rasch über die Tatsache hinweg, dass der andere so sehr viel reicher war. Nicht so Raffke. Seit er die Weltjahrmarktspreise erreicht hat, ist er obenauf und »macht« die Sache. Er schlägt seine Schlachten am Telefon, in den Likörstuben, an tintenbefleckten Bürotischen – und siegt immer um eines Mundes Länge. Denn ein Gott gab ihm zu sagen, was er leidet … Hemmungen hat er nicht. Die Zitrone bis aufs letzte auspressen: das ist die Kunst. Raffke preßt. Und wenn er nach Hause kommt, tätschelt er Muttern zärtlich auf den Specknacken und sagt in unnachahmlich fettem Ton: »Na, Olle … !« Dieses »Na, Olle … « heißt: Wir haben ihn. Während das geschäftliche Wirken der Raffkes in kleinen Kreisen, ängstlich behütet vor der Öffentlichkeit, vor sich geht, spielt sich ein Teil ihres Privatlebens vor unser aller Augen ab, und da geht der Spaß los. Wenn Raffke dies hier liest, wird er sicherlich seine Zigarre (mit zwei Ringen) abklopfen und murmeln: »Nur kein Neid! Wer hat, der hat –!« Aber er vergißt, wie immer, dass man denn doch nicht alles für Geld kaufen kann. Die hinten Heruntergerutschten, die hinter Raffke her rufen: »Ach – der weiß ja nicht einmal, wer Goethe ist –!« – die haben nicht recht. Recht haben sie nur, wenn sie die Unbedenklichkeit verlachen, mit der die ganze Familie glaubt, für einen Scheck sei alles auf der Welt zu haben. »Kellner, einmal Bildung –!« Denn das hat Raffke bald heraus: so, wie bisher, gehts nicht weiter. Und so, wie er nun nicht mehr bei seinem alten Schneider fertig »von der Stange« kauft, so eignet er sich mit dem neuen Anzug (Gürtel hinten, aufgesetzte Taschen vorne) die feinere »Benehme« an. Und dann wird er unwiderstehlich komisch. Wer jemals Raffkes mit den immer noch etwas blutärmlichen Kindern in eine Loge rauschen sah, wer gesehen hat, wie sie durch ein Museum schieben, wie sie einen Aussichtsturm bewundern, vor dem Kolosseum lärmen und immer, überallhin den Ladentisch mit herumtragen: der weiß, was die Uhr geschlagen hat. Und will er ein übriges tun, dann möge er ein bißchen zuhören, was sich Raffkes zu erzählen haben. »Ja«, sagt Frau Raffke und ordnet sich weit, weit vorn auf ihrem Busen die roten Rosen, »da liegt ja nun gewissermaßen die Sittlichkeit mit der Moral im Streite –!« – Und inzwischen sieht Vater Raffke nach dem aluminiumbeschlagenen Auto, an dessen Haube der Chauffeur gerade herumbastelt … »Haste die neuen Zündkerzen drauf, Franz?« Da kann man nun Raffken nichts vormachen. Schlossern hat er gelernt. Und diese ehrliche Beziehung zum Handwerk ist wieder ein netter Zug und versöhnt mit vielem. Es geht furchtbar schnell. Vorgestern noch saure Gurken für die Kundschaft eingelegt, gestern die großen Vermittlungsgeschäfte im Kriege – heute zwei Fabriken und eine etwas merkwürdige Auslandstransaktion … sie können schon kaum mehr zurückdenken, wie das damals war. Aber eines ist geblieben, durch alle die Jahre hindurch: die Kellerperspektive, die Angewohnheit, die Dinge noch so anzusehen wie damals, aus dem kleinen Lädchen heraus. Das geht nicht so schnell weg. Daher auch die Neigung, alles nach dem Gewicht zu beurteilen: Hummern, Kunst, Schmuck und Bücher. (Unter Umständen auch Frauen.) Je mehr, desto besser. »Wat? Drei Gramm Chinin soll das Kind haben? Jehm Se 'n Pfund! Viel hilft viel!« Raffke hats und zahlt alles. Und morgen? Es wird sich erst erweisen, ob die vielen, die in diesen wilden Jahren verdient haben, nun auch wirklich Kaufleute sind und bleiben, und es ist ja ganz sicher, dass die Sippe der Raffkes in stetem Wechsel begriffen ist: mal liegt er oben, mal liegt er unten. Es sind nicht immer dieselben, die wir die dicken Ananasscheiben geräuschvoll lutschen sehen … Der gute alte Herr »Protz« aus den Fliegenden Blättern ist tot. Raffke ist zäher, bösartiger, fixer und viel lebenstüchtiger als jener arme Rentner. Sein Vergnügen sieht aus wie seine Arbeit: hart, laut, rücksichtslos und immer vorneweg. Und er hat noch eine Süßigkeit des Daseins, die ihn mit schwerer Freude erfüllt: das ist von Westerland bis Rapallo der Neid und der Arger der andern, die »sichs nicht leisten können«. Und mit der ganzen Gewitztheit, die ihn auszeichnet, weiß der dicke Mann mit dem blitzenden Brillantring, wenn er durch ihr Spalier vom Auto ins Hotel geht: Sie möchten ja auch alle so gern! Es sind lauter verhinderte Raffkes.
anonym
Berliner Illustrirte Zeitung, 25.06.1922, Nr. 31, S. 26.