3.c. Kollisionen der Treue
Die Treue und der Gehorsam gegen den Herrn kann deshalb sehr leicht in Kollision mit der subjektiven Leidenschaft, der Gereiztheit der Ehre, dem Gefühl der Beleidigung, der Liebe und sonstigen inneren und äußeren Zufälligkeiten kommen und wird dadurch etwas höchst Prekäres. Ein Ritter z. B. ist seinem Fürsten getreu, aber sein Freund gerät in Zwist mit dem Fürsten; da hat er sogleich schon die Wahl zwischen der einen und anderen Treue, und vornehmlich kann er sich selbst, seiner Ehre und seinem Vorteil getreu sein. Das schönste Beispiel solch einer Kollision finden wir im Cid. Er ist dem König und ebenso sich selber treu. Wenn der König recht handelt, leiht er ihm seinen Arm, wenn der Fürst jedoch Unrecht tut oder Cid verletzt wird, entzieht er ihm seinen kräftigen Beistand. - Auch die Pairs Karls des Großen zeigen dasselbe Verhältnis. Es ist ein Band der Oberherrschaft und des Gehorsams, ungefähr ebenso, wie wir es zwischen Zeus und den übrigen Göttern schon haben kennenlernen; das Oberhaupt befiehlt, poltert und zankt, aber die selbständigen, kraftvollen Individuen widersetzen sich, wie und wann es ihnen beliebt. Am treuesten und anmutigsten aber ist diese Lösbarkeit und Lockerheit des Verbandes im Reineke Fuchs geschildert. Wie in diesem Gedicht die Großen des Reichs nur eigentlich sich selber und ihrer Selbständigkeit dienen, so waren auch die deutschen Fürsten und Ritter im Mittelalter nicht zu Hause, wenn sie fürs Ganze und ihren Kaiser etwas tun sollten; und es ist, als wenn man das Mittelalter eben darum so hoch stellte, weil in solchem Zustande jeder gerechtfertigt und ein Mann von Ehre ist, wenn er seiner Willkür nachgeht, was ihm in einem vernünftig organisierten Staatsleben nicht gestattet sein kann.
Auf allen diesen drei Stufen, der Ehre, Liebe und Treue, ist der Boden die Selbständigkeit des Subjekts in sich, das Gemüt, das sich jedoch immer zu weiteren und reicheren Interessen aufschließt und in denselben mit sich selbst versöhnt bleibt. Hierherein fällt in der romantischen Kunst die schönste Partie des Kreises, welcher außerhalb der Religion als solcher steht. Die Zwecke betreffen das Menschliche, mit dem wir von einer Seite her wenigstens, von der Seite nämlich der subjektiven Freiheit, sympathisieren können und nicht, wie es in dem religiösen Felde hin und wieder der Fall ist, den Stoff wie die Darstellungsweise mit unseren Begriffen in Kollision finden. Ebensosehr aber kann dies Gebiet vielfach mit Religion in Bezug gebracht werden, so daß nun die religiösen Interessen mit denen des weltlichen Rittertums verwebt sind, wie z. B. die Abenteuer der Ritter von der Tafelrunde bei Aufsuchung des Heiligen Grals. In dieser Verschlingung kommt dann teils viel Mystisches und Phantastisches, teils viel Allegorisches in die Poesie des Rittertums herein. Ebenso aber kann das weltliche Gebiet von Liebe, Ehre und Treue auch ganz unabhängig von der Vertiefung in religiöse Zwecke und Gesinnungen auftreten und nur die nächste Bewegung des Gemüts in seiner weltlichen inneren Subjektivität zur Anschauung bringen. - Was jedoch der jetzigen Stufe noch abgeht, ist die Erfüllung dieser Innerlichkeit mit dem konkreten Inhalt der menschlichen Verhältnisse, Charaktere, Leidenschaften und des wirklichen Daseins überhaupt. Dieser Mannigfaltigkeit gegenüber bleibt das in sich unendliche Gemüt noch abstrakt und formell und erhält deshalb die Aufgabe, diesen weiteren Stoff nun gleichfalls in sich aufzunehmen und in künstlerischer Weise verarbeitet darzustellen.