Dichtung
Wenn einer Hunger hat, kann er nicht lachen. Es ist wohl möglich, in diesem Zustand sehr böse, sehr gute, sehr scharfe Witze zu machen, zu denen die anderen dann etwas gereizt das Gesicht verziehen. Aber mit Humor hat dieser Vorgang nichts zu tun. Hat die neue Generation Humor?
Wer in den Jahren 1914 bis 1924 die Zeit »humoristisch« ansah, war ein Spießer oder ein Lügner. Das genügsam satte Lächeln, das milde verzeihend jedem Scheul und Greul zulächelte und »bloß den Humor nicht verlieren« wollte, war eine Sünde in diesen Jahren. (Der schauerliche Otto Ernst ist dafür ein Beispiel.) Wenn Menschen bluten, wenn Menschen verhungern, dann gibt es keinen anständigen Standpunkt, der dem »Humor zu seinem Rechte verhilft«.
Was nicht hindert, dass man auch in solchen Zeiten gewisse Dinge hier und da humoristisch ansehen kann. (Der treffliche Hans Reimann ist dafür ein Beispiel.) Nur war es unmöglich, aus dieser Betrachtungsweise so etwas wie ein Axiom zu machen.
Humor ist eine Sache, die von allen am wenigsten unsterblich ist. Ein Pathos kann über Jahrhunderte hinaus wirken; Humoristen halten sich erfahrungsgemäß nicht so lange, weil ihr Wichtigstes zwischen den Zeilen steht. Wortlos winken sie dem Leser zu: du weißt schon, wie ich es meine! Der Leser weiß und lächelt. Der Sohn des Lesers ahnt nur noch; der Enkel lacht nicht mehr und legt es beiseite. Jede Zeit hat ihren Humor, und Rabelais ist die große Ausnahme, und vielleicht auch noch Swift, obgleich bei ihm die Satire meist stärker ist als der Humor. Und so heißt der Humor der Zeit einmal Wilhelm Busch, bei dem man das leise Schwinden der Beziehung schon heute beobachten kann (seine Briefe bleiben – seine heiteren Verse sind zur Hälfte schon verblüht); das andere Mal heißt der Humor Morgenstern … , aber bezeichnenderweise hat es damit sein Bewenden, und er hat bis jetzt keinen Nachfolger gefunden.
Das, was sich heute als »Humorist« ausgibt, hat in den meisten Fällen einen böse spießigen Anstrich. Es ist der kümmerliche Humor der »schrulligen Originale«, der jämmerliche Humor der falschen Terminologie: die kleinen Ereignisse beim Schlächter und in der Küche werden in hochtrabenden Worten erzählt, was immer seinen kleinen Effekt macht – aber dieser Sechsgroschenhumor berührt die junge Generation mit Recht gar nicht.
Die junge Generation hat Humor. Und zwar hat sie ihn – weil wir in Deutschland keine Gesellschaft haben, in der sich Politik, Wirtschaft, Kunst finden – innerhalb der einzelnen Kreise. Es gibt in allen den zahllosen Zirkeln und Cliquen einen spezifisch esoterischen Humor, den der Außenstehende nicht versteht. Wird die Grenze überschritten, so bleibt in den besten Fällen der Witz.
Die junge Generation hat keinen Humor – wenn man diesen Humor nach seiner künstlerischen Ausdrucksfähigkeit mißt. Unter allen jungen Schriftstellern dieser Tage gibt es keinen, der die persönliche Überlegenheit hätte, fern aller Witze die menschliche Komik der Ereignisse zu sehen. Ein Musterbeispiel dieser Gattung, die wir nicht haben, ist Georges Courteline. Dieser in Deutschland viel zuwenig gelesene und viel zuwenig übersetzte Franzose hat alle Sorten des Humors: vom Lächeln bis zum Grinsen. Aber er ist kein Spießer, weil er sich niemals damit begnügt, das Generelle in allen Lagen des menschlichen Lebens zu sehen – er läßt dem bösesten und bittersten Reformer noch seinen Platz, wenn er vom Militär spricht, und erledigt nicht die Sehnsucht nach Besserung durch die flaue Humorigkeit eines Biertrinkers.
Unter den jüngeren Literaten findet sich meist eine merkwürdige Verachtung des Humors. Es ist, als habe man sich zu schämen, wenn man gelacht hat. Eisige Mienen ringsum belehren dich, dass man sich in seiner Gesellschaft nicht den Kragen abbindet. Und es gibt meines Erachtens nur einen, der in unserer Literatur wirklich Humor hat: das ist der Schriftsteller Heinrich Zille. Der Schriftsteller – denn der Mann hat Bücher geschrieben, die weit über seine Zeichenkunst hinausgehen. Und ich besinne mich, mit ihm einmal bei einer sehr vornehmen Familie eingeladen gewesen zu sein, wo es so fein zuging, dass wir Beklemmungen bekamen; Papa spielte Harmonium, Mama wackelte vor innerem Adel mit allem, wo gibt – und die Kinder waren so altklug, dass einem das Grauen ankam. Auf dem Nachhauseweg fragte ich Zille, wie es ihm gefallen habe. Er dachte einen Augenblick nach und sagte dann: »Die Leute sind emsig glücklich!«
In den modernen Almanachs der Verlage findet sich allenfalls die Gesellschaftssatire – der neuere Humor gar nicht. De Coster darf Humor haben – uns ist er auf Bütten nicht gestattet. Man sagt, George Grosz habe den Humor abgelöst und erschlagen. Das ist nicht wahr. Grosz hat persönlich ein so starkes Gefühl für Humor (nicht nur für Satire), dass er sicherlich noch einmal milde und still mit der reinen Freude an der Beobachtung auch diese Seite seines Wesens zum Ausdruck bringen wird. Man sollte nicht den ganzen Laden schließen, weil einige Angestellte Trottel sind. Da der Humor nicht ganz mit dem Verstande zu fassen ist, sondern – entschuldigen Sie das harte Wort! – auch vom Herzen herrührt, verführt er dazu, Kleinbürger zu züchten, von ihnen produziert und von ihnen konsumiert zu werden. Aber es gibt auch einen grimmigen, einen unterirdisch gluckernden, einen lebenskräftigen Humor. Wer einmal einen weitgereisten Mann gehört hat, womöglich einen, der sich Geld unterwegs selbst verdienen mußte, einen Schlosser, einen alten Schiffsarzt, der wird gefühlt haben, daß man die Welt mit kräftiger Überlegenheit auch humoristisch ansehen darf.
Es ist eine Frage der Physis. Und es ist wohl denkbar, dass in einem schöngeistigen Verlag von lauter Hornbrillen weder der Verlegermeister noch die Lektoren, noch gar die Autoren einen Funken Humor haben, sondern nur einer. Der Portier.
Peter Panter
Vossische Zeitung, 25.12.1924, Nr. 591.