2. Das Verhältnis des Ideals zur Natur
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b) Ein anderes, tiefer dringendes Interesse jedoch geht darauf, daß der Inhalt nicht nur in den Formen, in denen er sich uns in seiner unmittelbaren Existenz darbietet, zur Darstellung komme, sondern als vom Geiste gefaßt nun auch innerhalb jener Formen erweitert und anders gewendet werde. Was natürlich existiert, ist schlechthin ein Einzelnes, und zwar nach allen Punkten und Seiten vereinzelt. Die Vorstellung dagegen hat die Bestimmung des Allgemeinen in sich, und was aus ihr hervorgeht, erhält schon dadurch den Charakter der Allgemeinheit im Unterschiede natürlicher Vereinzelung. Die Vorstellung gewährt in dieser Beziehung den Vorteil, daß sie von weiterem Umfange und dabei fähig ist, das Innere zu fassen, herauszuheben und sichtbarer zu explizieren. Nun ist zwar das Kunstwerk nicht bloß allgemeine Vorstellung, sondern deren bestimmte Verkörperung; aber als aus dem Geist und dessen vorstellendem Elemente hervorgegangen, muß es diesen Charakter des Allgemeinen, seiner anschaulichen Lebendigkeit unerachtet, durch sich hindurchziehen lassen. Dies gibt die höhere Idealität des Poetischen gegen jene formelle des bloßen Machens. Hier nun ist es die Aufgabe des Kunstwerks, den Gegenstand in seiner Allgemeinheit zu ergreifen und in der äußeren Erscheinung desselben dasjenige fortzulassen, was für den Ausdruck des Inhalts bloß äußerlich und gleichgültig bleiben würde. Der Künstler deshalb nimmt nicht alles das in Formen und Ausdrucksweisen auf, was er draußen in der Außenwelt vorfindet und weil er's vorfindet; sondern er greift nur nach den rechten und dem Begriff der Sache gemäßen Zügen, wenn er echte Poesie zustande bringen will. Nimmt er sich die Natur und ihre Hervorbringungen, überhaupt das Vorhandene zum Vorbild, so geschieht es nicht, weil die Natur es soundso gemacht, sondern weil sie es recht gemacht hat; dies »recht« aber ist ein Höheres als das Vorhandene selber.
Bei der menschlichen Gestalt z. B. verfährt der Künstler nicht, wie man etwa bei Restauration alter Gemälde auch in den neugemalten Stellen die Sprünge wieder nachahmt, welche durch das Springen des Firnisses und der Farben alle die übrigen älteren Teile des Bildes wie mit einem Netz überzogen haben, sondern das Netz der Haut, und mehr noch die Sommersprossen, Bläschen, einzelnen Pockennarben, Leberflecke usw., läßt selbst die Porträtmalerei fort, und der berühmte Denner ist in seiner sogenannten Natürlichkeit nicht zum Muster zu nehmen. Ebenso werden auch wohl die Muskeln und Adern angedeutet, doch dürfen sie nicht mit dieser Bestimmtheit und Ausführlichkeit wie in der Natur heraustreten. Denn in alledem ist wenig oder nichts Geistiges, und der Ausdruck des Geistigen ist das Wesentliche in der menschlichen Gestalt. Weshalb ich es auch nicht so durchaus nachteilig finden kann, daß bei uns z. B. weniger nackte Statuen gemacht werden als bei den Alten. Dagegen ist der heutige Zuschnitt unserer Anzüge unkünstlerisch und prosaisch der idealeren Gewandung der Alten gegenüber. Beiden Bekleidungen ist der Zweck gemeinsam, den Körper zu bedecken. Die Kleidung nun aber, welche die antike Kunst darstellt, ist eine mehr oder weniger für sich selbst formlose Fläche und wird nur etwa dadurch determiniert, daß sie einer Befestigung am Körper, an der Schulter z. B., bedarf. Im übrigen bleibt das Gewand formbar und hängt einfach und frei nach der ihm eigenen immanenten Schwere herab oder wird durch die Stellung des Körpers, durch die Haltung und Bewegung der Glieder bestimmt. Die Determinierbarkeit, in welcher sich dartut, das Äußere diene ganz nur dem veränderlichen Ausdruck des Geistes, der in dem Körper erscheint, so daß die besondere Form des Gewandes, der Faltenwurf, das Herabhängen und Emporgezogensein ganz von innen her sich gestaltet und sich nur momentan gerade dieser Stellung oder Bewegung anpassend zeigt, - diese Bestimmbarkeit macht das Ideale in der Kleidung aus. In unseren modernen Anzügen dagegen ist der ganze Stoff fertig und nach den Formen der Gliedmaßen zugeschnitten und genäht, so daß eine eigene Freiheit des Fallens nicht mehr oder nur im geringsten Grade vorhanden ist. Denn auch die Art der Falten ist durch die Nähte bestimmt und überhaupt Schnitt und Fall ganz technisch und handwerksmäßig durch den Schneider bewirkt. Nun reguliert zwar der Bau der Glieder im allgemeinen die Form der Kleider; aber in dieser Körperform sind sie gerade nur eine schlechte Nachäffung oder nach konventioneller Mode und zufälliger Laune der Zeit eine Verunstaltung der menschlichen Glieder, und der einmal fertige Schnitt bleibt nun immer derselbe, ohne durch Stellung und Bewegung bestimmt zu erscheinen; wie z. B. die Rockärmel und Hosen sich gleichbleiben, wir mögen Arme und Beine so oder anders bewegen. Die Falten höchstens ziehen sich in verschiedener Weise, immer aber nach den festen Nähten, wie die Beinkleider z. B. an der Statue von Scharnhorst. Unsere Art der Bekleidung also ist als Äußeres nicht genug von dem Inneren abgeschieden, um dann umgekehrt von innen her gestaltet zu erscheinen, sondern in falscher Nachahmung der Naturform ebenso wieder für sich in dem einmal angenommenen Schnitt fertig und unveränderlich.
Das Ähnliche, was wir soeben in betreff auf die menschliche Gestalt und deren Bekleidung sahen, gilt nun auch von einer Menge sonstiger Äußerlichkeiten und Bedürfnisse im menschlichen Leben, welche für sich notwendig und allen Menschen gemeinsam sind, ohne daß sie jedoch in Beziehung mit den wesentlichen Bestimmungen und Interessen stehen, welche das eigentliche, seinem Gehalt nach Allgemeine im menschlichen Dasein ausmachen, wie mannigfaltig auch alle diese physischen Bedingungen, als z. B. Essen, Trinken, Schlafen, Ankleiden usf., in die vom Geiste ausgehenden Handlungen äußerlich verflochten sein mögen. Dergleichen kann nun allerdings mit in die poetische Kunstdarstellung aufgenommen werden, und man gesteht z. B. dem Homer in dieser Beziehung die größte Natürlichkeit zu. Dennoch muß auch er sich, aller (svägveia)!!!!, aller Deutlichkeit für die Anschauung zum Trotz, darauf beschränken, solcher Zustände nur im allgemeinen zu erwähnen, und es wird keinem die Forderung einfallen, daß in dieser Beziehung alle Einzelheiten, wie das vorhandene Dasein sie gibt, sollten aufgezählt und beschrieben werden. Wie auch bei der Körperschilderung des Achill wohl der hohen Stirn, der wohlgebauten Nase, der langen, starken Beine Erwähnung geschehen kann, ohne daß jedoch die Einzelheit der wirklichen Existenz dieser Glieder Punkt für Punkt, die Lage und das Verhältnis jedes Teils zum anderen, die Farbe usf., was erst die rechte Natürlichkeit wäre, mit zur Darstellung kommt. Außerdem aber ist bei der Dichtkunst die Art des Ausdrucks immer die allgemeine Vorstellung im Unterschiede der natürlichen Einzelheit; der Dichter gibt statt der Sache stets nur den Namen, das Wort, in welchem das Einzelne zu einer Allgemeinheit wird, indem das Wort von der Vorstellung produziert ist und dadurch schon den Charakter des Allgemeinen in sich trägt. Nun ließe sich zwar sagen, es sei ja in der Vorstellung und im Reden natürlich, den Namen, das Wort als diese unendliche Abkürzung des natürlich Existierenden zu gebrauchen, doch dies wäre dann immer eine jener ersten gerade entgegengesetzte und dieselbe aufhebende Natürlichkeit. Es fragt sich also, welche Art der Natürlichkeit bei jenem Gegensatz gegen das Poetische gemeint ist; denn Natur überhaupt ist ein unbestimmtes, leeres Wort. Die Poesie wird stets nur das Energische, Wesentliche, Bezeichnende herausheben dürfen, und dies ausdrucksvoll Wesentliche ist eben das Ideelle und nicht bloß Vorhandene, dessen Einzelheiten bei irgendeinem Vorfall, einer Szene usf. vorzutragen matt, geistlos, ermüdend und unerträglich werden müßte.
In Beziehung auf diese Art der Allgemeinheit erweist sich jedoch die eine Kunst idealer, die andere mehr gegen die Breite äußerer Anschaulichkeit hin ausgerichtet. Die Skulptur z. B. ist in ihren Gebilden abstrakter als die Malerei, während in der Dichtkunst die epische Poesie einerseits in Rücksicht auf äußere Lebendigkeit der wirklichen Aufführung eines dramatischen Werks nachstehen wird, andererseits aber ebensosehr die dramatische Kunst in Fülle der Anschaulichkeit übertrifft, indem uns der epische Sänger konkrete Bilder aus der Anschauung des Geschehenen vorführt, wogegen der dramatische sich mit den inneren Motiven des Handelns, des Agierens auf den Willen und Reagierens des Inneren zu begnügen hat.
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