Stellung der Kunst im Verhältnis zur endlichen Wirklichkeit und zur Religion und Philosophie
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Durch die Beschäftigung mit dem Wahren als dem absoluten Gegenstande des Bewußtseins gehört nun auch die Kunst der absoluten Sphäre des Geistes an und steht deshalb mit der Religion im spezielleren Sinne des Worts wie mit der Philosophie ihrem Inhalte nach auf ein und demselben Boden. Denn auch die Philosophie hat keinen anderen Gegenstand als Gott und ist so wesentlich rationelle Theologie und als im Dienste der Wahrheit fortdauernder Gottesdienst.
Bei dieser Gleichheit des Inhalts sind die drei Reiche des absoluten Geistes nur durch die Formen unterschieden, in welchen sie ihr Objekt, das Absolute, zum Bewußtsein bringen.
Die Unterschiede dieser Formen liegen im Begriff des absoluten Geistes selber. Der Geist als wahrer Geist ist an und für sich und dadurch kein der Gegenständlichkeit abstraktjenseitiges Wesen, sondern innerhalb derselben im endlichen Geiste die Erinnerung des Wesens aller Dinge: das Endliche in seiner Wesentlichkeit sich ergreifend und somit selber wesentlich und absolut. Die erste Form nun dieses Erfassens ist ein unmittelbares und eben darum sinnliches Wissen, ein Wissen in Form und Gestalt des Sinnlichen und Objektiven selber, in welchem das Absolute zur Anschauung und Empfindung kommt. Die zweite Form sodann ist das vorstellende Bewußtsein, die dritte endlich das freie Denken des absoluten Geistes.
1. Die Form der sinnlichen Anschauung nun gehört der Kunst an, so daß die Kunst es ist, welche die Wahrheit in Weise sinnlicher Gestaltung für das Bewußtsein hinstellt, und zwar einer sinnlichen Gestaltung, welche in dieser ihrer Erscheinung selbst einen höheren, tieferen Sinn und Bedeutung hat, ohne jedoch durch das sinnliche Medium hindurch den Begriff als solchen in seiner Allgemeinheit erfaßbar machen zu wollen; denn gerade die Einheit desselben mit der individuellen Erscheinung ist das Wesen des Schönen und dessen Produktion durch die Kunst. Nun vollbringt sich diese Einheit allerdings in der Kunst auch im Elemente der Vorstellung und nicht nur in dem sinnlicher Äußerlichkeit, besonders in der Poesie; doch auch in dieser geistigsten Kunst ist die Einigung von Bedeutung und individueller Gestaltung derselben - wenn auch für das vorstellende Bewußtsein vorhanden und jeder Inhalt in unmittelbarer Weise gefaßt und an die Vorstellung gebracht. Überhaupt ist sogleich festzustellen, daß die Kunst, da sie das Wahre, den Geist zu ihrem eigentlichen Gegenstande hat, die Anschauung desselben nicht durch die besonderen Naturgegenstände als solche, durch Sonne z. B., Mond, Erde, Gestirne usw., zu geben vermag. Dergleichen sind freilich sinnliche Existenzen, aber vereinzelte, welche für sich genommen die Anschauung des Geistigen nicht gewähren.
Wenn wir der Kunst nun diese absolute Stellung geben, so lassen wir dadurch ausdrücklich die oben bereits erwähnte Vorstellung beiseite liegen, welche die Kunst als zu vielfach anderweitigem Inhalt und sonstigen ihr fremden Interessen brauchbar annimmt. Dagegen bedient sich die Religion häufig genug der Kunst, um die religiöse Wahrheit näher an die Empfindung zu bringen oder für die Phantasie zu verbildlichen, und dann steht die Kunst allerdings in dem Dienste eines von ihr unterschiedenen Gebiets. Wo die Kunst jedoch in ihrer höchsten Vollendung vorhanden ist, da enthält sie gerade in ihrer bildlichen Weise die dem Gehalt der Wahrheit entsprechendste und wesentlichste Art der Exposition. So war bei den Griechen z. B. die Kunst die höchste Form, in welcher das Volk die Götter sich vorstellte und sich ein Bewußtsein von der Wahrheit gab. Darum sind die Dichter und Künstler den Griechen die Schöpfer ihrer Götter geworden, d. h. die Künstler haben der Nation die bestimmte Vorstellung vom Tun, Leben, Wirken des Göttlichen, also den bestimmten Inhalt der Religion gegeben. Und zwar nicht in der Art, daß diese Vorstellungen und Lehren bereits vor der Poesie in abstrakter Weise des Bewußtseins als allgemeine religiöse Sätze und Bestimmungen des Denkens vorhanden gewesen und von den Künstlern sodann erst in Bilder eingekleidet und mit dem Schmuck der Dichtung äußerlich umgeben worden wären, sondern die Weise des künstlerischen Produzierens war die, daß jene Dichter, was in ihnen gärte, nur in dieser Form der Kunst und Poesie herauszuarbeiten vermochten. Auf anderen Stufen des religiösen Bewußtseins, auf welchen der religiöse Gehalt sich der künstlerischen Darstellung weniger zugänglich zeigt, behält die Kunst in dieser Beziehung einen beschränkteren Spielraum.
Dies wäre die ursprüngliche, wahre Stellung der Kunst als nächste unmittelbare Selbstbefriedigung des absoluten Geistes.
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