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Der Zauberladen

Bei Wells, in der entzückenden kleinen Geschichtensammlung »Der gestohlene Bazillus«, gibt es einen Zauberladen, aber ich hatte nie daran gedacht, daß dergleichen auch in Wirklichkeit existiert. Wells hat sich das so ausgedacht, war meine Ansicht; er hat es hübsch dargestellt, wie er mit seinem kleinen Jungen Gip in den Zauberladen kommt, und dort wird ihm schrecklich viel vorgezaubert – gleichmütig übt der Magier hinter dem Ladentisch seine Künste aus, der kleine Gip fiebert und hält nur immer den Zeigefinger von Papa krampfhaft fest … bis schließlich auch Wells junior fortgezaubert wird und … aber lest nur selbst nach! – Kurz: eine wundersame Geschichte. Aber weil es auf dem Titelblatt des Buches steht, daß hier seltsame Geschichten ständen, kam ich nicht auf den Gedanken, es könne so etwas auch in der Stadt, in der ich lebe, vorhanden sein.

Doch: es war vorhanden. Es gibt in dieser Stadt einen Zauberladen. Einen leibhaftigen Zauberladen, und der dicke Maler Söderström hat ihn entdeckt, der stets auf der Suche nach Merkwürdigkeiten ist, nach eigentümlichen und seltsamen Dingen … Jetzt nahm er mich an den Zeigefinger, sagte: »Komm!« und zog mich fort … Nun, irgendwohin, der Straßenname tut nichts zur Sache, und es ist ja kein Reklameabenteuer, sondern ein wirkliches …

Man kam also herein, und es sah alles vielversprechend aus. Der ganze Laden war angefüllt mit Sachen, mit einem Wust von Gerümpel und Geräten, die man auf den ersten Blick nicht voneinander unterscheiden konnte … Dann war da noch ein kleiner dunkelroter Ladentisch, ein paar Verkäuferinnen, der Herr Zauberer und wenige Kunden. Der Raum war zum Bersten voll. Ich hatte noch das helle Straßentageslicht in den Augen, hier drinnen war es stockdunkel, vielleicht gehörte das so zum Handwerk … Aber man ließ mir gar keine Zeit zum Nachdenken.

»Wenn ich bitten darf … « sagte die Zaubermama, wohl die Frau des Oberzauberers, der böse lächelnd abseits stand … (Also ich will bei der Wahrheit bleiben: böse wird es gerade nicht gewesen sein. Aber es sah so aus.) Herrgott! Die Verkäuferin hatte sich einen Nagel durch die Hand geschlagen! Was war das hier? Ich komme nichtsahnend von der friedlichen Straße herein, und diese junge Frau schlägt sich einen Nagel durch die Hand! Bei Gott: durch den Zeigefinger! Sie lächelte freundlich und sagte nur: »Das ist ein sehr liebenswürdiger Trick!« Sie war aus Österreich und hätte bestimmt noch meinen Tod liebenswirdick gefunden. Plötzlich aber warf sie mir den Nagel auf den Ladentisch und sagte, ich solle ihn untersuchen, er sei nicht präpariert und überhaupt ein anständiger Nagel … Gewiß, ich konnte nichts finden, es war wirklich ein gutbürgerlicher Nagel, ohne Tücken, Schuld und Fehle … Und hier, bitte, habe sie ein Glas – und wir sollten genau achtgeben – schwups! ließ sie einen Groschen durch den Boden fallen. Aber bitte! Ich habe es doch selbst gesehen! Ich war doch dabei, ich stand doch direkt vor dem dunkelroten Ladentisch! Mir macht man nichts vor! Ich sagte ihr das auch, aber sie lächelte bloß wieder und zauberte, weil es ihr so Spaß machte, auf einmal von ein paar bunten Karten die Könige weg. Blank waren sie, weiß und glatt! Und plötzlich sagte sie: »P!«, und wir sahen Asse auf den weißen Blättern, schöne rote und schwarze Asse, denen das Trumpf ordentlich auf der Stirn geschrieben stand, wenn ich so sagen darf … Da war nichts zu machen: wir durften alles betasten, aber nie fand sich irgend etwas Verdächtiges. Nun gab sie mir eine Karte in die Hand, es war der Kreuzkönig, und befahl mir, ihn zu zerreißen. Ich tats, aber ein kleines Stück Pappe fiel auf den Boden, es war das eine Kreuz darauf. Sie sahs nicht, und ich ließ es liegen. »P!« machte sie wieder, gab dem dicken Söderström ein Schnipsel zu halten, legte die andern in eine kleine, natürlich schwarze Kiste und zauberte sie wieder zusammen. Nur die Ecke fehlte, die der Söderström in der Hand halten durfte – und sie paßte genau! – Unten aber, auf der Erde, sah ich das kleine Kreuz liegen, und ich habe mich sehr gewundert, wie doch nun der Zauberkönig drei Kreuze sein eigen nennen durfte …

Es begaben sich hier offenbar rätselhafte Dinge. Jetzt ergriff die Frau Zauberin ein Kartenspiel, ließ mich darauf blasen, und – da: das Kartenspiel war um die Hälfte kleiner geworden! »Und nun, bitte ich zu achten, p – ph p! – haben Sie hier ein Kartenspiel für Zwerge und Liliputaner!« – Wahrhaftig: jetzt waren die Karten winzig … und jetzt – jetzt waren sie überhaupt verschwunden! – »Halt! Noch mal!« verlangte ich. Die Magierin zögerte keinen Augenblick: Im Nu hatte sie das Spiel in der Hand, wieder wurden die Karten kleiner … »Und nun, bitte ich zu achten, haben Sie hier ein Kartenspiel für Zwerge und Liliputaner!« Ich gabs auf.

Aber wie wird das nun gemacht? Bedeutungsvolles Achselzucken. Der Oberzauberer kam selbst. Wenn er jetzt einen Stock genommen und den Söderström in ein Karnickel verwandelt hätte: ich wäre nicht erschrocken. Aber er nannte uns nur die Preise. Und da erschrak ich doch. Auch der Söderström erschrak, spielte verlegen mit seinen dicken Händchen und nahm so zum Spaß eine kleine alte Schachtel hoch, die da stand. Buff! – schoß es. Wir fielen ja wohl hintenüber. Der Zauberer lächelte überlegen. »Ein reizender Scherz! Wenn Sie nicht wollen, dass jemand etwas anfaßt … !« Er erklärte uns den Mechanismus und nannte den Preis. Nein, wir dankten. Aber jetzt war er losgelassen. Er schnippte mit den Fingern, und wir waren von Federn überwirbelt, er bürstete uns wieder ab, und die Kleiderbürste schrie Kuckuck!! wie eine Schwarzwälder Uhr, und das ist das Gescheiteste, was eine Kleiderbürste tun kann. Er bot uns Konfekt für unsere Feinde an und versprach uns, sie würden dann Essig in den Mund bekommen oder Holzwolle, wenn die Herren das vorziehen … ? Er nannte die Preise. Wir dankten, blickten auf – da lief wirklich ein kleines schwarzes Ungeheuer den Spiegel herunter! Eine Spiegelwanze!! – Er erklärte sie uns, brachte eine Tube, auf der stand: »Werft das Scheusal an die Wand … !« und nannte die Preise. (Wir haben übrigens Spiegelwanzen gekauft, uns auch einreden lassen, es sei einfacher weicher Gummi – aber die Dinger benahmen sich In der Folgezeit so merkwürdig, dass wir ängstlich wurden und sie wegwarfen. Es waren doch Tiere … ) Er zauberte markierte Geldstücke in japanische Schachtelsysteme, er zauberte sie wieder heraus, er ließ ein großes Licht verschwinden und entgegnete auf unsere Bitten, es doch wiederkommen zu lassen, die Eleganz dieses Kunststücks bestehe eben darin, das Licht völlig verschwinden zu lassen …

Nun: wir kauften etwas. Bevor ich das Geld auf den roten Verkaufstisch legte, sagte ich zögernd: »Aber …, wie wird es denn nun gemacht?« – Schweigen. Das Geld klang auf dem Tisch. Zauberers lächelten, führten mich ins Allerheiligste, und die Demonstration begann. Wie? – Was ich da gezeigt bekam? – Aber kein Wort werde ich euch verraten, nicht ein Wort. Soll ich mal die Preise nennen? –

Und dann gingen wir heraus, der Magier verbeugte sich, tat uns nichts, die Tür öffnete sich … Draußen lagen die Straßen, rollten die Omnibusse, lärmten die Kinder – wie sonst. Und wir waren eben in Persien gewesen, im Morgenland, in Ostasien und waren lebhaft versucht, die Mauern zu betasten, die Menschen zu befühlen, um zu prüfen, ob auch alles echt sei und nicht plötzlich jemand mit dem ominösen Zauberstock käme, bliese »P!« und alles in Mehlkuchenteig verwandeln würde …

Peter Panter
Zeit im Bild, 02.07.1914, Nr. 27, S. 1415.