Leonce und Lena
Unsereins hat so seine kleinen Vergnügungen. Wenn ich den großen gelben Band vor mir sehe – der Text, liebe Leserin, die du aber auch gar nichts weißt, ist von Georg Büchner, und die himmlischen Bilder sind von Karl Walser – jedesmal also, wenn ich diesen gelben Band vor mir habe, genieße ich das heitere Lustspiel in einer Inszenierung von Reinhardt. Wir Berliner beten ja immer, so oft wir nicht ein noch aus wissen, zu diesem lieben Gott – und wenn es auch nicht immer hilft, man versucht es doch.
Besetzt habe ich es schon. Leonce ist natürlich Moissi. Ich sehe, wie sich der Vorhang hebt, wie Leonce, der süße Prinz, sich auf einer Bank lümmelt und zu dem aufhorchenden Arnold sagt: »Mein Herr, was wollen Sie von mir? Mich auf meinen Beruf vorbereiten? Ich habe alle Hände voll zu tun. Ich weiß mir vor Arbeit nicht zu helfen. Sehen Sie, erst habe ich auf den Stein hier dreihundertundfünfundsechzigmal zu spucken. Haben Sie das noch nicht probiert? Tun Sie es, es gewährt eine ganz eigene Unterhaltung … « Und dann torkelt Valerio Waßmann auf die Bühne, und man sieht König Peter, und obgleich für mein Gefühl Lena eigentlich brünett ist, weiß ich mir doch keine andre für die Rolle als die Höflich, und wenn ich denke, dass ihre Stimme spricht:
O meine müden Füße, ihr müßt tanzen
in bunten Schuhen,
und möchtet lieber tief
im Boden ruhen.
– dann ist mirs doch am Weinen. Und das andre ist ja alles in diesen herrlichen Bildern vorgezeichnet, und nur ER, Karl Walser, darf die Ausstattung zeichnen, weil er sie eben schon gezeichnet hat: hellgrün, hell-gelb und als Schönstes die Mondnacht. Da sagt Leonce: »Stell auf in deinem weißen Kleid und wandle hinter der Leiche durch die Nacht und singe ihr das Sterbelied.« Und Lena, die ihn nicht sieht, weil er hinter einem Busch steht, antwortet: »Wer spricht da?« – »Ein Traum«, sagt Leonce. Und dann respondieren sie sich wie in einer Arie: »Träume sind selig.« – »So träume dich selig und laß mich dein seliger Traum sein. Der Tod ist der seligste Traum.«
Und mit nassen Augen blättere ich das Buch zu Ende, bis zum großen Finale, wo alles sich enthüllt, alle vor dem Thron des Königs stehen, maskiert vor der Demaskierung, die Ketten des Kronleuchters klirren gewiß leise, ein Baldachin rauscht nieder, und der Hintergrund ist voller Ehrenjungfrauen, mit langen Gänsehälsen und Blumen im Haar, Blumen im Kleid.
Peter Panter
Die Schaubühne, 17.07.1913, Nr. 28, S. 722.