a. Die formelle Festigkeit des Charakters
Was wir also zunächst vor uns haben, ist der partikuläre Charakter, der so, wie er unmittelbar ist, sein will. Wie die Tiere verschieden sind, sich in dieser Verschiedenheit für sich selber finden, so auch hier die unterschiedenen Charaktere, deren Kreis und Eigentümlichkeit zufällig bleibt und durch den Begriff nicht fest begrenzt werden kann.
α) Solch eine nur auf sich selbst verwiesene Individualität hat deshalb keine ausgedachten Absichten und Zwecke, welche sie an irgendein allgemeines Pathos knüpfte, sondern was sie hat, tut und vollbringt, schöpft sie ganz unmittelbar, ohne alle weitere Reflexion, aus ihrer eigenen bestimmten Natur, die ist, wie sie eben ist, und nicht durch irgend etwas Höheres begründet, darein aufgelöst und in etwas Substantiellem gerechtfertigt sein will, sondern unbeugsam und ungebeugt auf sich selber beruht und in dieser Festigkeit entweder sich durchführt oder zugrunde geht. Eine solche Selbständigkeit des Charakters kann nur da zum Vorschein kommen, wo das Außergöttliche, das partikulär Menschliche zu seiner vollständigen Geltung gelangt. Von dieser Art sind hauptsächlich die Charaktere Shakespeares, bei denen eben die pralle Festigkeit und Einseitigkeit das vorzüglich Bewundernswerte ausmacht. Da ist nicht von Religiosität und von einem Handeln aus religiöser Versöhnung des Menschen in sich und vom Sittlichen als solchem die Rede. Wir haben im Gegenteil Individuen vor uns, selbständig nur auf sich selber gestellt, mit besonderen Zwecken, die nur die ihrigen sind, aus ihrer Individualität allein sich herschreiben, und welche sie nun mit der unerschütterten Konsequenz der Leidenschaft ohne Nebenreflexion und Allgemeinheit, nur zur eigenen Selbstbefriedigung durchsetzen. Besonders die Tragödien, wie Macbeth, Othello, Richard III. und andere, haben einen solchen Charakter, der dann von minder hervorragenden und energischen umgeben ist, zum Hauptgegenstande. So bestimmt z. B. den Macbeth sein Charakter zur Leidenschaft des Ehrgeizes. Anfangs schwankt er, dann aber streckt er die Hand nach der Krone aus, begeht Mord, um sie zu erlangen, und sie zu behaupten, stürmt er durch alle Grausamkeiten fort. Diese rücksichtslose Festigkeit, die Identität des Menschen mit sich und seinem nur aus ihm selber hervorgehenden Zweck gibt ihm ein wesentliches Interesse. Nicht die Achtung vor der Heiligkeit der Majestät, nicht der Wahnsinn seiner Frau, nicht der Abfall der Vasallen, nicht das hereinstürzende Verderben, nichts macht ihn wankend, - himmlische und menschliche Rechte, vor nichts tritt er zurück in sich, sondern beharrt. Die Lady Macbeth ist ein ähnlicher Charakter, und nur das abgeschmackte Geschwätz einer neueren Kritik hat sie können für liebevoll halten. Gleich bei ihrem Auftreten (1. Akt, 5. Szene), als sie den Brief Macbeths, der das Zusammentreffen mit den Hexen und deren Prophezeiung »Heil dir, Thane von Cawdor! Heil dir, der noch König sein wird« berichtet, ruft sie aus: »Glamis bist du und Cawdor, und sollst sein, was dir ward verheißen. Aber ich fürchte deinen Sinn (thy nature); er ist zu voll von der Milch menschlicher Milde, um den nächsten Weg zu ergreifen.« Sie zeigt kein liebevolles Behagen, keine Freude über das Glück ihres Mannes, keine sittliche Regung, keine Teilnahme, kein Bedauern einer edlen Seele, sondern fürchtet nur, der Charakter ihres Mannes werde seinem Ehrgeiz in den Weg treten; ihn selber aber betrachtet sie nur als ein Mittel; und dabei ist kein Schwanken, keine Ungewißheit, kein Besinnen, kein Weichen - wie zunächst noch bei Macbeth selber -, keine Reue, sondern die reine Abstraktion und Härte des Charakters, der, was ihm gemäß ist, ohne weiteres durchführt, bis sie zuletzt bricht. Dieser Bruch, der bei Macbeth, als er die Tat vollführt hat, von außen her auf ihn heranstürmt, ist in dem weiblichen Innern der Lady der Wahnsinn. Und so sind Richard III., Othello, die alte Margarethe und so viele andere gleichfalls - das Gegenteil der Miserabilität moderner Charaktere, der Kotzebueschen z. B., die höchst edel scheinen, groß, vortrefflich, und doch innerlich zugleich nur Lumpen sind. In anderer Beziehung nicht besser haben es Spätere gemacht, welche doch Kotzebue höchlich verachteten. Wie z. B. Heinrich von Kleist in seinem Käthchen und Prinzen von Homburg - Charaktere, in denen dem wachen Zustande fester Konsequenz gegenüber das Magnetische, der Somnambulismus, das Schlafwandeln als das Höchste und Vortrefflichste dargestellt ist. Der Prinz von Homburg ist der erbärmlichste General; beim Austeilen der Dispositionen zerstreut, schreibt er die Order schlecht auf, treibt in der Nacht vorher krankhaftes Zeug und am Tage in der Schlacht ungeschickte Dinge. Bei solcher Zweiheit, Zerrissenheit und inneren Dissonanz des Charakters meinen sie dem Shakespeare nachgefolgt zu sein. Aber sie sind weit davon entfernt, denn Shakespeares Charaktere sind in sich selbst konsequent, bleiben sich und ihrer Leidenschaft treu, und was sie sind und was ihnen begegnet, darin schlagen sie sich nur ihrer festen Bestimmtheit nach herum.
β) Je partikulärer nun der Charakter ist, der nur sich selber festhält und sich dadurch leicht dem Bösen nähert, desto mehr hat er sich in der konkreten Wirklichkeit nicht nur gegen die Hindernisse zu behaupten, die sich ihm in den Weg stellen und seine Realisation hemmen, sondern desto mehr wird er auch durch diese seine Realisation selber dem Untergange entgegengetrieben. Indem er sich nämlich durchsetzt, trifft ihn das aus dem bestimmten Charakter selbst hervorgehende Schicksal, ein selbstbereitetes Verderben. Die Entwicklung dieses Schicksals ist nun aber nicht nur eine Entwicklung aus der Handlung des Individuums, sondern zugleich ein inneres Werden, eine Entwicklung des Charakters selbst in seinem Fortstürmen, Verwildern, Zerschellen oder Ermatten. Bei den Griechen, bei denen das Pathos, der substantielle Inhalt des Handelns und nicht der subjektive Charakter das Wichtige ist, betrifft das Schicksal weniger diesen bestimmten Charakter, der sich innerhalb seiner Handlung auch nicht wesentlich weiterentwickelt, sondern am Ende ist, was er anfangs war. Auf unserer Stufe aber ist die Fortführung der Handlung ebensosehr eine Weiterentwicklung des Individuums in seinem subjektiven Inneren und nicht nur ein äußerer Fortgang. Das Handeln Macbeths z. B. erscheint zugleich als eine Verwilderung seines Gemüts, mit einer Konsequenz, welche, als die Unentschiedenheit abgeworfen, der Wurf getan ist, durch nichts mehr sich aufhalten läßt. Seine Gattin ist von Hause aus entschieden, die Entwicklung in ihr zeigt sich nur als die innere Angst, die sich bis zur physischen und geistigen Zertrümmerung, bis zum Wahnsinn steigert, in welchem sie untergeht. Und so ist es mit den meisten Charakteren, den bedeutenden und unbedeutenden. Die antiken Charaktere erweisen sich zwar auch als fest, und es kommt sogar bei ihnen zu Gegensätzen, wo keine Hilfe mehr möglich ist und für die Lösung ein deus ex machina eintreten muß; doch diese Festigkeit, wie z. B. Philoktets, ist inhaltsvoll und im ganzen von einem sittlich berechtigten Pathos erfüllt.
γ) In diesen Charakteren unseres Kreises, bei der Zufälligkeit dessen, was sie als ihren Zweck ergreifen, und der Selbständigkeit ihrer Individualität, ist keine objektive Versöhnung möglich. Der Zusammenhang dessen, was sie sind und was ihnen widerfährt, bleibt teils unbestimmt, teils aber ist für sie selber kein Woher und Wohin aufgelöst. Das Fatum als abstrakteste Notwendigkeit kehrt hier noch einmal wieder zurück, und die einzige Versöhnung ist für das Individuum sein unendliches Sein in sich, seine eigene Festigkeit, in der es über seiner Leidenschaft und deren Schicksal steht. »Es ist so«, und was ihm begegnet, mag es vom waltenden Geschick, der Notwendigkeit oder dem Zufall herkommen, das ist gleichfalls, ohne Reflexion wozu, weshalb; es geschieht, und der Mensch macht sich und will sich diesem Walten gegenüber steinern.