Pecunia — olet
(1917)
A
Ein junger Kaufmann war längere Zeit hindurch wegen seiner Zwangsund Angstzustände bei mir in Behandlung, die ich aber nicht ganz zu Ende führen konnte, weil die eingetretene Besserung, wie so oft, vom Widerstand als Motiv zum Abbrechen der Kur benützt wurde. Den aktuellen Anlaß zu seiner Erkrankung gab, wie die Analyse bald aufdeckte, das Verhältnis zu seiner Frau. Ich mußte dem Patienten auf Grund sehr deutlicher Anzeichen klarlegen, daß er am Konflikt zwischen der Geldliebe (Analerotik) und der übrigen Sexualität scheiterte. Er heiratete eine mehr als wohlhabende Frau, in die er nicht verliebt war, während sein Ubw von interesseloser Hingebung träumte; u. a. dachte er oft auch bewußt an ein ganz mittelloses, aber liebreizendes Weib, an dessen Seite er vielleicht das Glück, nach dem er sich sehnte, gefunden hätte. Ich mußte allerdings dem Patienten nahelegen, daß auch dieses Glück kein ungetrübtes gewesen wäre, da ja dabei seine nicht minder starke andere Leidenschaft, die Geldliebe, leer ausgegangen wäre.
Bei einem unserer Gespräche brachte nun der Patient die meiner Ansicht nach entscheidende Bestätigung der vorausgegangenen Deutungen. Er erinnerte sich, daß er kurz nach seiner Verlobung, beim intimen Beisammensein mit der Braut, plötzlich von einem unangenehmen Geruch aus ihrem Munde erschreckt wurde. Er entfernte sich unvermittelt, eilte zu einem Vertrauten und wollte die Verlobung sofort rückgängig machen. Man beruhigte ihn, und da der üble Geruch sich nicht mehr zeigte, ließ er von seinem Vorhaben ab, - die Heirat ging vonstatten. Diese Erinnerung mußte ich wie folgt erklären: Ein an sich offenbar unbedeutender Geruch aus dem Munde der Braut verknüpfte sich assoziativ mit der ursprünglichen Analerotik des Patienten, aus der die Geldliebe hervorging; er war nahe daran, sich einzugestehen, daß er des Geldes wegen zu heiraten im Begriffe steht; vor dieser Möglichkeit wollte er mit derselben Angst die Flucht ergreifen, wie vor den eigenen schlecht verdrängten analerotischen Triebregungen. Es lag hier also ein Fall von Charakterregression vor, der Rückfall eines Charakterzuges (Geldliebe) auf seine erotische Vorstufe.1) Der ubw Phantasie gelang es für einen Augenblick, den Mund der Braut zur Analöffnung zu machen.
Wer nicht viel Erfahrung in der Psychoanalyse hat, wird diese Erklärung außerordentlich gezwungen und gewiß sehr antipathisch finden. Er wird - wie ich es so häufig höre - fragen: »Warum muß denn hier wieder die sogenannte ›Analerotik‹ eine Rolle spielen? Läßt sich der Fall nicht einfach aus der ganz verständlichen Aversion jedes Kulturmenschen gegen einen schlechten Geruch, der ja im gegebenen Fall vorhanden gewesen ist, ohne Zuhilfenahme der ›Charakterregression‹ einfacher erklären?«
Anstatt mich auf diese Fragen einzulassen, will ich kurz einen zweiten Fall mitteilen.
B
Einer Frau, die in ihren Mann leidenschaftlich verliebt zu sein wähnt, halte ich vor, daß bei ihr verschiedene Symptome darauf hindeuten, daß sie ihren Mann eigentlich aus Interesse geheiratet hat und, da sie so etwas mit ihrem Charakter für unvereinbar hält, ihre Leidenschaft zum Manne übertreibt. Nach längerem Widerstande mußte sie nun sich und mir eingestehen, daß sie zur Zeit der Verlobung eigentlich einen anderen jungen Mann ihrem späteren Manne vorgezogen hat, weiters, daß sie und ihre Familie sich damals in großer materieller Not befanden, schließlich, daß ihr Mann damals für einen reichen Erben galt.
Ich wies, wie im obigen Falle, auf die Analerotik hin, worauf die Patientin sofort mit folgender Erinnerung reagierte:
»Als ich den jungen Mann, in den ich früher verliebt war, nach meiner Verlobung zum erstenmal sah, ereignete sich folgendes: Er begrüßte mich und küßte mir die Hand; in diesem Augenblick durchzuckte mich der Gedanke, daß ich kurz vorher am Klosett war und noch keine Gelegenheit hatte, mir die Hände zu waschen. Am Ende riecht er an meinen Fingern Kotgeruch! Meine Angst wurde so stark, daß ich sofort die Finger an die Nase führen und auf Geruch untersuchen mußte, wobei es mir vorkam, als ob eine anwesende Freundin ironisch lächelte.«
Natürlich deutete ich diesen Erinnerungseinfall als Bestätigung meiner schon erwähnten Annahmen und fügte hinzu, daß sie sich eigentlich davor ängstigte, der junge Mann könnte an ihr ›riechen‹, daß sie aus Interesse heiratet. Hinter der Szene mußte ich übrigens die Wiederholung infantiler Kotspiele vermuten. Die Patientin erinnerte sich dunkel, solche Spiele mit ihrem Bruder im Klosett aufgeführt zu haben.
Ich muß es dem Leser überlassen, die große Übereinstimmung zwischen den mitgeteilten beiden Fällen für Zufälligkeit zu erklären, oder ihr einen Sinn zuzugestehen, eventuell den Sinn, den ihr die Psychoanalyse zuschreibt. Betonen muß ich aber bei dieser Gelegenheit, daß die Psychoanalyse ihre Thesen niemals auf Spekulation, sondern immer auf die Häufung solcher Übereinstimmungen, also auf Tatsachen gründet. Die Beantwortung der Frage, woher diese Übereinstimmungen stammen, ist eine andere Aufgabe; die Analyse wird die Antwort darauf gewiß nicht schuldig bleiben. Sie kann sich aber nicht dazu drängen lassen, Erklärungen zu geben, solange sie nur über Tatsachen verfügt. Es ist jedenfalls ungerechtfertigt, die Nachprüfung von Tatsachen aus logischen Gründen abzulehnen.
Das lateinische Sprichwort, das ich in veränderter Fassung zum Titel dieser Mitteilung wählte, erscheint nach den obigen Auseinandersetzungen in neuem Lichte. Der Satz: das Geld stinkt nicht, ist ein Euphemismus mittels Umkehrung. Im Ubw heißt es sicherlich: Pecunia olet, d. h. Geld = Kot.
1) Vgl. ›Passagère Symptombildungen während der Analyse‹; ›Mischgebilde von erotischen und Charakterzügen‹.