b. Kollisionen der Liebe
Näher nun teilt sich das weltliche Interesse überhaupt in zwei Seiten, indem auf der einen die Weltlichkeit als solche steht, Familienleben, Staatsverband, Bürgertum, Gesetz, Recht, Sitte usf., und diesem für sich festen Dasein gegenüber in edleren, feurigen Gemütern die Liebe aufkeimt, diese weltliche Religion der Herzen, welche sich bald mit der Religion in jeder Weise vereinigt, bald dieselbe unter sich stellt, sie vergißt und, indem sie sich allein zu der wesentlichen, ja der einzigen oder höchsten Angelegenheit des Lebens macht, nicht nur allem übrigen zu entsagen und mit dem Geliebten in eine Wüste zu fliehen sich entschließen kann, sondern in ihrem - dann freilich unschönen - Extrem bis zur unfreien, knechtischen, hündischen Aufopferung der Würdigkeit des Menschen, wie z. B. im Käthchen von Heilbronn, fortgeht. Durch diese Zerscheidung nun sind die Zwecke der Liebe in der konkreten Wirklichkeit nicht ohne Kollisionen auszuführen, denn außer der Liebe machen auch die übrigen Lebensverhältnisse ihre Forderungen und Rechte geltend und können dadurch die Leidenschaft der Liebe in ihrer Alleinherrschaft verletzen.
α) Die erste, häufigste Kollision, deren wir in dieser Rücksicht zu erwähnen haben, ist der Konflikt der Ehre und Liebe. Die Ehre nämlich hat ihrerseits dieselbe Unendlichkeit als die Liebe und kann einen Inhalt aufnehmen, welcher sich der Liebe als ein absolutes Hindernis in den Weg stellt. Die Pflicht der Ehre kann die Aufopferung der Liebe fordern. Von gewissen Standpunkten aus wäre es z. B. wider die Ehre eines höheren Standes, ein Mädchen von geringerem Stande zu lieben. Der Unterschied von Ständen ist durch die Natur der Sache notwendig und gegeben. Wenn nun das weltliche Leben noch nicht durch den unendlichen Begriff wahrer Freiheit regeneriert ist, in welcher Stand, Beruf usf. von dem Subjekt als solchem und dessen freier Wahl ausgeht, so ist es einerseits mehr oder weniger immer die Natur, die Geburt, welche dem Menschen seine feste Stellung anweist, andererseits werden die Unterschiede, die dadurch hervorkommen, außerdem noch durch die Ehre, insofern sie sich ihren eigenen Stand zur Ehrensache macht, als absolut und unendlich festgehalten.
β) Außer der Ehre nun aber können zweitens auch die ewigen substantiellen Mächte selbst, die Interessen des Staats, Vaterlandsliebe, Familienpflichten usf., mit der Liebe in Streit geraten und ihre Realisation verbieten. Besonders in modernen Darstellungen, in denen sich die objektiven Verhältnisse des Lebens schon zur Gültigkeit herausgearbeitet haben, ist dies eine sehr beliebte Kollision. Die Liebe ist dann als ein selber gewichtvolles Recht des subjektiven Gemüts anderen Rechten und Pflichten entweder so gegenübergestellt, daß sich das Herz dieser Pflichten als untergeordnet entschlägt oder sie anerkennt und mit sich selber und der Gewalt seiner eigenen Leidenschaft in Kampf gerät. Die Jungfrau von Orleans z. B. beruht auf dieser letzteren Kollision.
γ) Drittens jedoch können es überhaupt äußerliche Verhältnisse und Hindernisse sein, welche sich der Liebe entgegenstemmen: der gewöhnliche Lauf der Dinge, die Prosa des Lebens, Unglücksfälle, Leidenschaft, Vorurteile, Borniertheiten, Eigensinn anderer, Verkommenheiten der mannigfaltigsten Art. Hier mischt sich dann oft viel Häßliches, Furchtbares, Niederträchtiges ein, indem es die Schlechtigkeit, Roheit und Wildheit sonstiger Leidenschaft ist, welche sich der zarten Seelenschönheit der Liebe entgegensetzt. Besonders in neueren Zeiten in Dramen, Erzählungen und Romanen sehen wir häufig dergleichen äußere Kollisionen, welche dann hauptsächlich von selten der Teilnahme für die Leiden, Hoffnungen, zerstörten Aussichten der unglücklich Liebenden interessieren und durch einen guten oder schlimmen Ausgang rühren und befriedigen oder überhaupt nur unterhalten sollen. Diese Weise der Konflikte jedoch, da sie auf bloßer Zufälligkeit beruht, ist von untergeordneter Art.