a. Die subjektive Kunstnachahmung des Vorhandenen
Der Kreis der Gegenstände, welche diese Sphäre umfassen kann, erweitert sich ins Unbegrenzte, da sich die Kunst nicht das in sich selbst Notwendige, dessen Bezirk in sich abgeschlossen ist, sondern die zufällige Wirklichkeit in deren schrankenloser Modifikation von Gestalten und Verhältnissen, die Natur und deren buntes Spiel vereinzelter Gebilde, das tägliche Tun und Treiben des Menschen in seiner Naturbedürftigkeit und behaglichen Befriedigung, in seinen zufälligen Gewohnheiten, Lagen, Tätigkeiten des Familienlebens, der bürgerlichen Geschäfte, überhaupt aber das unberechenbar Wechselnde in der äußeren Gegenständlichkeit zum Inhalt nimmt. Dadurch wird die Kunst nicht nur, wie es das Romantische mehr oder weniger überall ist, porträtartig, sondern sie löst sich vollständig in die Darstellung von Porträts auf, es sei in der Plastik, der Malerei oder in den Schilderungen der Poesie, und kehrt zur Nachahmung der Natur, zur absichtlichen Annäherung nämlich an die Zufälligkeit des unmittelbaren, für sich genommen unschönen und prosaischen Daseins zurück. - Es liegt deshalb die Frage nahe, ob denn dergleichen Produktionen überhaupt noch Kunstwerke zu nennen seien. Wenn wir dabei den Begriff eigentlicher Kunstwerke im Sinne des Ideals vor Augen haben, bei denen es sich einerseits um einen in sich selbst nicht zufälligen und vorübergehenden Inhalt, andererseits um die solchem Gehalt schlechthin entsprechende Gestaltungsweise handelt, so müssen die Produkte unserer gegenwärtigen Stufe im Angesichte solcher Werke allerdings zu kurz kommen. Dagegen hat die Kunst noch ein anderes Moment, das hier besonders von wesentlicher Wichtigkeit wird: die subjektive Auffassung und Ausführung des Kunstwerks, die Seite des individuellen Talents, welches dem in sich substantiellen Leben der Natur sowie den Gestaltungen des Geistes auch noch in den äußersten Enden der Zufälligkeit, zu denen dasselbe ausläuft, treu zu bleiben und das für sich Bedeutungslose selber durch diese Wahrheit wie durch die bewunderungswürdigste Geschicklichkeit der Darstellung bedeutend zu machen weiß. Hierzu kommt denn noch die subjektive Lebendigkeit, mit welcher der Künstler sich mit seinem Geiste und Gemüt ganz in das Dasein solcher Gegenstände, ihrer ganzen inneren und äußeren Gestalt und Erscheinung nach, einlebt und sie in dieser Beseelung für die Anschauung herausstellt. Nach diesen Seiten hin dürfen wir den Erzeugnissen dieses Kreises den Namen von Kunstwerken nicht vorenthalten.
Was nun das Nähere angeht, so sind es unter den besonderen Künsten hauptsächlich die Poesie und Malerei, welche sich auch auf solche Gegenstände hingewendet haben. Denn einerseits ist es das in sich selbst Partikulare, das den Inhalt abgibt, andererseits die zufällige, doch in ihrem Kreise echte Eigentümlichkeit der äußeren Erscheinung, welche hier die Form der Darstellung werden soll. Weder die Architektur noch die Skulptur und Musik eignen sich für die Erfüllung einer solchen Aufgabe.
α) In der Poesie ist es das gemeine häusliche Leben, das die Rechtschaffenheit, Weltklugheit und Moral des Tages zu seiner Substanz hat, in gewöhnlichen bürgerlichen Verwicklungen, in Szenen und Figuren aus den mittleren und niederen Ständen dargestelle. Bei den Franzosen hat besonders Diderot in diesem Sinne auf Natürlichkeit und Nachahmung des Vorhandenen gedrungen. Unter uns Deutschen waren es dagegen Goethe und Schiller, welche in höherem Sinne in ihrer Jugend einen ähnlichen Weg einschlugen, doch innerhalb dieser lebendigen Natürlichkeit und Partikularität nach tieferem Gehalte und wesentlichen Interessereichen Konflikten suchten, während dann besonders Kotzebue und Iffland, der eine mit oberflächlicher Raschheit der Auffassung und Produktion, der andere mit ernsthafterer Genauigkeit und spießbürgerlicher Moralität, das Tagesleben ihrer Zeit in den prosaischen engeren Beziehungen mit wenig Sinn für eigentliche Poesie abkonterfeiten. Überhaupt aber hat unsere Kunst am liebsten, wenn auch am spätesten, diesen Ton aufgenommen und eine Virtuosität darin erreicht. Denn lange Zeit hindurch war die Kunst uns mehr oder weniger etwas Fremdes, Empfangenes, nicht aus uns selbst Hervorgegangenes. In dieser Wendung nun auf die vorliegende Wirklichkeit liegt das Bedürfnis, daß der Stoff für die Kunst immanent, heimisch, das nationale Leben des Dichters und des Publikums sei. Auf diesen Punkt der Aneignung der Kunst, die schlechthin dem Inhalt und der Darstellung nach das Unsrige und selbst mit Aufopferung der Schönheit und Idealität bei uns zu Hause sein sollte, ist der Trieb, der zu solchen Darstellungen führte, losgegangen. Andere Völker haben solche Kreise mehr verschmäht oder kommen auch jetzt erst zu dem regeren Interesse für dergleichen Stoffe des täglichen und alltäglichen Daseins.
β) Wollen wir uns jedoch das Bewunderungswürdigste vor die Anschauung bringen, was in dieser Beziehung kann geleistet werden, so müssen wir auf die Genremalerei der späteren Holländer sehen. Was in ihr, dem allgemeinen Geiste nach, die substantielle Grundlage sei, aus welcher sie hervorgegangen ist, habe ich bereits im ersten Teile bei der Betrachtung des Ideals als solchen (Bd. l, S. 222 f.) berührt. Die Befriedigung an der Gegenwart des Lebens auch im Gewöhnlichsten und Kleinsten fließt bei ihnen daraus her, daß sie sich, was anderen Völkern die Natur unmittelbarer bietet, durch schwere Kämpfe und sauren Fleiß erarbeiten müssen und bei beschränktem Lokal in der Sorge und der Wertschätzung des Geringfügigsten groß geworden sind. Andererseits sind sie ein Volk von Fischern, Schiffern, Bürgern, Bauern und dadurch schon auf den Wert des im Größten und Kleinsten Nötigen und Nützlichen, das sie sich mit emsigster Betriebsamkeit zu verschaffen wissen, von Hause aus angewiesen. Ihrer Religion nach waren die Holländer, was eine wichtige Seite ausmacht, Protestanten, und dem Protestantismus allein komme es zu, sich auch ganz in die Prosa des Lebens einzunisten und sie für sich, unabhängig von religiösen Beziehungen, vollständig gelten und sich in unbeschränkter Freiheit ausbilden zu lassen. Keinem anderen Volke wäre es unter anderen Verhältnissen eingefallen, Gegenstände, wie die holländische Malerei sie uns vor Augen bringe, zum vornehmlichsten Inhalt von Kunstwerken zu machen.
In allen diesen Interessen aber haben die Holländer nicht etwa in der Not und Armseligkeit des Daseins und Unterdrückung des Geistes gelebt, sondern sie haben sich ihre Kirche selber reformiert, den religiösen Despotismus ebenso wie die spanische weltliche Macht und Grandezza besiegt und sind durch ihre Tätigkeit, ihren Fleiß, ihre Tapferkeit und Sparsamkeit im Gefühle einer selbsterworbenen Freiheit zu Wohlstand, Behäbigkeit, Rechtlichkeit, Mut, Fröhlichkeit und selbst zum Übermut des heiteren täglichen Daseins gekommen. Dies ist die Rechtfertigung für die Wahl ihrer Kunstgegenstände.
Einen tieferen Sinn, der auf einen in sich selbst wahrhaften Gehalt geht, können dergleichen Gegenstände nicht befriedigen; wird aber auch Gemüt und Gedanke nicht zufriedengestellt, so versöhnt doch die nähere Anschauung damit. Denn die Kunst des Malens und des Malers ist es, von der wir sollen erfreut und hingerissen werden. Und in der Tat, wenn man wissen will, was Malen ist, so muß man diese Bildchen ansehen, um von diesem oder jenem Meister zu sagen: Der kann malen. Es kommt deshalb dem Künstler bei seiner Produktion auch gar nicht etwa darauf an, uns durch das Kunstwerk eine Vorstellung von dem Gegenstande, den er uns vorführt, zu geben. Von Trauben, Blumen, Hirschen, Bäumen, Sandufern, vom Meer, der Sonne, dem Himmel, dem Putz und Schmuck der Gerätschaften des täglichen Lebens, von Pferden, Kriegern, Bauern, vom Rauchen, Zahnausziehen, von häuslichen Szenen der verschiedensten Art haben wir im voraus schon die vollständigste Anschauung; dergleichen gibt es in der Natur genug. Was uns reizen soll, ist nicht der Inhalt und seine Realität, sondern das in Rücksicht auf den Gegenstand ganz interesselose Scheinen. Vom Schönen wird gleichsam das Scheinen als solches für sich fixiert, und die Kunst ist die Meisterschaft in Darstellung aller Geheimnisse des sich in sich vertiefenden Scheinens der äußeren Erscheinungen. Besonders besteht die Kunst darin, der vorhandenen Welt in ihrer partikulären und doch mit den allgemeinen Gesetzen des Scheinens zusammenstimmenden Lebendigkeit mit einem feinen Sinn die momentanen, durchaus wandelbaren Züge ihres Daseins abzulauschen und das Flüchtigste treu und wahr festzuhalten. Ein Baum, eine Landschaft ist schon etwas für sich Festes und Bleibendes. Doch das Blinken des Metalls, den Schimmer einer beleuchteten Traube, einen schwindenden Blick des Mondes, der Sonne, ein Lächeln, den Ausdruck schnell vorübereilender Gemütsaffekte, komische Bewegungen, Stellungen, Mienen - dies Vergänglichste, Vorübereilendste zu ergreifen und in seiner vollsten Lebendigkeit für die Anschauung dauernd zu machen, ist die schwere Aufgabe dieser Kunststufe. Wenn die klassische Kunst in ihrem Ideal wesentlich nur das Substantielle gestaltet, so wird uns hier die wandelnde Natur in ihren fliehenden Äußerungen, ein Strömen des Wassers, ein Wasserfall, schäumende Meereswogen, ein Stilleben mit dem zufälligen Blitzen der Gläser, Teller usf., die Außengestalt der geistigen Wirklichkeit in den besondersten Situationen, eine Frau, die beim Licht eine Nadel einfädelt, ein Halt von Räubern in zufälliger Bewegung, das Augenblicklichste einer Gebärde, die sich schnell wieder verzieht, das Lachen und Grinsen eines Bauern, worin Ostade, Teniers, Steen Meister sind, gefesselt und zur Anschauung gebracht. Es ist ein Triumph der Kunst über die Vergänglichkeit, in welchem das Substantielle gleichsam betrogen wird um seine Macht über das Zufällige und Flüchtige.
Wie nun hier das Scheinen als solches der Gegenstände den eigentlichen Inhalt hergibt, so geht die Kunst, indem sie den vorübereilenden Schein statarisch macht, noch weiter. Abgesehen nämlich von den Gegenständen, werden auch die Mittel der Darstellung für sich selber Zweck, so daß sich die subjektive Geschicklichkeit und Anwendung der Kunstmittel zum objektiven Gegenstande der Kunstwerke heraufhebt. Schon die alten Niederländer haben das Physikalische der Farben aufs gründlichste studiert; van Eyck, Memling, Scorel wußten den Glanz des Goldes, Silbers, das Leuchten der Edelsteine, Seide, Samt, Pelzwerk usf. aufs täuschendste nachzubilden. Diese Meisterschaft nun, durch die Magie der Farbe und die Geheimnisse ihres Zaubers die frappantesten Effekte zustande zu bringen, gibt sich jetzt eine selbständige Gültigkeit. Wie der Geist denkend, begreifend die Welt in Vorstellungen und Gedanken sich reproduziert, so wird die Hauptsache jetzt, unabhängig von dem Gegenstande selbst, das subjektive Wiederschaffen der Äußerlichkeit im sinnlichen Elemente der Farben und Beleuchtung. Es ist dies gleichsam eine objektive Musik, ein Tönen in Farben. Wenn nämlich in der Musik der einzelne Ton für sich nichts ist, sondern nur in seinem Verhältnis zu anderen, in seinem Entgegensetzen, Zusammenstimmen, Übergehen und Verschmelzen Wirkung hervorbringt, so ist es mit der Farbe hier dasselbe. Betrachten wir den Farbenschein, der wie Gold glänzt, wie beschienene Tressen glitzert, in der Nähe, so sehen wir nur etwa weißliche, gelbliche Striche, Punkte, gefärbte Flächen; die einzelne Farbe als solche hat nicht diesen Glanz, den sie hervorbringt; die Zusammenstellung erst macht dies Blinkern und Glinzern. Nehmen wir z. B. Terborchs Atlas, so ist jeder Fleck der Farbe für sich ein mattes Grau, mehr oder weniger weißlich, bläulich, gelblich, aber in einiger Entfernung durch die Stellung zum anderen kommt der schöne, milde Glanz hervor, der dem wirklichen Atlas eigen ist. Und so geht es mit Samt, Spiel des Lichtes, Duft der Wolken, überhaupt mit allem, was dargestellt wird. Es ist nicht der Reflex des Gemüts, der sich an den Gegenständen, wie dies bei Landschaften z. B. häufig der Fall ist, darstellen will, sondern es ist die ganz subjektive Geschicklichkeit, welche sich auf diese objektive Weise als die Geschicklichkeit der Mittel selbst in ihrer Lebendigkeit und Wirkung durch sich selber eine Gegenständlichkeit erzeugen zu können kundtut.
γ) Dadurch wendet sich nun aber das Interesse für die dargestellten Objekte dazu um, daß es die blanke Subjektivität des Künstlers selber ist, die sich zu zeigen gedenkt und der es deshalb nicht auf die Gestaltung eines für sich fertigen und auf sich selbst beruhenden Werkes ankommt, sondern auf eine Produktion, in welcher das hervorbringende Subjekt nur sich selber zu sehen gibt. Insofern diese Subjektivität nicht mehr die äußeren Darstellungsmittel, sondern den Inhalt selbst angeht, wird die Kunst dadurch zur Kunst der Laune und des Humors.