Arno Holz und sein Werk
Der Dichter in der Dachstube, eine hübsche Attrappe für das Kino, gehört heute zu jenen leicht lächerlich gewordenen Erscheinungen, die der ernste Kaufmann des Lebens für überflüssig hält, weil sie Waren weder produziert noch verschiebt, noch verbraucht. Und alles, was nicht mit der Ware zusammenhängt, dürfte heute seine Existenzberechtigung schwerlich nachweisen.
Arno Holz, der ein halbes Säkulum lang, seit jenem Tage, da er die ersten Striche aufs Papier zu setzen vermochte, keinen Augenblick lang jene Konzessionen gemacht hat, von denen andere heute leben, scheint mir eine wertvolle Widerlegung jenes Scheerbartschen Satzes: »Charakter ist nur Eigensinn.« Bierbaum hat einmal gespottet, Holz habe »den Naturalismus und die laufende Maus erfunden«. Es ist aber als Gesamtwürdigung eines solch bewundernswerten Lebens denn doch ein anderes Fazit zu ziehen. Dem Dichter flicht der Bartels keine Kränze, und diese schnellebige Nation, immer bereit, zu vergessen, wer den flinken Modegötzen von heute die Bahn geebnet hat, weiß offenbar schon längst nicht mehr, wem einmal »Vor Sonnenaufgang« gewidmet gewesen ist. Dieser Mann hat in der deutschen Literatur eine Tür aufgemacht, und alle, die sie seitdem passiert haben, sollten ihm danken.
Ein Teil der jungen Generation, der nicht weiter als von einer Premiere zur andern sieht und dessen historische Betrachtungsweise sich darin erschöpft, die dramatischen Journalisten des Tages in einer Reihe mit Lao-tse, Hölderlin und Dante zu stellen, gibt dem Volk die beste Entschuldigung, einen Mann zu vergessen, dessen Charakterfestigkeit beginnt, legendär zu werden. Man ist heute Filmdramaturg und außerhalb der Dienststunden ideal. Dieser hat alles in seinem Leben ausgeschlagen: Ehren und Titel und lockende Angebote und auch die Bitten um die winzigste Anpassung.
Damit baut man keine Schlösser. Und eine Nation, die sonst so viel Gefühl dafür hat, dass es ehrenvoll ist, als Freier unterzugehen, wenn man als Sklave nicht zu leben vermag, hat alle Ursache, Arno Holz jenen Kranz zu reichen, den er sich Blatt für Blatt, Jahr um Jahr mit einem dornenreichen Leben verdient hat.
Kurt Tucholsky
Beitrag für: Arno Holz und sein Werk.
Deutsche Stimmen zu seinem 60. Geburtstage.
Herausgegeben von Ferdinand Avenarius,
Werk Verlag, Berlin 1923, S. 45.