Stellung der Kunst im Verhältnis zur endlichen Wirklichkeit und zur Religion und Philosophie

 

Dies ist der Punkt, bei welchem wir in der Philosophie der Kunst zu beginnen haben. Denn das Kunstschöne ist weder die logische Idee, der absolute Gedanke, wie er im reinen Elemente des Denkens sich entwikkelt, noch ist es umgekehrt die natürliche Idee, sondern es gehört dem geistigen Gebiete an, ohne jedoch bei den Erkenntnissen und Taten des endlichen Geistes stehenzubleiben. Das Reich der schönen Kunst ist das Reich des absoluten Geistes. Daß dies der Fall sei, können wir hier nur andeuten; der wissenschaftliche Beweis fällt den vorangehenden philosophischen Disziplinen anheim; der Logik, deren Inhalt die absolute Idee als solche ist, der Naturphilosophie wie der Philosophie der endlichen Sphären des Geistes. Denn in diesen Wissenschaften hat sich darzutun, wie die logische Idee ihrem eigenen Begriff nach sich ebensosehr in das Dasein der Natur umzusetzen als aus dieser Äußerlichkeit zum Geist und aus der Endlichkeit desselben wiederum zum Geist in seiner Ewigkeit und Wahrheit zu befreien hat.

Aus diesem Standpunkte, welcher der Kunst in ihrer höchsten, wahrhaften Würde gebührt, erhellt sogleich, daß sie mit Religion und Philosophie sich auf demselben Gebiete befindet. In allen Sphären  des absoluten Geistes enthebt der Geist sich den beengenden Schranken seines Daseins, indem er sich aus den zufälligen Verhältnissen seiner Weltlichkeit und dem endlichen Gehalte seiner Zwecke und Interessen zu der Betrachtung und dem Vollbringen seines Anundfürsichseins erschließt.

Diese Stellung der Kunst im Gesamtgebiete des natürlichen und geistigen Lebens können wir zum näheren Verständnis konkreter in folgender Weise auffassen.

Überblicken wir den totalen Inhalt unseres Daseins, so finden wir schon in unserem gewöhnlichen Bewußtsein die größte Mannigfaltigkeit der Interessen und ihrer Befriedigung. Zunächst das weite System der physischen Bedürfnisse, für welche die großen Kreise der Gewerbe in ihrem breiten Betrieb und Zusammenhang, Handel, Schiffahrt und die technischen Künste arbeiten; höher hinauf die Welt des Rechts, der Gesetze, das Leben in der Familie, die Sonderung der Stände, das ganze umfassende Gebiet des Staats, sodann das Bedürfnis der Religion, das sich in jedem Gemüte findet und in dem kirchlichen Leben sein Genügen erhält; endlich die vielfach geschiedene und verschlungene Tätigkeit in der Wissenschaft, die Gesamtheit der Kenntnis und Erkenntnis, welche alles in sich faßt. Innerhalb dieser Kreise tut sich nun auch die Tätigkeit in der Kunst, das Interesse für die Schönheit und die geistige Befriedigung in deren Gebilden hervor. Da fragt es sich nun nach der inneren Notwendigkeit solch eines Bedürfnisses im Zusammenhange der übrigen Lebens- und Weltgebiete. Zunächst finden wir diese Sphären nur überhaupt als vorhandene vor. Der wissenschaftlichen Förderung nach handelt es sich aber um die Einsicht in ihren wesentlichen inneren Zusammenhang und ihre wechselseitige Notwendigkeit. Denn sie stehen nicht etwa nur im Verhältnis des bloßen Nutzens zueinander, sondern vervollständigen sich, insofern in dem einen Kreise höhere Weisen der Tätigkeit liegen als in dem anderen; weshalb der untergeordnetere über sich selbst hinausdrängt und nun durch tiefere Befriedigung weitergreifender Interessen das ergänzt wird, was in einem früheren Gebiete keine Erledigung finden kann. Erst dies gibt die Notwendigkeit eines inneren Zusammenhanges.

Erinnern wir uns desjenigen, was wir schon über den Begriff des Schönen und der Kunst festgestellt haben, so fanden wir darin Gedoppeltes: erstens einen Inhalt, einen Zweck, eine Bedeutung, sodann den Ausdruck, die Erscheinung und Realität dieses Inhalts,  und beide Seiten drittens so voneinander durchdrungen, daß das Äußere, Besondere ausschließlich als Darstellung des Inneren erscheint. Im Kunstwerk ist nichts vorhanden, als was wesentliche Beziehung auf den Inhalt hat und ihn ausdrückt. Was wir den Inhalt, die Bedeutung nannten, ist das in sich Einfache, die Sache selbst auf ihre einfachsten, wenn auch umfassenden Bestimmungen zurückgebracht, im Unterschiede der Ausführung. So läßt z. B. sich der Inhalt eines Buches in ein paar Worten oder Sätzen anzeigen, und es darf nichts anderes im Buche vorkommen, als wovon im Inhalt das Allgemeine bereits angegeben ist. Dies Einfache, dies Thema gleichsam, das die Grundlage für die Ausführung bildet, ist das Abstrakte, die Ausführung dagegen erst das Konkrete.

Beide Seiten nun aber dieses Gegensatzes haben nicht die Bestimmung, gleichgültig und äußerlich nebeneinander zu bleiben - wie z. B. einer mathematischen Figur, Dreieck, Ellipse, als dem in sich einfachen Inhalt, in der äußeren Erscheinung die bestimmte Größe, Farbe usf. gleichgültig ist -, sondern die als bloßer lnhalt abstrakte Bedeutung hat in sich selbst die Bestimmung, zur Ausführung zu kommen und sich dadurch konkret zu machen. Damit tritt wesentlich ein Sollen ein. Wie sehr auch ein Gehalt für sich selber gelten kann, so sind wir doch mit dieser abstrakten Geltung nicht zufrieden und verlangen nach Weiterem. Zunächst ist dies nur ein unbefriedigtes

Bedürfnis und im Subjekt als etwas Ungenügendes, das sich aufzuheben und zur Befriedigung fortzuschreiten strebt. Wir können in diesem Sinne sagen, der Inhalt sei zunächst subjektiv, ein nur Inneres, dem gegenüber das Objektive steht, so daß nun die Forderung darauf hinausläuft, dies Subjektive zu objektivieren. Solch ein Gegensatz des Subjektiven und der gegenüberliegenden Objektivität, sowie das Sollen, ihn aufzuheben, ist eine schlechthin allgemeine Bestimmung, welche sich durch alles hindurchzieht. Schon unsere physische Lebendigkeit und mehr noch die Welt unserer geistigen Zwecke und Interessen beruht auf der Forderung, was zunächst nur subjektiv und innerlich da ist, durchzuführen durch die Objektivität und dann erst in diesem vollständigen Dasein sich befriedigt zu finden. Indem nun der Inhalt der Interessen und Zwecke zunächst nur in der einseitigen Form des Subjektiven vorhanden und die Einseitigkeit eine Schranke ist, erweist sich dieser Mangel zugleich als eine Unruhe, ein Schmerz, als etwas Negatives, das sich als Negatives aufzuheben hat und deshalb, dem empfundenen Mangel abzuhelfen, die gewußte, gedachte Schranke zu überschreiten treibt. Und zwar nicht in dem Sinne, daß dem Subjektiven überhaupt nur die andere Seite, das Objektive, abgehe, sondern in dem bestimmteren Zusammenhange, daß dies Fehlen im Subjektiven selbst und für dasselbe ein Mangel und eine Negation in ihm selber sei, welche es wieder zu negieren strebt. An sich selbst nämlich, seinem Begriffe nach, ist das Subjekt das Totale, nicht das Innere allein, sondern ebenso auch die Realisation dieses Inneren am Äußeren und in demselben. Existiert es nun einseitig nur im der einen Form, so gerät es dadurch gerade in den Widerspruch, dem Begriff nach das Ganze, seiner Existenz nach aber nur die eine Seite zu sein. Erst durch das Aufheben solcher Negation in sich selbst wird sich daher das Leben affirmativ. Diesen Prozeß des Gegensatzes, Widerspruches und der Lösung des Widerspruches durchzumachen ist das höhere Vorrecht lebendiger Naturen; was von Hause aus nur affirmativ ist und bleibt, ist und bleibt ohne Leben. Das Leben geht zur Negation und deren Schmerz fort und ist erst durch die Tilgung des Gegensatzes und Widerspruches für sich selbst affirmativ. Bleibt es freilich beim bloßen Widerspruche, ohne ihn zu lösen, stehen, dann geht es an dem Widerspruch zugrunde.

Dies wären, in ihrer Abstraktion betrachtet, die Bestimmungen, deren wir an dieser Stelle bedürfen.

 


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