Nachtrag zur ›Psychogenese der Mechanik‹
(1920)
In einer Arbeit über die ›Psychogenese der Mechanik‹ unterzog ich die letzte Publikation des verstorbenen Wiener Physikers und Philosophen Ernst Mach: Kultur und Mechanik (Stuttgart 1915) vom Standpunkt der Psychoanalyse einer Kritik. Ich hob unter anderem hervor, daß das Büchlein im Leser den Eindruck erweckt, als hätten dem Autor bei seiner Idee, die infantilen Elemente des Sinnes für Mechanik bei seinem erwachsenen Sohne mittels methodischer Erinnerungs-Anstrengungen aufzudecken, die Freudschen Forschungen vorgeschwebt. Aus der Tatsache, daß Freud bei Mach nirgends zitiert wird und aus der einseitig intellektualistischen Betrachtungsweise des Werkchens schloß ich aber, daß Mach vielleicht unabhängig von Freud auf diese Idee verfiel. Nun macht mich aber Herr Ingenieur Dr. Patai darauf aufmerksam, daß sich schon in den 1896 verfaßten Prinzipien der Wärmelehre (auf S. 443, 444 der II. Auflage) eine Notiz findet, die uns beweist, daß Mach mit der Grundidee der Psychoanalyse längst vertraut war, als er sein Buch von den psychologischen Bedingungen der Entwicklung des Sinnes für Mechanik schrieb, und wenn er deren dort keine Erwähnung tut, wir es mit einem Falle von kryptomnestischer Wiederentdeckung einer Idee zu tun haben.
Es ist bezeichnend, daß die von Mach vergessene Stelle sich gerade mit dem Unbewußtwerden und Fortwirken gewisser Vorstellungen beschäftigt. Er spricht dort von der »merkwürdigen Tatsache, daß eine Vorstellung sozusagen fortlebt und fortwirkt, ohne daß sie im Bewußtsein ist« ... »In dieser Beziehung dürften die vortrefflichen Beobachtungen von W. Robert über den Traum1) aufklärend wirken. Robert hat beobachtet, daß die bei Tage gestörten, unterbrochenen Assoziationsreihen bei Nacht sich als Träume fortspinnen« ... »Ich habe Roberts Beobachtungen in unzähligen Fällen an mir bestätigt gefunden und kann auch hinzufügen, daß man sich unangenehme Träume erspart, wenn man unangenehme Gedanken, die sich durch zufällige Anlässe ergeben, bei Tage vollkommen ausdenkt, sich darüber ausspricht oder ausschreibt, welches Verfahren auch allen zu düsteren Gedanken neigenden Personen angelegentlichst zu empfehlen ist. Den Robertschen Erscheinungen verwandte kann man auch im wachen Zustande beobachten. Ich pflege mich zu waschen, wenn ich einen Händedruck von feuchter, schwitzender Hand erhalten habe. Werde ich durch einen zufälligen Umstand daran verhindert, so verbleibt mir ein unbehagliches Gefühl, dessen Grund ich zuweilen ganz vergesse, von dem ich aber erst befreit bin, wenn es mir einfällt, daß ich mich waschen wollte und wenn dies geschehen ist. Es ist also wohl wahrscheinlich, daß einmal gesetzte Vorstellungen, auch wenn sie nicht mehr im Bewußtsein sind, ihr Leben fortsetzen. Dasselbe scheint dann besonders intensiv zu sein, wenn dieselben beim Eintritt ins Bewußtsein verhindert wurden, die assoziierten Vorstellungen, Bewegungen usw. auszulösen. Sie scheinen dann wie eine Art Ladung zu wirken ... Einigermaßen verwandte Phänomene sind jene, welche Breuer und Freud in ihrem Buche über Hysterie beschrieben haben.«
Daß es sich hier wirklich um eine kryptomnestische Entdeckung handelt, wird durch den Umstand bestärkt, daß der Anlaß, der Mach zu dieser psychologischen Abschweifung verleitete, gerade eine Arbeit war, in der der Autor über die wissenschaftliche Entdeckungen begünstigenden oder behindernden Bedingungen schrieb. (»Korrektur wissenschaftlicher Ansichten durch zufällige Umstände«, S. 441.) Er spricht unter anderem von der Bedeutung des Zufalls auch im technischen Leben; »sie kann z. B. durch die Erfindung des Fernrohres, der Dampfmaschine, der Lithographie, der Daguerrotypie usw. erläutert werden. Analoge Prozesse lassen sich endlich bis in die Anfänge der menschlichen Kultur zurückverfolgen. Es ist im höchsten Grade wahrscheinlich, daß die wichtigsten Kulturfortschritte... nicht mit Plan und Absicht, sondern durch zufällige Umstände eingeleitet worden sind ...«
Dieser Gedankengang wird nun in dem von mir referierten letzten Werk Machs (Kultur und Mechanik) mit aller Ausführlichkeit wiederholt, dann werden die Resultate der erwähnten Erinnerungsversuche mit seinem technisch begabten Sohne mitgeteilt, nur das in den ›Prinzipien‹ zitierte Werk von Breiter und Freud, das bekanntlich gerade in methodischen Versuchen zur Auffrischung längstvergessener Erinnerungen gipfelte, also Mach als Vorbild zu seiner Theorie und Methodik gedient haben muß, bleibt unerwähnt; die Erinnerung daran unterlag offenbar der Verdrängung.
Der Psychoanalytiker darf den Versuch wagen, auch die Motive solcher Verdrängung aus gewissen Anzeichen zu erraten. Wo Mach die Wirksamkeit unerledigter, unbewußter Vorteilungskomplexe mit einem selbsterlebten Beispiel illustrieren will, verrät er uns ein Stück seiner Hemmung, die vielleicht mehr als übertriebene Reinlichkeit und Pedanterie war2). Solche Überempfindlichkeit gegen die Berührung von Körperfeuchtigkeit und die Phobie vor der Feuchtigkeit der Hand findet laut anderen Analysen in der Abwehr bestimmter sexueller Vorstellungen und Erinnerungen ihre letzte Quelle. Solche Personen pflegen auch vor der geistigen Berührung mit sexuellen Dingen zurückzuschrecken.
Nun waren die ersten Mitteilungen von Breuer und Freud beinahe ›asexuell‹. Erst die spätere Erfahrung zwang Freud zur Ergänzung der Neurosenlehre durch die Sexualtheorie. Es scheint, daß Mach diese Forschungen des (an derselben Universität lehrenden) Prof. Freud nicht ganz unbekannt und höchst unsympathisch gewesen sind und als solche abgelehnt und vergessen wurden. Die mit der Sexualtheorie verknüpfte Unlust riß aber auch die Erinnerungen an die noch ›harmlosen‹ Breuer-Freudschen ›Hysterie-Analysen‹ mit in die Verdrängung. Darum werden sie in der Kultur und Mechanik nicht zitiert, obzwar sie in den ›Prinzipien‹ als weit entfernte Analogien noch erwähnt werden, und darum mußte Mach die ihm von Breuer und Freud eingegebene Idee von den methodischen Erinnerungs-Anstrengungen (kryptomnestisch) wiederentdecken.
Nun verstehen wir auch, warum Mach die Psychogenese des Sinnes für Mechanik nur als fortschreitende Entfaltung der Intelligenz auffaßt, und wo er aufs Triebhafte zu sprechen kommt, sich mit der Annahme eines ›Betätigungstriebes‹ begnügt, der - sich des günstigen Zufalls bedienend, zu Entdeckungen führt, während die psychoanalytische Betrachtung, der er sich aus ihm unbewußten Motiven entzog, die weitere Zerlegung jenes Betätigungstriebes und den Nachweis der sexuellen Elemente darin gestattet hätte.3)
1) [Der Traum, als Naturnotwendigkeit erklärt.]
2) Über die unbewußte Bedeutung angeführter Beispiele überhaupt siehe meinen Aufsatz ›Zur psychoanalytischen Technik‹, 3. Abschnitt: Das ›Zum Beispieh in der Analyse.
3) Ich entdeckte nachträglich auch in den Breuer-Freudschen Studien über Hysterie (II. Auflage [1909], S. 184 [›Theoretisches‹ von J. Breuer; nicht in die G. W. aufgenommen]) eine Notiz, die die Machschen ›Bewegungsempfindungen‹ mit hysterischen Phänomenen in Parallele bringt. Um so wahrscheinlicher, daß sich Mach mit den Studien eingehender beschäftigte.