Zur Frage der Beeinflussung des Patienten in der Psychoanalyse

(1919)


Auf dem IV. Internationalen Psychoanalytischen Kongreß zu München, wo so viele bis dahin latente Meinungsverschiedenheiten unter den Mitgliedern klar zutage traten, hielt unter anderen Kollege Dr. Bjerre (Stockholm) einen Vortrag, in dem er, nicht unähnlich den Züricher Sezessionisten, die rein psychoanalytische Therapie mit einer ärztlichen und ethischen Erziehung des Patienten zu kombinieren vorschlug. Da sich Bjerre damals ausdrücklich gegen gewisse diesbezügliche und seiner Auffassung widersprechende Äußerungen meinerseits wendete, sah ich mich veranlaßt, diese zu verteidigen und nochmals zu betonen, daß sich die psychoanalytische Therapie in der methodischen Aufklärung und Überwindung der inneren Widerstände des Patienten erschöpfen muß und ohne sonstiges aktives Eingreifen wirkliche Erfolge erzielen kann. Insbesondere warnte ich bei dieser Gelegenheit davor, die psychoanalytische Kur mit der sogenannten Suggestion (Übertragungskur) zu vermengen.  

Nun finden sich in einer früheren Nummer umserer Internationalen Zeitschrift für Psychoanalyse1) zwei einander widersprechende Äußerungen über diese Frage. Jones sagt in seiner klaren und scharfen Antikritik der Janetschen Auffassung der Psychoanalyse unter anderem: »Niemals rate ein Psychoanalytiker dem Patienten, am wenigsten zur Aufnahme des Geschlechtsverkehrs.« In den ersten Zeilen einer Mitteilung von Sadger hingegen wird das Verhalten eines Patienten geschildert, nachdem er »infolge meines (des Autors) Rates zum erstenmal koitiert hatte«.  

Ich glaube, daß die Wichtigkeit des Problems die neuerliche Aufrollung der Frage, ob der Analytiker dem Patienten Ratschläge erteilen darf, rechtfertigt.

Nach dem, was ich in München darüber äußerte, scheint es, als ob ich hier unbedingt Jones recht geben und Sadgers Verfahren verwerfen müßte. Daß ich es nicht tue, sondern Jones' Äußerung für eine Übertreibung erkläre, bedarf also der Rechtfertigung.  

In mehreren Fällen von Angsthysterie und hysterischer Impotenz machte ich die Erfahrung, daß die Analyse bis zu einem gewissen Punkt glatt vonstatten ging; die Patienten waren voll einsichtig, aber der therapeutische Erfolg ließ immer noch auf sich warten, ja die Einfalle begannen sich mit einer gewissen Monotonie zu wiederholen, als hätten die Patienten nichts mehr zu sagen, als hätte sich ihr Unbewußtes erschöpft. Natürlich hätte das - wenn es wahr gewesen wäre - der psychoanalytischen Theorie von den unbewußten Quellen der Neurosen widersprochen.  

In dieser Not kam mir ein mündlich erteilter Rat Professor Freuds zu Hilfe. Er klärte mich auf, daß man die Angsthysterischen nach einer gewissen Zeit dazu auffordern muß, ihre phobisch gesicherte Einstellung zu verlassen und gerade das zu versuchen, wovor sie am meisten Angst haben. Solche Ratschläge kann der Arzt vor sich wie vor dem Patienten damit rechtfertigen, daß jeder solche Versuch frisches, noch unberührtes psychoanalytisches Material zum Vorschein bringt, das ohne diese Aufrüttelung nur viel später oder überhaupt nicht zu erlangen gewesen wäre.  

Ich folgte dieser Weisung meines Lehrers und kann von dem Erfolg das Beste sagen. Die Heilung vieler Patienten ging wirklich in Schüben von durch die ›Aufmischungen‹ hervorgebrachter Besserung vor sich.  

Die Gegner der Psychoanalyse werden uns vorhalten, daß ja dies nichts anderes als eine verkappte Form der Suggestion oder Gewöhnungskur sei. Ich aber antworte ihnen: si duo faciunt idem non est idem.  

Erstens versprechen wir dem Patienten nie, daß er von dem Versuch gesund werden wird; im Gegenteil, wir bereiten ihn auf die eventuelle Verschlimmerung seines subjektiven Zustandes unmittelbar nach den Versuchen vor. Wir sagen ihm nur, - und das mit Recht, - daß sich der Versuch in ultima analysi als für die Kur vorteilhaft erweisen wird.  

Zweitens verzichten wir dabei auf alle sonst gebräuchlichen Mittel des gewaltsamen oder schmeichelnden Suggerierens und stellen es dem Patienten anheim, ob er sich zu diesem Versuche entschließt. Er muß schon einen ziemlich hohen Grad psychoanalytischer Einsicht in der Kur erworben haben, wenn er unserer Aufforderung nachkommt.  

Schließlich leugne ich durchaus nicht, daß bei diesen Versuchen auch Elemente der Übertragung - also desselben Mittels, mit dem die Hypnotiseure ausschließlich arbeiten - mitwirken. Während aber die Übertragung auf den Arzt bei letzteren direkt als Heilmittel wirken soll, dient sie bei der Freudschen Psychoanalyse nur dazu, die Widerstände des Unbewußten zu lockern. Vor der vollen Beendigung der Kur läßt übrigens der Arzt den Patienten sogar in diese seine Karten blicken und entläßt ihn in voller Unabhängigkeit.  

In diesem Sinne meine ich, daß Sadger recht hatte, als er seinen Patienten zu einer bislang gemiedenen Handlung anhielt, und daß Jones übertrieb, als er sagte, daß der Psychoanalytiker überhaupt nie einen Rat gibt.  

Ich glaube, daß diese Auffassung der seinerzeit Bjerre gegenüber verfochtenen Reinheit der psychoanalytischen Therapie nicht widerspricht.  

 

1) [Ernest Jones, ›Professor Janet über Psydioanalyse‹], S. 39; [Isidor Sadger, ›Kleine Mitteilungen aus der psychoanalytischen Praxis‹], S. 48.  


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