c. Das Ende der romantischen Kunstform

 

Die Kunst, wie sie bisher der Gegenstand unserer Betrachtungen war, hatte die Einheit von Bedeutung und Gestalt und ebenso die Einheit der Subjektivität des Künstlers mit seinem Gehalt und Werk zu ihrer Grundlage. Näher war es die bestimmte Art dieser Einigung, welche für den Inhalt und dessen entsprechende Darstellung die substantielle, alle Gebilde durchdringende Norm abgab.

In dieser Beziehung fanden wir, beim Beginn der Kunst, im Orient den Geist noch nicht für sich selber frei; er suchte das für ihn Absolute noch im Natürlichen und faßte deshalb das Natürliche als an sich selber göttlich auf. Weiterhin stellte die Anschauung der klassischen Kunst die griechischen Götter als unbefangene, begeistete, doch ebenso wesentlich noch von der menschlichen Naturgestalt als von einem affirmativen Moment behaftete Individuen dar; und die romantische Kunst erst vertiefte den Geist in seine eigene Innigkeit, gegen welche nun das Fleisch, die äußere Realität und Weltlichkeit überhaupt, obschon das Geistige und Absolute nur in diesem Elemente zu erscheinen hatte, zunächst als Nichtiges gesetzt war, doch zuletzt sich mehr und mehr wieder in positiver Weise Geltung zu verschaffen wußte.

α) Diese Weltanschauungsweisen machen die Religion, den substantiellen Geist der Völker und Zeiten aus und ziehen sich wie durch die Kunst, so auch durch alle übrigen Gebiete der jedesmaligen lebendigen Gegenwart hindurch. Wie nun jeder Mensch in jeder Tätigkeit, sei sie politisch, religiös, künstlerisch, wissenschaftlich, ein Kind seiner Zeit ist und den wesentlichen Gehalt und die dadurch notwendige Gestalt derselben herauszuarbeiten die Aufgabe hat, so bleibt es auch die Bestimmung der Kunst, daß sie für den Geist eines Volks den künstlerisch gemäßen Ausdruck finde. Solange nun der Künstler mit der Bestimmtheit solcher Weltanschauung und Religion in unmittelbarer Identität und festem Glauben verwebt ist, so lange ist es ihm auch wahrhafter Ernst mit diesem Inhalt und dessen Darstellung, d. h. dieser Inhalt bleibt für ihn das Unendliche und Wahre seines eigenen Bewußtseins, ein Gehalt, mit dem er seiner innersten Subjektivität nach in ursprünglicher Einheit lebt, während die Gestalt, in welcher er denselben herausstellt, für ihn als Künstler die letzte, notwendige, höchste Art ist, sich das Absolute und die Seele der Gegenstände überhaupt zur Anschauung zu bringen. Durch die ihm selber immanente Substanz seines Stoffs wird er an die bestimmte Weise der Exposition gebunden. Denn den Stoff und damit die für denselben gehörige Form trägt dann der Künstler unmittelbar in sich, als das eigentliche Wesen seines Daseins, das er sich nicht einbildet, sondern das er selber ist und deshalb nur die Arbeit hat, dies wahrhaft Wesentliche sich objektiv zu machen, es lebendig aus sich vorzustellen und herauszubilden. Nur dann ist der Künstler vollständig für seinen Inhalt und für die Darstellung begeistert, und seine Erfindungen werden kein Produkt der Willkür, sondern entspringen in ihm, aus ihm, aus diesem substantiellen Boden, aus diesem Fonds, dessen Inhalt nicht eher ruht, bis er durch den Künstler zu einer seinem Begriff angemessenen individuellen Gestalt gelangt ist. Wenn wir dagegen jetzt einen griechischen Gott oder als heutige Protestanten eine Maria zum Gegenstande eines Skulpturwerks oder Gemäldes machen wollen, so ist es uns kein wahrer Ernst mit solchem Stoße. Der innerste Glaube ist es, der uns dann abgeht, wenn auch der Künstler in Zeiten des noch vollen Glaubens nicht eben das zu sein braucht, was man gemeinhin einen frommen Mann nennt; wie denn auch überhaupt die Künstler nicht gerade jedesmal die Frömmsten gewesen sind. Die Forderung ist nur die, daß der Inhalt für den Künstler das Substantielle, die innerste Wahrheit seines Bewußtseins ausmache und ihm die Notwendigkeit für die Darstellungsweise gebe. Denn der Künstler ist in seiner Produktion zugleich Naturwesen, seine Geschicklichkeit ein natürliches Talent, sein Wirken nicht die reine Tätigkeit des Begreifens, die ihrem Stoff ganz gegenübertritt und sich in freien Gedanken, im reinen Denken mit demselben eint, sondern, als von der Naturseite noch nicht losgelöst, unmittelbar mit dem Gegenstande vereinigt, an ihn glaubend und dem eigensten Selbst nach mit ihm identisch. Dann liegt die Subjektivität gänzlich in dem Objekt, das Kunstwerk geht ebenso ganz aus der ungeteilten Innerlichkeit und Kraft des Genies hervor, die Produktion ist ferme, unwankend und die volle Intensität darin zusammengehalten. Dies ist das Grundverhältnis dafür, daß die Kunst in ihrer Ganzheit vorhanden sei.

β) Bei der Stellung dagegen, welche wir der Kunst im Verlaufe ihrer Entwicklung haben anweisen müssen, hat sich das ganze Verhältnis durchaus verändert. Dies müssen wir jedoch als kein bloßes zufälliges Unglück ansehen, von welchem die Kunst von außen her durch die Not der Zeit, den prosaischen Sinn, den Mangel an Interesse usf. betroffen wurde, sondern es ist die Wirkung und der Fortgang der Kunst selber, welche, indem sie den ihr selbst innewohnenden Stoff zur gegenständlichen Anschauung bringt, auf diesem Wege selbst durch jeden Fortschritt einen Beitrag liefert, sich selber von dem dargestellten Inhalt zu befreien. Was wir als Gegenstand durch die Kunst oder das Denken so vollständig vor unserem sinnlichen oder geistigen Auge haben, daß der Gehalt erschöpft, daß alles heraus ist und nichts Dunkles und Innerliches mehr übrigbleibt, daran verschwindet das absolute Interesse. Denn Interesse findet nur bei frischer Tätigkeit statt. Der Geist arbeitet sich nur so lange in den Gegenständen herum, solange noch ein Geheimes, Nichtoffenbares darin ist. Dies ist der Fall, solange der Stoff noch identisch mit uns ist. Hat nun aber die Kunst die wesentlichen Weltanschauungen, die in ihrem Begriffe liegen, sowie den Kreis des Inhalts, welcher diesen Weltanschauungen angehört, nach allen Seiten hin offenbar gemacht, so ist sie diesen jedesmal für ein besonderes Volk, eine besondere Zeit bestimmten Gehalt losgeworden, und das wahrhafte Bedürfnis, ihn wieder aufzunehmen, erwacht nur mit dem Bedürfnis, sich gegen den bisher allein gültigen Gehalt zu kehren; wie in Griechenland Aristophanes z. B. sich gegen seine Gegenwart und Lukian sich gegen die gesamte griechische Vergangenheit erhob und in Italien und Spanien, beim scheidenden Mitte l alte r, Ariosto und Cervantes sich gegen das Rittertum zu wenden anfingen.

Gegenüber der Zeit nun, in welcher der Künstler durch seine Nationalität und Zeit, seiner Substanz nach, innerhalb einer bestimmten Weltanschauung und deren Gehalt und Darstellungsformen steht, finden wir einen schlechthin entgegengesetzten Standpunkt, welcher in seiner vollständigen Ausbildung erst in der neuesten Zeit von Wichtigkeit ist. In unseren Tagen hat sich fast bei allen Völkern die Bildung der Reflexion, die Kritik und bei uns Deutschen die Freiheit des Gedankens auch der Künstler bemächtigt und sie in betreff auf den Stoff und die Gestalt ihrer Produktion, nachdem auch die notwendigen besonderen Stadien der romantischen Kunstform durchlaufen sind, sozusagen zu einer tabula rasa gemacht. Das Gebundensein an einen besonderen Gehalt und eine nur für diesen Stoff passende Art der Darstellung ist für den heutigen Künstler etwas Vergangenes und die Kunst dadurch ein freies Instrument geworden, das er nach Maßgabe seiner subjektiven Geschicklichkeit in bezug auf jeden Inhalt, welcher Art er auch sei, gleichmäßig handhaben kann. Der Künstler steht damit über den bestimmten konse-krierten Formen und Gestaltungen und bewegt sich frei für sich, unabhängig von dem Gehalt und der Anschauungsweise, in welcher sonst dem Bewußtsein das Heilige und Ewige vor Augen war. Kein Inhalt, keine Form ist mehr unmittelbar mit der Innigkeit, mit der Natur, dem bewußtlosen substantiellen Wesen des Künstlers identisch; jeder Stoff darf ihm gleichgültig sein, wenn er nur dem formellen Gesetz, überhaupt schön und einer künstlerischen Behandlung fähig zu sein, nicht widerspricht. Es gibt heutigentags keinen Stoff, der an und für sich über dieser Relativität stände, und wenn er auch darüber erhaben ist, so ist doch wenigstens kein absolutes Bedürfnis vorhanden, daß er von der Kunst zur Darstellung gebracht werde. Deshalb verhält sich der Künstler zu seinem Inhalt im ganzen gleichsam als Dramatiker, der andere, fremde Personen aufstellt und exponiert. Er legt zwar auch jetzt noch sein Genie hinein, er webt von seinem eigenen Stoffe hindurch, aber nur das Allgemeine oder das ganz Zufällige; die nähere Individualisierung hingegen ist nicht die seinige, sondern er gebraucht in dieser Rücksicht seinen Vorrat von Bildern, Gestaltungsweisen, früheren Kunstformen, die ihm, für sich genommen, gleichgültig sind und nur wichtig werden, wenn sie ihm gerade für diesen oder jenen Stoff als die passendsten erscheinen. In den meisten Künsten, besonders in den bildenden, kommt außerdem der Gegenstand dem Künstler von außen her; er arbeitet auf Bestellung und hat nun bei den heiligen oder profanen Geschichten, Szenen, Porträts, Kirchenbauten usf. nur darauf zu sehen, was daraus zu machen ist. Denn wie sehr er auch sein Gemüt in den gegebenen Inhalt hineinbildet, so bleibt ihm derselbe doch immer ein Stoff, der nicht für ihn selbst unmittelbar das Substantielle seines Bewußtseins ist. Es hilft da weiter nichts, sich vergangene Weltanschauungen wieder, sozusagen substantiell, aneignen, d. i. sich in eine dieser Anschauungsweisen fest hineinmachen zu wollen, als z. B. katholisch zu werden, wie es in neueren Zeiten der Kunst wegen viele getan, um ihr Gemüt zu fixieren und die bestimmte Begrenzung ihrer Darstellung für sich selbst zu etwas Anundfürsichseiendem werden zu lassen. Der Künstler darf nicht erst nötig haben, mit seinem Gemüt ins reine zu kommen und für sein eigenes Seelenheil sorgen zu müssen; seine große, freie Seele muß von Hause aus, ehe er ans Produzieren geht, wissen und haben, woran sie ist, und ihrer sicher und in sich zuversichtlich sein; und besonders bedarf der heutige große Künstler der freien Ausbildung des Geistes, in welcher aller Aberglauben und Glauben, der auf bestimmte Formen der Anschauung und Darstellung beschränkt bleibt, zu bloßen Seiten und Momenten herabgesetzt ist, über welche der freie Geist sich zum Meister gemacht hat, indem er in ihnen keine an und für sich geheiligten Bedingungen seiner Exposition und Gestaltungsweise sieht, sondern ihnen nur Wert durch den höheren Gehalt zuschreibt, den er wiederschaffend als ihnen gemäß in sie hineinlegt.

In dieser Weise steht dem Künstler, dessen Talent und Genie für sich von der früheren Beschränkung auf eine bestimmte Kunstform befreit ist, jetzt jede Form wie jeder Stoff zu Dienst und zu Gebot.

 


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