Verfassungstag
Guck hinüber, guck herüber,
Wohl über die Straß hinum.
Kann Deutschland nicht finden;
Rutsch alleweil drauf rum.
Alter Kindervers
Die Republik, die vor zwei Tagen ihr Verfassungsfest zu feiern versuchte, hat noch nicht zu sich selbst gefunden. Ihr guter Wille soll anerkannt werden: trotz der großen Schwierigkeiten hat sie sich wenigstens bemüht, den Tag festlich zu begehen, an dem ihre Verfassung rechtskräftig geworden ist. Einfach hatte sie es nicht, denn der Antrag, diesen Tag zum Nationalfeiertag zu machen (ja nicht den ††† 9. November!), ist im Reichstag nicht mehr beraten worden, ist also nicht Gesetz, und alles, was die Reichsregierung an diesem Tag veranstaltete, gründete sich auf den guten Willen der Mitwirkenden. Wir wollen ihr nicht in den Rücken fallen. Um so mehr ist sie hierin zu unterstützen, als ein solcher republikanischer Anlauf den besten Eindruck im Ausland macht – so haben die französischen Kontrollkommissionen an diesem Tage keine Amtshandlungen vorgenommen – die hübsche Geste eines hierzulande seltenen Taktes.
Aber ist eine solche Feier überhaupt nötig –? Haben wir keine anderen Sorgen –?
Das Kind liegt in der Wiege, und wir wollen gratulieren. Und wissen nicht, ob es denn den nächsten Geburtstag noch erleben wird. Und das schlimmste ist zweierlei: die Eltern wissen nicht, wie krank ihr Kind ist – und sie wissen nicht, wie leicht es zu kurieren ist.
Nach allen Mitteilungen, die ich in letzter Zeit bekommen habe, sieht es böse aus. Es steht nicht gut um die Republik. Sie hat harte, gefährliche, mächtige Feinde – und ein Haufe gleichgültiger, schadenfroher, politisch vernagelter Zuschauer wartet ruhig ab, was da werden wird. Es gibt nur eine Schicht, die die antirepublikanischen Militärs wirklich fürchten – und das sind die Arbeiter.
Die Geheimorganisationen sind in ihren Grundlagen nicht erschüttert – die Waffenlager auf dem Lande mögen sich etwas vermindert haben – zur Überrumpelung einer fast völlig waffenlosen Bevölkerung reichen sie immer noch aus. Die Geldgeber der antirepublikanischen Nebenregierung werden nicht gefaßt – obgleich man viele kennt. Und all das kann gar nicht anders sein und muß so seinen Fortgang nehmen, weil die Republik nicht den Beamtenkörper hat, den sie braucht. Sie hat an den entscheidenden Stellen keine zuverlässigen Beamten. Und entscheidend ist nicht nur der Minister – gerade der oft nicht – sondern der mittlere, ja selbst der untere Exekutivbeamte, der sabotieren und warnen, abdrehen und aufplustern kann – wie es ihm paßt. Es gibt einen deutschnationalen Lehrerbund, der die Bekämpfung der jetzigen Staatsform offen verkündet; die Richter sind (neben den Staatsanwälten) so ziemlich das Unzuverlässigste, das man sich denken kann – ihre Urteile in politischen Strafsachen zählen ja längst nicht mehr ernsthaft mit (leider nur noch für die Betroffenen) – und die Hauptmacht der Republik ist keine: die Reichswehr ist im überwiegenden Teil ihres Offizierkorps staatsfeindlich. Herr Geßler pflegt in solchen Fällen zu klagen, statt zu bessern – und es ist möglich, dass seine staatsmännischen Gaben für den Posten des Bürgermeisters von Nürnberg ausgereicht haben, wo er den Schauspielern der dortigen Theater zeigte, was eine königlich preußische Harke ist – an diesen verantwortungsvollen Posten aber gehört ein Mann, der etwas vom Bau versteht. Und nicht einer, der für sich und seinen in Unordnung gekommenen Laden einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß fordert, ihn dann durch Befehle seiner Generale sabotieren läßt und und ihn selber in einem ungehörigen und provozierenden Erlaß herabwürdigt. Der Mann muß entfernt werden.
Der und mit ihm Tausende und aber Tausende, Leistet die Republik diese Reinigungsarbeit nicht, dann hat sie den Putsch. Der muß schon kommen, wenn sie die Auspowerung der Städte durch das Land weiterhin duldet – denn dieses Mal werden die Aufrührer schlauer sein und erst einen kleinen ›Kommunistenaufstand‹ einlegen, bevor sie die unglückliche Bevölkerung ›befreien‹. Der Kollege Watter ist groß im Erfinden Roter Armeen.
Und glückt der Putsch – und er kann unter den jetzigen Umständen zunächst glücken –, dann kann diese flaue Republik von ihren Gegnern lernen, wie man das macht, wenn man an der Macht ist. Die werden wissen, wie man mit gefährlichen Feinden verfährt. Regierungsrat wird da keiner werden.
In diesem Wahnsinn der Militärs und gewaltsüchtigen Kapitalisten steckt ein gewisses System. Sie wollen immer wieder Frankreich gegen England ausspielen und vergessen nur, dass auch England (bei aller Würdigung seiner großen Schwierigkeiten) kein Deutschland dulden wird, das so völlig zaristisch, national-bolschewistisch und terroristisch regiert werden würde wie jenes da, das in den Hinterzimmern der Weinklubs und in den Trinkzimmern der Gutsgebäude im Entstehen begriffen ist. Ein neues wilhelminisches Deutschland wird – trotz der großen Verschwägerung der beiderseitigen Aristokratien – ein kluger Engländer niemals dulden. Also: Katastrophenpolitik.
Ein Gewissen haben diese Burschen niemals gehabt. Was gilt ihnen das Wohl des Landes? Des Landes, das nach seiner ruhigen Fortentwicklung schreit – und das Ruhe braucht – Ruhe und Frieden, Sie werden schießen, wie sie es schon einmal getan haben.
Da helfen Verfassungsfeiern nur, wenn sie wirklich mit der ganzen Bevölkerung vor sich gehen. Dazu wäre die Möglichkeit dagewesen –: freilich nicht mit solcher kümmerlichen Vorbereitung, wo der Apparat wieder stärker war als der Zweck. Auch Massenpsychologie will erlernt sein – und ob der freundliche Laden des Herrn Strahl, die Zentrale für Heimatdienst, gerade das geeignete Instrument ist, steht dahin. Vollbedrucktes Papier gegen den Versailler Vertrag ist ein gutes Geschäft für die Papierfabrikanten – irgendeine politische Wirkung hat das nicht.
Die Möglichkeit war da. Daß es nicht mehr geworden ist, lag nicht an den Republikanern – sondern, wie so häufig, an ihren Beamten. Es gibt schon ganz weite Schichten, die unbedingt hinter der republikanischen Staatsform stehen – man hat sie nur nicht recht zu erfassen verstanden. Wie man ja überhaupt eine Propaganda macht, die keinen Hund hinter dem Ofen hervorzulocken imstande ist.
Die Hauptsache der Republik besteht heute noch darin, dass sie keine Monarchie ist. Sie hat trotzdem nicht den Mut, sich offen gegen ihre Vorgänger zu erklären.
Verfassungsfeiertag –? Treibt es die Republik so weiter, wird sie nicht mehr oft in die Verlegenheit kommen, ihn feiern zu müssen. Und so, wie es im ganzen Bürgertum einhellig heißt, wenn vom Rechtsputsch gesprochen wird, so ist es auch: »Das werden sich die Arbeiter nicht gefallen lassen!« – Sie werden es auch nicht. Geht dieser Winter gut vorüber –: es wird ihr Verdienst sein.
Ignaz Wrobel
Freiheit, 13.08.1922.