b. Die handelnden Individuen
« Zurück 1 |
2 |
3 |
4 |
5 Weiter »
ß) Das echt ideale Verhältnis besteht in der Identität der Götter und Menschen, welche auch dann noch durchblicken muß, wenn die allgemeinen Mächte den handelnden Personen und deren Leidenschaften als selbständig und frei gegenübergestellt werden. Der Inhalt der Götter nämlich muß sich sogleich als das eigene Innere der Individuen erweisen, so daß also einerseits die herrschenden Gewalten für sich individualisiert erscheinen, andererseits aber dies dem Menschen Äußere sich als das seinem Geist und Charakter Immanente zeigt. Es bleibt deshalb die Sache des Künstlers, die Unterschiedenheit beider Seiten zu vermitteln und sie durch ein feines Band zu verknüpfen, indem er die Anfänge im menschlichen Innern bemerklich macht, ebenso aber das Allgemeine und Wesentliche, das darin waltet, heraushebt und es für sich individualisiert zur Anschauung bringt. Das Gemüt des Menschen muß sich in den Göttern offenbaren, welche die selbständigen allgemeinen Formen für das sind, was in seinem Inneren treibt und waltet. Dann erst sind die Götter zugleich die Götter seiner eigenen Brust. Hören wir z. B. bei den Alten, Venus oder Amor habe das Herz bezwungen, so sind allerdings Venus und Amor zunächst dem Menschen äußere Gewalten, aber die Liebe ist ebensosehr eine Regung und Leidenschaft, welche der Menschenbrust als solcher angehört und ihr eigenes Inneres ausmacht. In demselben Sinne wird häufig von den Eumeniden gesprochen. Zunächst stellen wir uns die rächenden Jungfrauen als Furien vor, welche den Verbrecher äußerlich verfolgen. Aber diese Verfolgung ist gleichmäßig die innere Furie, welche durch die Brust des Verbrechers zieht, und Sophokles gebraucht sie auch in dem Sinne des Inneren und Eigenen des Menschen, wie sie z. B. im Ödipus auf Kolonos (v. 1434) die Erinnyen des Ödipus selber heißen und den Fluch des Vaters, die Gewalt seines verletzten Gemüts über die Söhne bedeuten. Man hat aher recht und unrecht, die Götter überhaupt immer als entweder nur dem Menschen äußerliche oder ihm nur innerlich innewohnende Mächte zu erklären. Denn sie sind beides. Bei Homer geht deshalb das Tun der Götter und der Menschen stets herüber und hinüber; die Götter scheinen das dem Menschen Fremde zu vollbringen und verrichten doch eigentlich nur dasjenige, was die Substanz seines inneren Gemütes ausmacht. In der llias z. B., als Achill im Streite das Schwert gegen Agamemnon erheben will, tritt Athene hinter ihn und ergreift, allein für ihn sichtbar, sein goldgelbes Haupthaar. Hera, für Achill und Agamemnon gleichmäßig besorgt, sendet sie vom Olymp, und ihr Herzutreten erscheint von Achills Gemüt durchaus unabhängig. Andererseits aber läßt es sich leicht vorstellen, daß die plötzlich erscheinende Athene, die Besonnenheit, welche den Zorn des Helden hemmt, innerlicher Art und das Ganze ein Begebnis sei, das in Achills Gemüt sich zuträgt. Ja, Homer selbst deutet die wenige Verse vorher an (llias, l, v. 190 ff.), indem er beschreibt, wie Achill in seiner Brust beratschlagte:
Ob er, das schneidende Schwert alsbald von der Hülfte sich reißend,
Trennen sie sollt auseinander und niederhaun den Atreiden
Oder stillen den Zorn und die mutige Seele beherrschen.
Dies innerliche Unterbrechen des Zorns, dies Hemmen, das eine dem Zorn fremde Gewalt ist, hat hier der epische Dichter, weil Achill zunächst ganz nur von Zorn erfüllt erscheint, als eine äußere Begebenheit darzustellen das volle Recht. In ähnlicher Weise finden wir in der Odyssee die Minerva als Begleiterin des Telemach. Diese Begleitung ist schon schwerer als eine zugleich innerliche in der Brust des Telemach zu fassen, obschon auch hier der Zusammenhang des Äußeren und Inneren nicht fehlt. Das macht überhaupt die Heiterkeit der Homerischen Götter und die Ironie in der Verehrung derselben aus, daß ihre Selbständigkeit und ihr Ernst sich ebensosehr wieder auflösen, insofern sie sich als die eigenen Mächte des menschlichen Gemüts dartun und dadurch den Menschen in ihnen bei sich selber sein lassen.
Doch wir brauchen uns nach einem vollständigen Beispiel der Umwandlung solcher bloß äußerlichen Göttermaschinerie in Subjektives, in Freiheit und sittliche Schönheit so weit nicht umzusehen. Goethe hat in seiner Iphigenie auf Tauris das Bewunderungswürdigste und Schönste geleistet, was in dieser Rücksicht möglich ist. Bei Euripides raubt Orest mit Iphigenien das Bild der Diana. Dies ist nichts als ein Diebstahl. Thoas kommt herzu und gibt den Befehl, sie zu verfolgen und das Bildnis der Göttin ihnen abzunehmen, bis dann am Ende in ganz prosaischer Weise Athene auftritt und dem Thoas innezuhalten befiehlt, da sie ohnehin Orest schon dem Poseidon empfohlen und ihr zulieb dieser ihn weit ins Meer hinausgebracht habe. Thoas gehorcht sogleich, indem er auf die Ermahnung der Göttin erwidert (v. 1442 ff.): »Herrin Athene, wer der Götter Worten, sie hörend, nicht gehorcht, ist nicht rechten Sinnes. Denn wie wär es mit den mächtigen Göttern zu streiten schön.«
« Zurück 1 |
2 |
3 |
4 |
5 Weiter »