6. Der Tageslauf der Utopier


Und doch ist dies fast allenthalben sonst das harte Arbeitslos der Dienstbarkeit und der Handwerker, ausgenommen bei den Utopiern, die, obwohl sie den Tag mit Hinzurechnung der Nacht in vierundzwanzig gleiche Stunden teilen, doch nur sechs für die Arbeit bestimmen; drei Stunden Vormittags, worauf sie zur Mittagsmahlzeit gehen; nach dem Essen zwei Stunden Ruhezeit, dann wieder drei der Arbeit gewidmete, worauf sie mit dem Abendmahl Feierabend machen. Da sie die erste Stunde von Mittag an rechnen, so gehen sie um acht Uhr schlafen und widmen acht Stunden dem Schlafe.

Die Zeit zwischen den Stunden der Arbeit, dem Schlafe und dem Essen ist jedem nach seinem Gutdünken freigestellt; nicht dass er dieselbe in Üppigkeit oder in Trägheit verbringen soll, sondern was ihm von seiner Handwerkstätigkeit freie Zeit bleibt, das verwendet jeder nach seiner individuellen Neigung auf die Erlernung einer andern Fertigkeit. Die Mußezwischenzeit verwenden die Meisten für die Wissenschaften. Denn es ist ein sehr schöner Gebrauch, täglich in den Frühstunden öffentlichen Unterricht zu halten, welchem diejenigen beiwohnen müssen, die speziell für die Wissenschaften bestimmt sind. Übrigens besuchen diese Unterrichtsstunden zahlreiche Männer und Frauen aus allen Ständen, der Eine diese, ein Andrer andere, wie jeder eben Lust und Geschmack hat. Wenn aber jemand auch diese Zeit lieber mit seiner Beschäftigung verbringt, wie so Mancher tut (dessen Geist nicht zum reinen wissenschaftlichen Denken angelegt ist), so wird ihm das nicht verwehrt, sondern er wird dafür noch gelobt, weil er dem Gemeinwohl sich so nützlich erweist.

Nach dem Abendessen verbringen sie eine Stunde mit Spielen, im Sommer in den Gärten, im Winter in den gemeinschaftlichen Speisesälen. Dort treiben sie entweder Musik, oder ergötzen sich im Gespräche. Das Würfelspiel und derartige alberne und verderbliche Spiele kennen sie nicht. Aber zwei Spiele sind im Schwange, die eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Schachspiel haben. Das eine ist ein Kampf der Zahlen, worin eine Zahl die andere raubt. In dem andern kämpfen Laster mit Tugenden in aufgestellter Schlachtordnung. In diesem Spiele wird sehr sinnreich sowohl der Widerstreit der Laster untereinander, wie ihr einmütiges Zusammenhalten gegen die Tugenden gezeigt, ebenso, welche Laster das Widerspiel der verschiedenen Tugenden sind, mit welchen Kräften sie sich offen gegen diese empören, und mit welchen geheimen Ränken sie ihnen auf krummen Wegen nachstellen, und mit welchen Hilfsmitteln andererseits die Tugenden die Macht der Laster brechen und ihre Lockungen vereiteln und auf welche Art und Weise der Sieg auf der einen oder andern Seite errungen wird.


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