Philosophie und Psychoanalyse

 

Nach der Weltanschauung Prof. Putnams, in die sich seiner Ansicht nach die Psychoanalyse einzuordnen hätte, ist das einzig Wirkliche auf der Welt eine selbsttätige Energie, eine mit den höchsten intellektuellen und sittlichen Fähigkeiten begabte, man kann also wohl sagen: göttliche Persönlichkeit, die zur Äußerung ihrer Tendenzen die ›Körperwelt‹ aus sich selbst entstehen und entwickeln ließ und läßt. Dieser Geist war schon vor dem Entstehen der primitivsten Körper intelligent und moralisch und ist auch im Menschen nicht zur vollen Entfaltung dieser seiner Eigenschaften gelangt. - Das klingt wie die Anpassung der ältesten Schöpfungsmythen an die Biogenetik, von denen es sich nur dadurch unterscheidet, daß hier die Erschaffung der Welt nicht in einem einzelnen Schöpfungsakte, sondern in einer unendlichen Reihe solcher vor sich gegangen, resp. auch zurzeit vor sich gehend gedacht wird. Man kann, wenn man will, dieses System monistisch heißen, da es doch die Körperwelt als eine Manifestation derselben geistigen Energie betrachtet, die den welterschaffenden Geist ausmacht; dieser Monismus ist aber einem Dualismus außerordentlich ähnlich. Daraus soll ihm aber durchaus kein Vorwurf erwachsen; die dualistische Welt ist ebensowenig unmöglich wie die monistische, jede monistische und jede dualistische Philosophie ist also existenzberechtigt. Wir sehen nur nicht ein, warum die analytische Psychologie gerade mit der von Prof. Putnam skizzierten Weltanschauung innigere Beziehungen anknüpfen sollte? Lassen sich doch die Tatsachen der Psychoanalyse in jedes materialistische oder spiritualistische, monistische oder dualistische System einverleiben, sie vertragen sich z. B. ganz gut auch mit einer Weltanschauung, die in einem nicht intelligenten und nicht sittlichen blinden Drang, z. B. im Willen Schopenhauers, das Wesen und den Urgrund der Welt erblickt. Ist es doch nicht denkunmöglich, daß eine an sich sinn- und ziellose, blinde Kraft durch natürliche Auslese die intelligentesten Wesen zustandebringen könne; unsere psychologischen Erfahrungen stehen auch mit dieser Anschauung in keinem Widerspruch.  

Auch die agnostizistische Philosophie, die ihr Unvermögen zur Lösung der letzten Fragen ehrlich einbekennt, die also im Grunde kein abgeschlossenes System ist, ist eine für uns mögliche, ja förderliche Weltanschauung. Denn wenn auch Professor Putnam Recht hat, wo er behauptet, daß man die Vernunft nicht dazu benützen darf, das Dasein der Vernunft zu leugnen, so übersieht er andererseits die Gefahr, die in der Versuchung liegt, die Rolle des Bewußtseins im Weltall zu überschätzen und in einen nicht ganz gerechtfertigten Anthropomorphismus zu verfallen. Es ist übrigens beinahe ein Glück für die Wissenschaften, daß keines dieser philosophischen Systeme von zwingender Evidenz ist; die endgültige Lösung der letzten Fragen des Lebens würde den Antrieb zum Suchen nach neuen Wahrheiten vernichten.

Prof. Putnam unterscheidet mit Recht die seelischen Inhalte von den Tätigkeitsformen des Geistes. Er fügt aber hinzu, daß der Geist, vom Standpunkt der Tätigkeitsform betrachtet, weder entwicklungsfähig, noch auch entwicklungsbedürftig ist und behauptet, daß die kindliche Seele und das Unbewußte (im psychoanalytischen Sinne) sich nur dem Inhalt, nicht aber der Funktionsart nach vom bewußten Geist des Erwachsenen wesentlich unterscheiden.  

Die psychoanalytischen Erfahrungen ergaben demgegenüber, daß die Vorgänge im Unbewußten (und zum Teil auch in der infantilen Seele) nicht nur inhaltlich, sondern auch formal von bewußten Vorgängen verschieden sind.  

Die bewußten psychischen Inhalte des wachen Normalmenschen werden in die Kategorien des Raumes, der Zeit, der Kausalität eingeordnet, sie werden auf ihre Realität geprüft. Das Bewußtsein ist also, insofern nicht unbewußte Elemente hineinspielen, logisch. Die psychischen Inhalte eines wohlerzogenen Erwachsenen werden auch vom Standpunkt der Ethik und der Ästhetik geordnet sein.  

Im Unbewußten finden wir aber die psychischen Inhalte nach ganz anderen Prinzipien geordnet. Der herrschende Grundsatz ist hier der der Unlustverhütung, während die zeitliche und kausale Währung hier wenig gilt. Die aus dem logischen Zusammenhang gerissenen psychischen Inhalte befinden sich hier gleichsam in einem Lustraum, in dem sie sich je nach ihrem spezifischen Lustgewicht schichten, und zwar so, daß die Unlustvollsten am weitesten von der Bewußtseinsperipherie ihren Platz finden. So kommen logisch heterogene, aber gleichartig lustbetonte Inhalte dazu, assoziativ hart nebeneinander zu liegen, ja sich miteinander zu vermengen; Gegensätze bestehen ruhig nebeneinander; die entfernteste Ähnlichkeit gilt für Identität; das ungemein »leichte Überfließen der Intensitäten« (Freud) ermöglicht die logisch unsinnigsten Verschiebungen und Verdichtungen; der Mangel der Abstraktion und der Sprachsymbole gestattet nur ein Denken in dramatisierten Bildern. Daß die ethische und ästhetische Kategorie in dieser Schicht der Seele wenig oder oft gar nicht gilt, steht für jeden, der je Träume, Witz, Symptomhandlungen und Neurosen analysiert hat, außer Zweifel.  

Nach alledem wird man doch zumindest nicht ausschließen können, daß eine mit Bewußtseinsorgan ausgestattete Psyche nicht nur dem Inhalt, sondern auch der Tätigkeitsform nach eine ›höhere‹ Entwicklungsstufe des Geistes darstellt, womit aber zugleich die Möglichkeit der Entwicklung hoher Formen geistiger Tätigkeit aus einfacheren und einfachsten überhaupt gegeben ist.

 


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