2. Das Verhältnis des Ideals zur Natur
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c) Indem es nun ferner der Geist ist, der die innere Welt seines an und für sich interessevollen Gehaltes in Form äußerer Erscheinung realisiert, so fragt es sich auch in dieser Beziehung, welche Bedeutung der Gegensatz von Ideal und Natürlichkeit habe. Das Natürliche kann in dieser Sphäre nicht in dem eigentlichen Sinne des Worts gebraucht werden, denn als Außengestalt des Geistes gilt es nicht nur dadurch, daß es eben unmittelbar wie die tierische Lebendigkeit, die landschaftliche Natur usf. da ist, sondern es erscheint hier seiner Bestimmung nach, insofern es der Geist ist, welcher sich verleiblicht, nur als Ausdruck des Geistigen und somit schon als idealisiert. Denn dies Aufnehmen in den Geist, dies Bilden und Gestalten von seiten des Geistes her heißt eben Idealisieren. Von den Toten sagt man, daß ihr Gesicht die Physiognomie des Kindesalters wieder annehme; der leiblich festgewordene Ausdruck der Leidenschaften, Gewohnheiten und Bestrebungen, das Charakteristische in allem Wollen und Tun ist dann entflohen und die Unbestimmtheit der kindlichen Züge zurückgekehrt. Im Leben aber erhalten die Züge und die ganze Gestalt den Charakter ihres Ausdrucks von dem Innern her; wie denn auch die unterschiedenen Völker, Stände usf. den Unterschied ihrer geistigen Richtungen und Tätigkeiten in der äußeren Gestalt kundgeben. In allen solchen Beziehungen erscheint das Äußere als vom Geist durchdrungen und durch ihn bewirkt, schon der Natur als solcher gegenüber idealisiert. Hier nun erst ist der eigentliche bedeutungsvolle Sitz der Frage nach dem Natürlichen und Idealen. Denn auf der einen Seite wird die Behauptung aufgestellt, die Naturformen des Geistigen wären bereits in der wirklichen, von der Kunst nicht wiedererschaffenen Erscheinung für sich so vollkommen, schön und vortrefflich da, daß es nicht noch ein anderes Schönes geben könne, welches sich als höher und im Unterschiede dieses Vorhandenen als Ideal erwiese, da die Kunst nicht einmal das in der Natur schon Vorgefundene ganz zu erreichen befähigt sei. Auf der anderen Seite ergeht die Forderung, dem Wirklichen gegenüber für die Kunst noch anderweitige, idealere Formen und Darstellungen selbständig aufzufinden. In dieser Rücksicht besonders ist die erwähnte Polemik des Herrn von Rumohr wichtig, der, wenn andere, welche das Ideal im Munde führen, von oben herab verächtlich von gemeiner Natur reden, nun seinerseits mit gleicher Vornehmheit und Verachtung von der Idee und dem Ideale spricht.
Nun gibt es aber in der Tat in der Welt des Geistigen eine äußerlich und innerlich ordinäre Natur, welche äußerlich gemein ist, eben weil das Innere gemein ist und in seinem Handeln und ganzen Äußeren nur Zwecke des Neides, der Scheelsucht, Habbegier im Kleinlichen und Sinnlichen zur Erscheinung bringt. Auch diese gemeine Natur kann sich die Kunst zum Stoffe nehmen und hat es getan. Dann aber bleibt entweder, wie schon vorhin gesagt ist, das Darstellen als solches, die Künstlichkeit des Hervorbringens das einzig wesentliche Interesse, und in diesem Falle würde einem gebildeten Menschen vergeblich zugemutet werden, für das ganze Kunstwerk, d. h. auch für solch einen Inhalt, Teilnahme zu bezeigen, - oder der Künstler muß durch seine Auffassung noch etwas Weiteres und Tieferes daraus machen. Vorzüglich ist es die sogenannte Genremalerei, welche dergleichen Gegenstände nicht verschmäht hat und von den Holländern bis auf die Spitze der Vollendung ist geführt worden. Was hat nun die Holländer zu diesem Genre hingeleitet, welcher Inhalt ist in diesen Bildchen ausgedrückt, die doch die höchste Kraft der Anziehung beweisen? Unter dem Titel gemeiner Natur dürfen sie nicht etwa schlechthin beiseite gestellt und verworfen werden. Denn der eigentliche Stoff dieser Gemälde, untersucht man ihn näher, ist so gemein nicht, als man gewöhnlich glaubt.
Die Holländer haben den Inhalt ihrer Darstellungen aus sich selbst, aus der Gegenwart ihres eigenen Lebens erwählt, und dies Präsente auch durch die Kunst noch einmal verwirklicht zu haben, ist ihnen nicht zum Vorwurf zu machen. Was der Mitwelt vor Augen und Geist gebracht wird, muß ihr auch angehören, wenn es ihr ganzes Interesse soll in Anspruch nehmen. Um zu wissen, worin das damalige Interesse der Holländer bestand, müssen wir ihre Geschichte fragen. Der Holländer hat sich zum größten Teil den Boden, darauf er wohnt und lebt, selber gemacht und ist ihn fortdauernd gegen das Anstürmen des Meers zu verteidigen und zu erhalten genötigt; die Bürger der Städte wie die Bauern haben durch Mut, Ausdauer, Tapferkeit die spanische Herrschaft unter Philipp II., dem Sohne Karls V., dieses mächtigen Königs der Welt, abgeworfen und sich mit der politischen ebenso die religiöse Freiheit in der Religion der Freiheit erkämpft. Diese Bürgerlichkeit und Unternehmungslust im Kleinen wie im Großen, im eigenen Lande wie ins weite Meer hinaus, dieser sorgfältige und zugleich reinliche, nette Wohlstand, die Froheit und Übermütigkeit in dem Selbstgefühl, daß sie dies alles ihrer eigenen Tätigkeit verdanken, ist es, was den allgemeinen Inhalt ihrer Bilder ausmacht. Das aber ist kein gemeiner Stoff und Gehalt, zu dem man freilich nicht mit der Vornehmigkeit einer hohen Nase von Hof und Höflichkeiten her aus guter Gesellschaft herankommen muß. In solchem Sinne tüchtiger Nationalität hat Rembrandt seine berühmte »Wache« in Amsterdam, van Dyck so viele seiner Porträts, Wouwerman seine Reiterszenen gemalt, und selbst jene bäurischen Gelage, Lustigkeiten und behaglichen Spaße gehören hierher.
Wir haben z. B., um ein Gegenstück anzuführen, gleichfalls gute Genrebilder auf unserer diesjährigen Kunstausstellung, doch reichen sie an Kunst der Darstellung noch lange nicht an die gleichartigen der Holländer heran, und auch im Inhalt können sie sich zu der ähnlichen Freiheit und Fröhlichkeit nicht erheben. Wir sehen z. B. eine Frau, welche ins Wirtshaus geht, um ihren Mann auszuzanken. Dies gibt nichts als eine Szene bissiger, giftiger Menschen. Bei den Holländern dagegen in ihren Schenken, bei Hochzeiten und Tänzen, beim Schmausen und Trinken geht es, wenn's auch zu Zänkereien und Schlägen kommt, nur froh und lustig zu, die Weiber und Mädchen sind auch dabei, und das Gefühl der Freiheit und Ausgelassenheit durchdringt alles und jedes. Diese geistige Heiterkeit eines berechtigten Genusses, welche selbst bis in die Tierstücke hereingeht und sich als Sattheit und Lust hervorkehrt, diese frische, aufgeweckte geistige Freiheit und Lebendigkeit in Auffassung und Darstellung macht die höhere Seele solcher Gemälde aus. In dem ähnlichen Sinne sind auch die Betteljungen von Murillo (in der Münchner Zentralgalerie) vortrefflich. Äußerlich genommen, ist der Gegenstand auch hier aus der gemeinen Natur: die Mutter laust den einen Jungen, indes er ruhig sein Brot kaut; zwei andere auf einem ähnlichen Bilde, zerlumpt und arm, essen Melonen und Trauben. Aber in dieser Armut und halben Nacktheit gerade leuchtet innen und außen nichts als die gänzliche Unbekümmertheit und Sorglosigkeit, wie sie ein Derwisch nicht besser haben kann, in dem vollen Gefühle ihrer Gesundheit und Lebenslust hervor. Diese Kummerlosigkeit um das Äußere und die innere Freiheit im Äußeren ist es, welche der Begriff des Idealen erheischt. In Paris gibt es ein Knabenporträt von Raffael: müßig liegt der Kopf auf den Arm gestützt und blickt mit solcher Seligkeit kummerloser Befriedigung ins Weite und Freie, daß man nicht loskommen kann, dies Bild geistiger froher Gesundheit anzuschauen. Die gleiche Befriedigung gewähren uns jene Knaben von Murillo. Man sieht, sie haben keine weiteren Interessen und Zwecke, doch nicht aus Stumpfsinn etwa, sondern zufrieden und selig fast wie die olympischen Götter hocken sie am Boden; sie handeln, sie sprechen nichts, aber sie sind Menschen aus einem Stück, ohne Verdrießlichkeit und Unfrieden in sich; und bei dieser Grundlage zu aller Tüchtigkeit hat man die Vorstellung, es könne alles aus solchem Jungen werden. Das sind ganz andere Auffassungsweisen, als wir bei jener zänkischen, galligen Frau oder dem Bauer sehen, der seine Peitsche zusammenbindet, oder bei dem Postillion, welcher auf der Streu schläft.
Dergleichen Genrebilder nun aber müssen klein sein und auch in ihrem ganzen sinnlichen Anblick als etwas Geringfügiges erscheinen, worüber wir dem äußeren Gegenstande und Inhalte nach hinaus sind. Es würde unerträglich werden, dergleichen in Lebensgröße ausgeführt und dadurch mit dem Ansprüche zu sehen, als ob uns dergleichen wirklich in seiner Ganzheit sollte befriedigen können.
In dieser Weise muß das, was man gemeine Natur zu nennen pflegt, aufgefaßt werden, um in die Kunst eintreten zu dürfen.
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