Der Varieté-Staatsmann
Der amerikanische Staatssekretär des Auswärtigen, Herr Bryan, tritt augenblicklich in einem Varieté auf. Er hält dort einen Vortrag, in Wirklichkeit läßt er sich begaffen, so wie er es tat, als er Filme von sich herstellen ließ: »Der Staatssekretär verhandelt mit den Großmächten« (in seinem Arbeitszimmer aufgenommen). »Der Staatssekretär unterschreibt einen Vertrag« und so. Seine Nummer im Varieté liegt zwischen einem Jongleur und einem Jodlerquartett, und er macht sich sehr gut da, findet er, zumal da er sein Einkommen nicht unbeträchtlich vergrößert.
Dafür fehlt uns der Maßstab, und schließlich kann es uns auch gleich sein, ob ein amerikanischer Staatsmann sich für eine Schaustellung hergibt oder nicht. Leise kommen Ähnlichkeiten, Gleichheiten, Anklänge …
Bethmann Hollweg im Wintergarten … Eine feine Nummer. Aber langweilig. Denn der Lange wird auftreten, mit einem Kaiserwort ein bißchen jonglieren, über Strohhalme stolpern, den Dummen markieren – aber eigentlich Neues wird er nicht bringen … Und das Publikum wird pfeifen, und in so einem Varieté muß der gehen, der ausgepfiffen wird.
Oder der Kriegsminister … Die Musik spielt einen kräftigen Marsch, jener stürmt auf die Bühne, zieht den Sabul und donnert unter stürmischem Gelächter des Parketts eine Rede über »zersetzende Elemente« … Tusch. Paukenschlag. Vorhang.
Zu denken sind sie alle. Gäben aber nicht sehr lustige Programm-Nummern ab; im Wintergarten. Denn viel komischer sind sie bei sich zu Hause, in der Natur, im Amt. Man sehe sie sich an, in ihrer grotesken Wichtigkeit, die vermeint, eine preußische Ausführungsbestimmung habe irgend etwas mit Vernunft oder Kultur zu tun, gehe noch jemand an außer dem beteiligten Assessor … Man sehe den Landrat, wie er arbeitet, den Polizeipräsidenten mit dem Schutzmannsfaktotum. Typen, Kinder, Typen! Die ihres Beifalls gewiß sein können. Nicht aber ein ernster Amerikaner, der im Vergleich zu diesen ein Geschäftsmann ist und ein Mann und ein ganzer Kerl.
tu.
Vorwärts, 13.09.1913, Nr. 238.