Max Ulysses Pallenberg
Der heimgekehrte König Odysseus im Theater am Nollendorfplatz ist Pallenberg, und er verdunkelt alles und alle. Er stelzt wie ein Hahn auf dem Mist umher, er singt meckernd ein Antrittslied, bei dem er aufgeregt, aber symmetrisch von links nach rechts läuft und sich selbst sehr wohl klar ist, dass diese Pflicht des Tenors, jeder Seite des Hauses etwas Stimmgold zu geben, widersinnig ist – aber er machts mit. Er macht überhaupt immer alles nur mit. Er rast in Assoziationen, die zwar mit der Sache nichts mehr zu tun haben – aber hübsch sind sie doch. Alte liebe Volkslieder fallen ihm ein: wenn zufällig im Text das Wort »Kamerad« vorkommt – gleich singt er heiser, aber ausdrucksvoll: »Ich hatt' einen Kameraden, einen bessern findst du … « – lange Pause, und dann, verachtungsvoll: »nit!« Er schmeckt dieses seltsame Wort erst auf der Zunge, bevor er es herausgehen läßt, er zerbeißt es und spuckt den Rest aus.
Er ist häßlich wie eine Schildkröte. Gelobt sei der Zahnarzt, der ihm diese Menge Goldplomben einsetzte – das macht erst den König. Hei, wie die in der Sonne glitzern! Und aus diesem Mund fallen (beiseite) laut und deutlich Unfreundlichkeiten gegen die Mitspieler heraus, diese Hände greifen ununterbrochen nach dem roten Läufer, den er mit sich herumträgt, und wickeln ihn zusammen, und heben den Tuchballen wie eine etrurische Vase auf die Königsschultern und –: zierlich steht er da.
Über diesen Großen, der mit seinem Ziegentenor noch einen mauschelnden Tonfall ins Pathetische zu ziehen vermochte, der einmal, am Schluß, bloß mit der linken Augenbraue bewirkte, dass beinah alles ins Tragische umkippte – über dieses Genie vergaß man auch die Massary, die doch kein Blut, sondern Irroy in den Adern hat. Und wenn noch hier und da Ansätze sich zeigten, Walzerchen aufhüpften, Flöten und Fagotte Unfug trieben, und ein ganzer Chor jubelnd rief: »Länder – Länder – Länder – Länder –«: dann wippten wir auf den Sitzen mit und bedauerten nur, dass Offenbach diese besten Spieler seiner Marionettenbühne nicht mehr erlebt hat.
Peter Panter
Die Schaubühne, 09.10.1913, Nr. 41, S. 988.