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Heil, Kaiser, Dir –!

Wo bist du Deutschland? Oh, in deinen Tannen der dunkle und geheime Flüsterwind,
in dem du deine Seele auszuspannen gewohnt, und der so freundlich und so lind,
er rauscht nicht mehr; die Geister all entrannen vor einem Nordwind, eisig und geschwind.
Du Büffelherde, trotzig-ungelenke, die durch die Wälder raset mit Gestank,
folgst heute einem einz'gen Stier zur Tränke. Und dieser eine Stier ist geisteskrank.

Oskar Panizza, 1899

In vier Tagen hat der Mann Geburtstag, bei dem sich Deutschland für seine jetzige Lage bedanken kann. Der Tag wird stiller vorübergehen, als es den Monarchisten lieb ist: wir alle werden arbeiten wie jeden andern Tag auch, das Leben wild seinen Gang gehen, und außer verärgerten und aus Amt und Würden gejagten Pöstchenjägern, die ihre eingemotteten Uniformen noch einmal, tief gerührt, aus Mutterns Kleiderschrank hervorholen, um auf den zu prosten, der ihnen ermöglichte, die eigenen Landsleute wie die Kongoneger zu behandeln – außer dieser Sippschaft, die sich fest und treu wie die Wacht am Rhein am 27. Januar in ihren Patriotismus einzusaufen pflegte, wird wohl kein verständiger Mensch von diesem Tage Notiz nehmen. Keiner –?

Wer hätte sich nicht schon über die Post geärgert! Über ihren Bummelbetrieb, über ihre Verständnislosigkeit für die Bedürfnisse des modernen Verkehrs, über ihre Paragraphenstieseligkeit und über ihre Tarife, die in so gar keinem Verhältnis zu ihren Leistungen stehen. Was macht man dort eigentlich den ganzen Tag – was machen insbesondere die höheren Beamten, denen die Organisation ihres Ressorts obliegt?

Auf dem berliner Paketpostamt zum Beispiel machen sie folgendes: Seit dem 9. Januar werden dort Unterschriften für eine Ergebenheitsadresse an das landfremde Element in Doorn gesammelt – und die sieht so aus:

»Sr. Majestät Kaiser Wilhelm II. Wieder gehen die Gedanken, Gebete und Wünsche von Millionen deutscher Männer und Frauen am heutigen Tage nach Haus Doorn und grüßen Eure Majestät in tiefster Ehrfurcht. Leidvolleres Antlitz noch als in den letzten Jahren zuvor trägt diesmal der 27. Januar. Euerer Majestät Gemahlin, Deutschlands edelste Frau, der unvergeßlichen Königin auf Preußens Thron gleich an herzbezwingender, innerer Größe und an Tragik des äußeren Geschickes, ist unter den dunkeln Wolken, die auf Deutschland ruhen, heimgegangen, aus schweren Stürmen zum Frieden gekommen. Der hohen Frau bitterster Schmerz war es, Euere Majestät leidvoll in tiefer Einsamkeit zurückbleibend zu wissen. Aber wie sich dem deutschen Volke das Erlebnis der Heimfahrt und Beisetzung seiner toten Kaiserin unauslöschlich in die Seele gebrannt hat, so wird die Kunde davon Euerer Majestät ein starker, wenn auch tief schmerzlicher Trost in bitterstem Leide gewesen sein. Daß Deutschlands Liebe zu seinem Herrscherhause in weiten Kreisen wohl tief verschüttet, aber nun und nimmer erstorben ist, des sind die Wallfahrten zum stillen Antiken-Tempel in Potsdam Zeuge. Und der Tag wird kommen, da Preußen-Deutschland die Quellen seiner Kraft bewußt als solche wiedererkennt, neu erwirbt und an ihnen gesundet. Das Kommen dieses Tages erhoffen und ersehnen wir nicht als Erfolg äußeren und darum verwerflichen Zwanges und Druckes, sondern als Frucht des Wiedererstarkens bester Kräfte des deutschen Volkes, das jetzt durch erschütternd schweren Läuterungsprozeß gehen muß. Wir wissen, dass der Segen der heimgegangenen Kaiserin mit unserem zertretenen Volke ist wie einst der Segen der Königin Luise, und wir sind der frohen Hoffnung, dass dieser Segen lauterer, tiefster Liebe unserem Volke starke Hilfe ist und sein wird. Daß diese Hoffnung auch Euerer Majestät Halt und Freude sei und bleibe, ist Wunsch und Gebet aller Unterzeichner. Möge Gott der Herr Euere Majestät im neuen Lebensjahr Tag um Tag rüsten mit Kraft aus der Höhe zu einem innerlich sieghaften Leben und möge Euerer Majestät die Freude und Genugtuung geschenkt werden, dass endlich die große Lüge von der deutschen Urheberschaft am Weltkriege der Wahrheit über die wirklichen Träger dieser ungeheuren Schuld weichen muß.

In tiefster Ehrfurcht verharren … « Und dann verharren sie: Laufende Nummer, Name, Dienstgrad.

Das geschieht in den Dienststunden. Dafür bezahlt die Republik ihre Beamten, damit sie einen tränenduseligen und verlogenen Wisch unterschreiben, der – wir wollen uns doch nichts vormachen – gegen die Republik gerichtet ist, ihre Staatsform als ›schweren Läuterungsprozeß‹ bezeichnet und die Wiederkehr des Monarchismus herbeiwünscht. Die aalglatte Geschicklichkeit der höheren Beamten, die, wie auch in der vorigen ›W. a. M.‹ mitgeteilt, zwar fast überall unter Mißbrauch ihrer Dienstgewalt reaktionäre Politik betreiben, aber niemals so mutig sind, das auch einzugestehen, wird sich natürlich herausschwatzen: die Bogen (die übrigens von einem kleinen Monarchistenblättchen ausgehen) sind sicherlich ›nicht offiziell‹ herumgereicht worden … Aber man denke sich, was wohl auf einer Behörde geschähe, wenn da Propagandablätter einer syndikalistischen Gewerkschaft zirkulierten – schwiegen die höheren Beamten dann auch? Man denke sich, wie das alte Regime mit denen abgefahren ist, die auch nur außerdienstlich die gemäßigte Politik der Sozialdemokratie mitgemacht haben. Man vergegenwärtige sich weiter, dass diese Wische da natürlich nicht nur durch die Diensträume des berliner Paketpostamtes wandern – sondern dass sicherlich auch andere Postämter die Dienstzeit ihrer Beamten mit diesem Unfug in Anspruch nehmen lassen. Wovon träumt Herr Giesberts? Schläft die Republik?

Die Republik schnarcht.

Die höheren Postbeamten, die den Krieg zum Teil in sehr gesicherten Stellungen und mit guten Bezügen mitgemacht haben, können wohl die große Zeit nicht vergessen. Aber wissen denn die mittleren und unteren Beamten nichts mehr von den Blutjahren? Wissen sie nicht, wer da in den großen Kalkgruben Nordfrankreichs liegt –? Es sind ihre Kollegen, ihre Kameraden, die da verfaulen und die heute eine smarte Firma zur Überführung nach Deutschland mit großen Autolastwagen abkarren will. Sie haben einmal in den herrlichen Gräbern, denen jener sie entgegengeführt hatte, geblutet – ER aber kutschierte nach Holland.

Die Zeiten der Kaisergeburtstagsreden sind vorüber. Die Zeiten, da die Oberlehrer in den Schulen der gelangweilten und nur sich auf den freien Tag freuenden Jugend Reden über den Bau des menschlichen Auges hielten und dann, in grandioser Schleife, zum Thema des Tages kamen: »Keiner aber, meine lieben Schüler, hat so schöne Augen wie unser allergnädigster Landesherr … !« Vorbei.

Und wenn alle deutschnationalen Geschichtsumschreiber, die Schafe und die Schäfer, die beteiligten Militärs, die nicht einmal ihr Handwerk verstanden, die Diplomaten und das gesamte Reichsarchiv (das auf Kosten der Republik die Dolchstoßlegende ins Volk lügt) – wenn alle diese aufständen und für ihren Kaiser zeugten: Er ist nun einmal desertiert. Das wäscht kein Universitätsprofessor von seinem feldgrauen Rock ab, den er heute noch, behängt mit dem ganzen, sich selbst verliehenen Klempnerladen, zu tragen beliebt. Der Tod seiner Frau ist eine Privatangelegenheit – die sentimentalen Walzen der nationalen Leierkästen und Kinos, die diese Privataffäre in die Öffentlichkeit gezerrt haben, ziehen bei den Einsichtigen längst nicht mehr. Ein Mann, der erklärt hat, sich für seine Taten niemals einem irdischen Gericht zu stellen, ein Mann, der den langmütigen lieben Gott einem kräftig zupackenden Staatsgerichtshof vorzieht, ist erledigt. Er, den der bessere Teil des deutschen Adels nur noch anstandshalber deckt, von dem eine breite Schicht auch des nationalen Bürgertums in tiefer Verachtung am liebsten gar nicht spricht, dessen Parvenütum auf alle bessern Menschen abstoßend gewirkt hat – zu dem gehen keine »Gedanken, Gebete und Wünsche von Millionen deutscher Männer und Frauen«. Und man braucht noch lange kein Umstürzler zu sein, um achselzuckend an diesem Manne vorbeizugehen, der jetzt »Imperator Rex« zeichnet, (was eine Urkundenfälschung ist) – und der seit dem September vorigen Jahres Bilder von sich in die Welt hinausschickt und verhökern läßt, die die faksimilierte Unterschrift tragen: »Deutschlands Schuld am Kriege ist eine freche Lüge«. Der Schüler des Herrn Hinzpeter hätte seine Muttersprache besser erlernen sollen: nicht eine Schuld, höchstens die Behauptung einer Schuld kann eine Lüge sein. Aber sie ist keine. Daß die kaiserliche Firma nicht allein schuldig war, ist sicher richtig. Aber wer hat den Konkurs angemeldet? Herr Ebert? Wer hat den Krieg geführt? Herr Scheidemann? Nein, es waren Männer, die viereinhalb Blutjahre lang das Wort ›Verantwortung‹ im Munde führten, die jeden Einspruch besser Wissender mit Berufung auf diese ›Verantwortung‹ ablehnten, und die dann, als es schief ging, kniffen: der Chef nach Amerongen, Lindström-Ludendorff nach Schweden, und alle die andern in ihre Memoiren. Wer trägt die Verantwortung?

Die Verantwortung tragen die in den Kalkgruben. Sie liegen und modern mit schwarzen Augenhöhlen – die Führer habens ganz gut überstanden. Der alte Unheilstifter Plessen, des Kaisers Generalintrigant, lebt, geht in den Weinstuben Potsdams umher und fragt den Kellner tuschelnd, ob er nicht ›was Guts‹ für ihn habe. Die einen tragen die Verantwortung – die andern ein von der Republik anständig dotiertes Zivil.

Und wir wollen nicht, dass Preußen-Deutschland die alten Quellen seiner Schein-Kraft wieder erkennt, – und wir wollen nicht die alten Wege noch einmal gehen. Denn sie waren der Anfang zum Ende. Zu diesem Ende.

Ich höre: man solle dem toten Löwen keinen Fußtritt versetzen. Aber erstens handelt es sich nicht um einen Löwen, sondern um Wilhelm den Zweiten, und zweitens ist das da nicht tot. Ist nicht ein hamburger Senator, der den Mann wirklich verehrt hatte, tief enttäuscht aus Doorn zurückgekehrt, weil der Hof hielt wie ehedem und gar nichts von den Ungeheuern Problemen wußte, die inzwischen die Welt erschüttert hatten?

Die Post gratuliert. Statt Marken zu kleben, befassen sich die von ihren Beamten, die nicht alle werden, mit Garnierung eines Geburtstagsblumentopfs, den jener nicht hat gewinnen können.

Draußen aber, weit fort von der Heimat, weitab von ihren hart arbeitenden Witwen mit den kleinen Kindern, liegen die andern. Immer hübsch der Reihe nach: Laufende Nummer, Name, Dienstgrad.

Und rufen, aus tiefer Erde heraus: »Wir gratulieren –!«

Ignaz Wrobel
Welt am Montag, 23.01.1922.