Konzentration und Verdrängung
Diese Reihe von Beispielen genügt, um sich überhaupt eine Vorstellung von den psychischen Verhältnissen bei der Gleichnisbildung zu machen. Wenn jemand seine Aufmerksamkeit darauf konzentriert, ein Gleichnis zu irgend etwas zu suchen, so ist ihm nur an der Gleichheit, der Ähnlichkeit gelegen, dagegen vollkommen gleichgültig, aus welchem Material das Gleichnis geschöpft wird. Wir merken nun, daß unter diesen Umständen dieses ›gleichgültige‹ Material fast allemal dem verdrängten Unbewußten entstammt. Dies macht es uns zur Pflicht, die Gleichnisse des Patienten sorgfältig auf ihren unbewußten Hintergrund zu untersuchen; die Gleichnisanalyse erweist sich neben der Analyse der Träume, der Fehl- und Symptomhandlungen der Patienten als eine nicht unwichtige Waffe der analytischen Technik.
Wir konnten auch konstatieren, daß das in den Gleichnissen enthaltene Material - wie Stücke des manifesten Trauminhaltes - sich bald als Erinnerungsrest aus der Lebensgeschichte des Patienten erwies, also real zu nehmen war, bald wiederum als der symbolische Ausdruck unbewußter Tendenzen; natürlich können auch beide Gleichnisquellen an einem und demselben Gleichnis beteiligt sein.
Von prinzipieller Wichtigkeit scheint mir zu sein, daß die Konzentration der Aufmerksamkeit (des Interesses, vielleicht auch eines Teiles der Libido) auf das Gleichnissuchen eine ähnliche Milderung der Zensur zur Folge hat, wie sie uns bei der Traumbildung bekannt geworden ist; das bisher Verdrängte kann - wenn auch in entstellter oder symbolischer Darstellung - bei der Konzentration auf die Gleichnissuchung in ähnlicher Weise zum Bewußtsein durchdringen wie bei der Konzentration des Interesses auf den Wunsch zu schlafen. Auch dem Schlafenden ist nur an der Aufrechterhaltung des Schlafzustandes gelegen, alles andere ist ihm zunächst gleichgültig. Natürlich drängt sich alber von diesem ›gleichgültigen‹ psychischen Material das infolge des bis jetzt dar auf lastenden Druckes stärker gespannte Material: d. h. das Verdrängte in erster Linie vor. Die Stärke der ›Vordrängungstendenz‹ muß der Kraft der bisherigen Verdrängung entsprechen.
Dieses reziproke Verhältnis zwischen Aufmerksamkeit und Zugänglichkeit des Verdrängten ist uns übrigens von zahlreichen anderen Gebieten her geläufig. Die ›freie Assoziation‹, die Hauptwaffe der psychoanalytischen Technik, ist nur durch Einhaltung der Freudschen ›Grundregel‹ zugänglich geworden, wonach der Patient sich bestreben muß, sich gegenüber seinen Einfallen möglichst ›gleichgültig‹ zu verhalten. Erst bei Einhaltung dieser Vorschrift taucht aus dem Verdrängten das zu deutende und einzuordnende Material auf; wenn aber jemand sich anstrengt, ein Symptom oder einen Einfall mit bewußter Aufmerksamkeit zu ergründen, so spornt er damit die Zensur nur zu erhöhter Wachsamkeit auf. Freud hat uns übrigens gelehrt, daß auch der Analytiker nicht nur durch logische Anstrengung, sondern oft eher durch freies Spielenlassen der Einfalle zu den richtigen Deutungen gelangt, wozu eine gewisse Gleichgültigkeit den Einfallen des Patienten gegenüber nötig ist. Ein ungestümes Wissen- und Heilenwollen führt zu nichts oder auf Abwege.
In der Psychopathologie des Alltags zeigt sich die erwähnte Reziprozität am auffälligsten. Die verräterischen Fehlhandlungen des verstreuten Professors‹ sind das Ergebnis der geistigen Konzentration auf einen Gegenstand und der Gleichgültigkeit allen sonstigen Dingen gegenüber. (Siehe das Archimedische: »Noli turbare circulos meos.«)
Auch ihre ›Symptomhandlungen‹. betätigen die Menschen um so ausgiebiger, je mehr sie durch etwas anderes abgelenkt sind. Beim Vergessen von Eigennamen pflegt das bewußte Suchen nichts zu nützen; beim Nachlaß der Anstrengung fällt einem das Vergessene von selbst ein.
Durch Berücksichtigung des reziproken Verhältnisses zwischen Konzentriertheit und Verdrängung wird uns auch die Symptomatologie der Hypnose und der Suggestion um etwas verständlicher. Wir konnten behaupten, daß die hypnotische Gefügigkeit auf blinden Gehorsam, dieser aber auf die übertragene elterliche Fixierung zurückzuführen ist. Es gibt nur zwei Arten von Hypnose: die Vaterhypnose (die man auch Schreckhypnose nennen kann) und die Mutterhypnose (mit anderen Worten: die Schmeichelhypnose)2). Die Konzentration auf die Affekte des Schreckens und der Liebe macht die Hypnotisierten für alles andere gleichgültig. Der Seelenzustand des vor Schreck Kataleptisierten ließe sich in folgenden Sätzen ausdrücken: »Ich fühle, tue und sage alles, was du willst, nur sei du mir nicht böse.« Der Verliebte könnte sagen: »Dir zuliebe glaube, sehe und handle ich, wie du willst. Alles außer deiner Liebe ist mir gleichgültig.«
Mag es sich aber um welche Form der Hypnose immer handeln, die Erfolge der Breuer-Freudschen kathartischen Methode beweisen uns, daß hier infolge der Faszinierung durch den Hypnotiseur und der Gleichgültigkeit gegen alles andere auch das sonst tief verdrängte psychische Material mit Leichtigkeit bewußt wird.
Daß übrigens die Konzentration bei der Hypnose eine große Rolle spielt, zeigen schon die beim Hypnotisieren oft förderlichen Praktiken der optischen und akustischen Konzentration.
In diesem Zusammenhang muß ich auch auf die Praktiken der sogenannten Kristallschauer oder Spiegelschauer (Lekanoskopen, Lekanomanten) hinweisen, die ihre Aufmerksamkeit krampfhaft auf einen optischen Punkt fesseln und dabei weissagen. Die Untersuchungen Silberers3) beweisen, daß bei diesen Weissagungen eigentlich das eigene Unbewußte zu Worte kommt; wir würden hinzufügen: infolge der bei der Konzentration erfolgenden Zensurmilderung fürs gleichgültiger gewordene Verdrängte.
Bei überstarker Besetzung eines Affekts, z. B. bei Ausbrüchen des Hasses, der sich; in Flüchen Luft macht, kann man Ähnliches beobachten. In einer psychologischen Untersuchung ›Über obszöne Worte‹ wies ich darauf hin, daß, obzwar — oder gerade weil — der Fluchende einzig von dem Wunsche beseelt ist, dem Gegenstand seines Hasses einen großen Schimpf, gleichgültig welchen, anzutun, im Wortlaut der Flüche nebstbei auch die tiefstverdrängten eigenen analen und Ödipuswünsche, diesmal ganz unentstellt, zum Ausdruck gelangen. (Ich verweise auf die obszönen Flüche des niederen Volkes und auf deren Abschwächungen beim Kulturmenschen.)
Auch in der Pathologie der Seele findet man Beweise für diese funktionale Beziehung zwischen Verdrängung und Interessebetonung. Beim gedankenflüchtigen Manischen kommt das Verdrängteste mit Leichtigkeit zum Vorschein. Wir können annehmen, daß es für ihn - im Gegensatz zum gehemmten Melancholiker - gleichgültig geworden ist. Bei der Paraphrenie (Dementia praecox), deren Wesen im Gleichgültigwerden der Außenwelt und aller Objektbeziehungen besteht, sehen wir, daß die von den Neurotikern so vorsichtig gehüteten Geheimnisse einfach ausgeplauscht werden. Die Paraphreniker sind bekanntlich die besten Symboldeuter; nachdem sie für sie bedeutungslos geworden sind, erklären sie uns mühelos die Bedeutung aller Sexualsymbole.
Aus unseren psychoanalytischen Kuren ersehen wir übrigens, daß ein gewisses ›Gleichgültigwerden‹ vielleicht überhaupt die Bedingung ist, unter der Verdrängtes bewußt werden kann. Die Patienten gelangen erst dann zur bewußten Einsicht in eine verdrängte Regung, wenn diese für sie im Laufe der Kur allmählich gleichgültiger geworden ist und ihre Libido sich auf andere Gegenstände verschoben hat.
Um auf ein Gebiet zurückzukehren, das unserem Ausgangspunkt näher liegt, verweise ich auf den von Freud beschriebenen psychischen Akt des Witzes, bei dem die Aufmerksamkeit von der Witztechnik gefesselt wird und diese Ablenkung der Aufmerksamkeit den verdrängtesten Tendenzen zum Ausdruck verhilft. - Schließlich zitiere ich eine mündliche Aussage des Psychoanalytikers Dr. Hanns Sachs, nach dem die Worte, in die die Dichter ihre Ideen kleiden, oft auf die tieferen, unbewußten Quellen jener Idee hindeuten. Nach Analogie mit der Gleichnisbildung muß man auch hier annehmen, daß auch beim Dichter die Konzentration auf die Idee den Durchbruch des Verdrängten in dem aufs Geratewohl gewählten Wortlaut der Dichtung ermöglicht.
Pfister fand übrigens, daß auch die vollkommen ›gedankenlos‹ aufs Papier geworfenen (also sicher gleichgültigen) Kritzeleien oft erstaunliche Mitteilungen aus dem unbewußten Seelenleben enthalten.4)
2) Vgl. Introjektion und Übertragung‹
3) H. Silberer, ›Lekanomantische Versuche‹.
4) ›Kryptolalie, Kryptographie und unbewußtes Vexierbild bei Normalen‹.