Zweites Kapitel:
Das Rittertum


Das Prinzip der in sich unendlichen Subjektivität hat zuerst, wie wir sahen, das Absolute selbst, den Geist Gottes, wie er mit dem menschlichen Bewußtsein sich vermittelt und versöhnt und dadurch erst wahrhaft für sich selber ist, zum Inhalte des Glaubens und der Kunst. Diese romantische Mystik, indem sie sich auf die Beseligung im Absoluten beschränkt, bleibt eine abstrakte Innigkeit, weil sie sich dem Weltlichen, statt es zu durchdringen und affirmativ in sich aufzunehmen, gegenüberstellt und dasselbe von sich weist. Der Glaube ist in dieser Abstraktion vom Leben getrennt, von der konkreten Wirklichkeit des menschlichen Daseins, vom positiven Verhältnis der Menschen zueinander entfernt, welche nur im Glauben und um des Glaubens willen sich in einem Dritten, in dem Geist der Gemeine, identisch wissen und lieben. Dies Dritte ist allein die klare Quelle, in der ihr Bild sich spiegelt, ohne daß der Mensch unmittelbar dem Menschen ins Auge schaut, mit anderen in ein direktes Verhältnis tritt und die Einheit der Liebe, des Zutrauens, der Zuversicht, der Zwecke und Handlungen in konkreter Lebendigkeit empfindet. Was die Hoffnung und Sehnsucht des Inneren ausmacht, findet der Mensch in seiner abstrakt religiösen Innigkeit nur als Leben im Reiche Gottes, in der Gemeinschaft mit der Kirche und hat diese Identität in einem Dritten noch nicht aus seinem Bewußtsein zurückgestellt, um das, was er seinem konkreten Selbst nach ist, im Wissen und Wollen auch der anderen unmittelbar vor sich zu haben. Der gesamte religiöse Inhalt nimmt deshalb wohl die Form der Wirklichkeit an, aber er ist doch nur in der Innerlichkeit der Vorstellung, welche das sich lebendig ausbreitende Dasein verzehrt und fern davon ist, ihr eigenes, auch von Weltlichem erfülltes und zur Wirklichkeit entfaltetes Leben als die höhere Forderung im Leben selber zu befriedigen.

Das nur erst in seiner einfachen Seligkeit vollendete Gemüt hat daher aus dem Himmelreich seiner substantiellen Sphäre herauszutreten, in sich selber hineinzublicken und zu einem gegenwärtigen, dem Subjekt als Subjekt gehörigen Inhalte zu kommen. Dadurch wird die früher religiöse Innigkeit jetzt weltlicheren. Christus sagte zwar: Ihr müßt Vater und Mutter verlassen und mir nachfolgen; ebenso: Der Bruder wird den Bruder hassen; sie werden euch kreuzigen und verfolgen, usf. Wenn aber das Reich Gottes Platz gewonnen hat in der Welt und die weltlichen Zwecke und Interessen zu durchdringen und dadurch zu verklären tätig ist; wenn Vater, Mutter, Bruder mit in der Gemeine sind: dann beginnt auch das Weltliche von seiner Seite her sein Recht der Geltung in Anspruch zu nehmen und durchzusetzen. Ist dies Recht durchgefoch-ten, so fällt nun auch die negative Haltung des zunächst ausschließlich religiösen Gemüts gegen das Menschliche als solches hinweg, der Geist breitet sich aus, sieht sich um in seiner Gegenwart und erweitert sein wirkliches weltliches Herz. Das Grundprinzip selber ist nicht geändert; die in sich unendliche Subjektivität wendet sich nur einer anderen Sphäre des Inhalts zu. Wir können diesen Übergang dadurch bezeichnen, daß wir sagen, die subjektive Einzelheit werde jetzt als Einzelheit unabhängig von der Vermittlung mit Gott für sich selber frei. Denn eben in jener Vermittlung, in der sie sich ihrer bloßen endlichen Beschränktheit und Natürlichkeit entäußerte, ist sie den Weg der Negativität durchgegangen und tritt nun, nachdem sie sich in sich selber affirmativ geworden ist, frei als Subjekt mit der Forderung heraus, als Subjekt schon in seiner - wenn auch hier zunächst noch formellen - Unendlichkeit vollständige Achtung für sich und andere zu erlangen. In diese ihre Subjektivität legt sie deshalb die ganze Innerlichkeit des unendlichen Gemütes hinein, welche sie bisher mit Gott allein ausgefüllt hatte.

Fragen wir jedoch, wovon denn auf dieser neuen Stufe die menschliche Brust in ihrer Innigkeit voll sei, so betrifft der Inhalt nur die subjektive unendliche Beziehung auf sich; das Subjekt ist nur voll von sich selbst als in sich unendlicher Einzelheit, ohne weitere konkretere Entfaltung und Wichtigkeit eines in sich selbst objektiven, substantiellen Gehalts von Interessen, Zwecken und Handlungen. - Näher sind es nun aber hauptsächlich drei Empfindungen, die sich für das Subjekt zu dieser Unendlichkeit steigern: die subjektive Ehre, die Liebe und die Treue. Es sind dies nicht eigentlich sittliche Eigenschaften und Tugenden, sondern nur Formen der mit sich selber erfüllten romantischen Innerlichkeit des Subjekts. Denn die persönliche Selbständigkeit, für welche die Ehre kämpft, zeigt sich nicht als die Tapferkeit für ein Gemeinwesen und für den Ruf der Rechtschaffenheit in demselben oder der Rechtlichkeit im Kreise des privaten Lebens; sie streitet im Gegenteil nur für die Anerkennung und die abstrakte Unverletzlichkeit des einzelnen Subjekts. Ebenso ist auch die Liebe, welche den Mittelpunkt dieses Kreises abgibt, nur die zufällige Leidenschaft des Subjekts zum Subjekt und, wenn auch durch Phantasie erweitert, durch Innigkeit vertieft, doch nicht das sittliche Verhältnis der Ehe und Familie. Die Treue hat zwar mehr schon den Anschein eines sittlichen Charakters, indem sie nicht nur das Ihre will, sondern ein Höheres, Gemeinsames festhält, sich einem anderen Willen, dem Wunsch oder Befehl eines Herrn ergibt und dadurch der Selbstsucht und Selbständigkeit des eigenen besonderen Willens entsagt; aber die Empfindung der Treue betrifft nicht das objektive Interesse dieses Gemeinwesens für sich in seiner zum Staatsleben entwickelten Freiheit, sondern verknüpft sich nur mit der Person des Herrn, der in individueller Weise für sich selber handelt oder allgemeinere Verhältnisse zusammenhält und für sie tätig ist.

Diese drei Seiten zusammengenommen und durcheinandergeschlungen machen außer den religiösen Beziehungen, welche hereinspielen können, den Hauptinhalt des Rittertums aus und geben den notwendigen Fortgang von dem Prinzip des religiösen Inneren zum Eintritt desselben in die weltliche geistige Lebendigkeit, in deren Bereich jetzt die romantische Kunst einen Standpunkt gewinnt, von welchem aus sie unabhängig aus sich selber schaffen und eine gleichsam freiere Schönheit sein kann. Denn sie steht hier in der freien Mitte zwischen dem absoluten Gehalt der für sich festen religiösen Vorstellungen und der bunten Partikularität und Beschränktheit der Endlichkeit und Weltlichkeit. Unter den besonderen Künsten ist es hauptsächlich die Poesie, die sich dieses Stoffes am geeignetsten zu bemächtigen gewußt hat, weil sie am meisten befähigt ist, die nur mit sich beschäftigte Innerlichkeit und deren Zwecke und Begebenheiten auszusprechen.

Indem wir nun einen Stoff vor uns haben, den der Mensch aus seiner eigenen Brust, aus der Welt des rein Menschlichen nimmt, so möchte es scheinen, daß hier die romantische Kunst auf demselben Boden mit der klassischen stehe, und es ist hier also vornehmlich der Ort, wo wir beide miteinander vergleichen und einander gegenüberstellen können. Wir haben früher schon die klassische Kunst als das Ideal der objektiv in sich selbst wahrhaftigen Menschlichkeit bezeichnet. Ihre Phantasie bedarf zum Mittelpunkte eines Inhalts, der substantieller Art ist, ein sittliches Pathos enthält. In den Homerischen Gedichten, den Tragödien des Sophokles und Aischylos handelt es sich um Interessen von schlechthin sachlichem Gehalt, um eine strenge Haltung der Leidenschaften in demselben, um gründliche, dem Gedanken des Inhalts gemäße Beredsamkeit und Ausführung; und über dem Kreise der nur in solchem Pathos individuell selbständigen Heroen und Gestalten steht ein Götterkreis von noch gesteigerterer Objektivität. Selbst da, wo die Kunst subjektiver wird in den unendlichen Spielen der Skulptur, den Basreliefs z. B., den späteren Elegien, Epigrammen und sonstigen Anmutigkeiten der lyrischen Poesie, ist die Weise, den Gegenstand vorzutragen, mehr oder weniger durch diesen selbst gegeben, indem er bereits seine objektive Gestalt hat; es sind feste, in ihrem Charakter bestimmte Phantasiebilder, welche auftreten, Venus, Bacchus, Musen; ebenso in den späteren Epigrammen Beschreibungen des Vorhandenen; oder bekannte Blumen werden, wie Meleager es tat, in einen Strauß gebunden und erhalten durch die Empfindung ein sinnreiches Band. Es ist eine heitere Geschäftigkeit in einem reichlich versehenen, mit allen Gaben, Gebilden und für jeden Zweck fertigen Gerätschaften im Vorrate gefüllten Hause; der Dichter und Künstler ist nur der Zauberer, der sie hervorruft, versammelt und gruppiert.

Ganz anders ist es in der romantischen Poesie. Insofern sie weltlich ist und nicht unmittelbar in der heiligen Geschichte steht, sind die Tugenden und Zwecke ihrer Heldenschaft nicht die der griechischen Heroen, deren Sittlichkeit das beginnende Christentum nur als glänzendes Laster ansah. Denn die christliche Sittlichkeit setzt die herausgestaltete Gegenwart des Menschlichen voraus, in welcher der Wille, wie er sich an und für sich seinem Begriffe nach betätigen soll, zu bestimmtem Inhalt und dessen verwirklichten Verhältnissen der Freiheit, die absolut gelten, gekommen ist. Dies sind die Verhältnisse der Eltern und Kinder, der Ehegatten, der Bürger der Stadt, des Staats in seiner realisierten Freiheit. Indem dieser objektive Gehalt des Handelns der Entwicklung des menschlichen Geistes auf der als positiv anerkannten und gesicherten Grundlage des Natürlichen zugehört, vermag er jener konzentrierten Innigkeit des Religiösen, welche die Naturseite des Menschlichen zu vertilgen strebt, nicht mehr zu entsprechen und muß der entgegengesetzten Tugend der Demut, des Aufgebens der menschlichen Freiheit und des festen Beruhens auf sich weichen. Die Tugenden der christlichen Frömmigkeit ertöten in ihrer abstrakten Haltung das Weltliche und machen das Subjekt nur frei, wenn es sich selbst in seiner Menschlichkeit absolut verleugnet. Die subjektive Freiheit des jetzigen Kreises ist zwar nicht mehr durch bloße Duldung und Aufopferung bedingt, sondern in sich, im Weltlichen, affirmativ, aber die Unendlichkeit des Subjekts hat doch, wie wir schon sahen, nur wieder die Innigkeit als solche zu ihrem Inhalt, das subjektive Gemüt als sich in sich selbst bewegend, als der weltliche Boden seiner in sich. In dieser Beziehung hat die Poesie hier keine vorausgesetzte Objektivität vor sich, keine Mythologie, keine Bildwerke und Gestaltungen, die für ihren Ausdruck bereits fertig dalägen. Sie steht ganz frei, stofflos, rein schöpferisch und produzierend auf; es ist wie der Vogel, der frei aus der Brust sein Lied singt. Wenn nun aber diese Subjektivität auch von edlem Willen und tiefer Seele ist, so tritt doch in ihren Handlungen und deren Verhältnissen und Existenz nur die Willkürlichkeit und Zufälligkeit ein, da die Freiheit und ihre Zwecke von der in betreff auf sittlichen Gehalt noch substanzlosen Reflexion in sich selber ausgehen. Und so finden wir nicht sowohl in den Individuen ein besonderes Pathos im griechischen Sinn und eine damit aufs engste zusammengeschlossene lebendige Selbständigkeit der Individualität als vielmehr nur Grade der Heldenschaft in Rücksicht auf Liebe, Ehre, Tapferkeit, Treue - Grade, in welche die Schlechtigkeit oder der Adel der Seele hauptsächlich Verschiedenheiten hereinbringt. Was jedoch die Helden des Mittelalters mit den Heroen des Altertums gemeinschaftlich haben, ist die Tapferkeit. Doch auch diese erhält hier eine ganz andere Stellung. Sie ist weniger der natürliche Mut, der auf der gesunden Tüchtigkeit und von der Bildung ungeschwächten Kraft des Körpers und Willens beruht und der Durchführung objektiver Interessen zur Stütze dient, sondern sie geht von der Innerlichkeit des Geistes, von der Ehre, der Ritterlichkeit aus und ist im ganzen phantastisch, indem sie sich den Abenteuern der inneren Willkür und den Zufälligkeiten äußerer Verschlingungen oder den Impulsen der mystischen Frömmigkeit, überhaupt aber der subjektiven Beziehung des Subjekts auf sich unterwirft. Diese Form nun der romantischen Kunst ist in zwei Hemisphären zu Hause: in dem Abendlande, diesem Niedergange des Geistes in sein subjektives Inneres, und im Morgenlande, dieser ersten Expansion des sich zur Befreiung vom Endlichen aufschließenden Bewußtseins. Im Abendlande beruht die Poesie auf dem in sich zurückgenommenen Gemüt, das sich für sich der Mittelpunkt geworden ist, doch seine Weltlichkeit nur als den einen Teil seiner Stellung, als die eine Seite hat, über welcher noch eine höhere Welt des Glaubens steht. Im Morgenlande ist es der Araber vornehmlich, welcher als ein Punkt, der zunächst nichts vor sich hat als seine trockene Wüste und seinen Himmel, lebenskräftig zum Glänze und zur ersten Extension der Weltlichkeit heraustritt und dabei seine innere Freiheit zugleich noch bewahrt. Überhaupt ist es im Orient die mohammedanische Religion, die gleichsam den Boden rein gemacht, allen Götzendienst der Endlichkeit und Phantasie vertrieben, aber dem Gemüte die subjektive Freiheit gegeben hat, die dasselbe ganz ausfüllt; so daß die Weltlichkeit hier nicht eine nur andere Sphäre ausmacht, sondern mit in die allgemeine Ungebundenheit aufgeht, in welcher Herz und Geist, ohne sich Gott objektiv zu gestalten, in sich in froher Lebendigkeit versöhnt, gleichsam Bettler, theoretisch in der Verherrlichung ihrer Gegenstände glücklich genießend, liebend, befriedigt und selig sind.



Inhalt:


1. Die Ehre
2. Die Liebe
3. Die Treue


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