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Der Dreischichtedichter

In dem entzückenden Buch von Robert Walser: ›Fritz Kochers Aufsätze‹ ist ein Bild vom Bruder Karl drin: ›Der Dichter‹. Da sitzt ein elegisch angezogener Jüngling auf einem dünnen Stuhl am Fenster und sieht in den Regen, der aus vierzehn Strichen besteht. Draußen ist ein bißchen Garten, die Gardine ist artig gemustert, und an der Wand hängt die Hälfte eines ovalen Bildes. Das ist alles.

Und ich glaube, das ist ein Sinnbild von Robert Walser. Der Dichter, in das Wetter starrend, den Kopf schwer aufgestützt: das ist ein Klischee. Darunter die Ironie: etsch! so ist es ja gar nicht. Darunter: sondern ich werde euch einmal zeigen, wie es ist. »Ein Mann mit drei Schichten.« So definiert ihn am glücklichsten Max Brod, der ihn am tiefsten begriffen hat.

Nun ist von Robert Walser eine Sammlung der ›Aufsätze‹ erschienen – bei Kurt Wolff in Leipzig – jener Aufsätze, die fast alle in der ›Schaubühne‹ gestanden haben. Und wenn man sie jetzt noch einmal so alle zusammen sieht, die ›Birch-Pfeiffer‹ und ›Kotzebue‹ und ›Kino‹ und ›Büchners Flucht‹ und ›Lenz‹ – dann freut man sich, dass in dem Buch auch andre stehen, die man noch nicht kennt.

Er ist ein Klischeebeleber bis ins dritte und vierte Glied. Wer erinnerte sich nicht an den alten Goethe bei diesen Worten: »Auch Schauspieler Kayssler will wegmachen … «? Wie sind alle Floskeln, die wir längst tot geglaubt hatten, noch einmal blühend da, schlagen die Augen auf und lächeln uns an! Walser würde hier sagen: »Dieses Bild darf man eigentlich nicht gebrauchen, aber ich schreibe einen erbärmlichen Stil, in Stil habe ich immer mangelhaft gehabt.« Nein das ist keine romantische Ironie. Es ist vielmehr Liebe, eine unendlich feine Liebe – dieselbe, die auf jeder Seite seiner Romane übersehene Dinge verklärt.

Karl Walser hat in das Buch viel Kompott hineingezeichnet; aber das schadet nichts. Schaubühnenleser! Dies Buch ist Euer!

Peter Panter
Die Schaubühne, 24.04.1913, Nr. 17, S. 478.