III. [Allgemeine Beziehungen zwischen der Geldwirtschaft und dem Prinzip des Individualismus]
« Zurück 1 |
2 |
3 |
4 Weiter »
Historisch besteht jedenfalls die Korrelation zwischen Naturalwirtschaft und Kollektivität, der auf der anderen Seite die zwischen Mobilisierung des Besitzes und Individualisierung desselben entspricht. Deshalb trägt, in enger Beziehung zu seinem Charakter als Kollektivgut, der Boden auch einen besonderen Charakter als Erbgut. Wenn wir die Familienverfassungen in ihren wirtschaftlichen Gestaltungen verfolgen, so sehen wir oft, daß der Unterschied des Erbgutes gegen das selbsterworbene Gut sich mit dem des unbeweglichen gegen das bewegliche Vermögen deckt. In den nordwestlichen Distrikten von Indien ist es ein und dasselbe Wort (jalm), das einerseits das Recht der Erstgeburt, andrerseits, im engeren Sinne, das Eigentum an Grund und Boden bedeutet. Umgekehrt kann das mobile Gut einen so engen Zusammenhang mit der Persönlichkeit haben, daß bei ganz primitiven und oft gerade ganz armen Völkern die Erbschaften an solchen Dingen überhaupt nicht angetreten, sondern, wie aus den verschiedensten Weltgegenden mitgeteilt wird, die Gebrauchsgegenstände des Toten vernichtet werden. Gewiß sind hierzu mystische Vorstellungen wirksam: als ob der Geist des Verstorbenen durch diese Gegenstände angelockt und rückkehrend allerlei Schaden anrichten würde. Allein das beweist ja gerade die enge Verbindung, die zwischen jenen und der Persönlichkeit besteht, so daß der Aberglaube durch sie seinen speziellen Inhalt erhält! Von den Nikobaren wird berichtet, daß es dort als Unrecht gilt, einen Verwandten zu beerben, und deshalb seine Hinterlassenschaft zerstört wird - ausgenommen Bäume und Häuser. Diese tragen den Charakter des immobilen Besitzes, so daß ihre Verbindung mit dem Individuum eine lockere ist und sie zum Übergang auf Andere geeigneter sind. Wir empfinden den Dingen gegenüber das doppelte Verhältnis: der Mensch bleibt und die Dinge wechseln und: die Dinge bleiben und die Menschen wechseln. Wo nun das erstere überwiegt, im Mobiliarbesitz, fällt unvermeidlich der Bedeutsamkeitston auf den Menschen, die Vorstellung neigt dazu, das Individuum als das Wesentliche zu betonen. Wo umgekehrt die Objekte dem Menschen gegenüber beharren und überleben, tritt das Individuum zurück; der Grund und Boden erscheint als der Fels, an dem das Leben des Einzelnen wie die Welle aufrauscht und abfließt. Damit schafft der Immobiliarbesitz begreiflich die Disposition zu dem Zurücktreten des Einzelnen, das hier dessen Verhältnis zu der Kollektivität als eine Analogie seines Verhältnisses zu den Dingen erscheinen läßt. Daher nun auch die enge Beziehung, die der Grundbesitz gerade zu der auf das Prinzip der Erblichkeit gegründeten Aristokratie hat. Ich erinnere an das früher Erwähnte, wie sehr das aristokratische Prinzip der Familienkontinuität im alten Griechenland in religiös getesteter Wechselwirkung mit der zentralen Stellung des Grundbesitzes stand: die Veräußerung des Grundbesitzes war nicht nur eine Pflichtverletzung gegen die Kinder, sondern, in noch betonterem Maße, den Ahnen gegenüber! Man hat ferner hervorgehoben, daß, wo die königlichen Lehen rein naturalwirtschaftlicher Art waren, wie im frühen mittelalterlichen Deutschland - während in Ländern, die der Geldwirtschaft etwas näher standen. Lehensverhältnisse leicht auf andere als dingliche Benefizien gegründet werden konnten - sie auf aristokratischen Charakter der ganzen Institution hinwirkten. Das Erbprinzip aber steht im großen und ganzen im Gegensatz zum Individualprinzip. Es bindet den Einzelnen in die Reihe der nacheinander lebenden Personen, wie das Kollektivprinzip ihn in die der nebeneinander lebenden bindet; so garantiert auch im Biologischen die Vererbung die Gleichheit der Generationen. An der Schranke des Vererbungsprinzips macht die wirtschaftliche Individualisierung Halt. Im 13. und 14. Jahrhundert hatte sich zwar die deutsche Einzelfamilie wirtschaftlich vom »Geschlecht« emanzipiert und trat als selbständiges Vermögenssubjekt auf. Aber damit war auch die Differenzierung beendet. Weder der Hausvater, noch Frau oder Kinder hatten scharf bestimmte individuelle Rechte an das Vermögen; es verblieb als Stock der Familiengenerationen. Die einzelnen Familienglieder waren nach dieser Richtung hin noch nicht individualisiert. Die Herausbildung der wirtschaftlichen Individualität beginnt hier also an dem Punkte, wo der Erbgang endet: an der Einzelfamilie, und hört dort wieder auf, wo er noch herrscht: innerhalb der Einzelfamilie; erst wo, wie in der Neuzeit, die Vererbung wesentlich bewegliches Vermögen betrifft, wird dieser Inhalt ihrer mit seinen individualistischen Konsequenzen freilich Herr über ihr formal antiindividualistisches Wesen. Ja selbst die Forderungen der Praxis können dieses oft nicht überwinden, wo es an dem Charakter des Grundbesitzes seine Stütze findet. Es könnte nämlich mancher Schattenseite unseres bäuerlichen Erbrechts in einzelnen Fällen abgeholfen werden, wenn die Bauern testierten. Allein das tun sie sehr selten. Das Testament ist zu individuell gegenüber der Intestaterbfolge. Die Verfügung über den Besitz nach ganz persönlichem, von der Üblichkeit und Allgemeinheit abweichendem Belieben ist ein zu starker Anspruch an die Differenziertheit des Bauern. So dokumentiert sich überall die Immobilität des Besitzes, mag sie mit seiner Kollektivität oder seiner Erblichkeit verbunden sein, als das Hemmnis, dessen Zurückweichen einen proportionalen Fortschritt der Differenzierung und persönlichen Freiheit gestattet. Insofern das Geld das beweglichste unter allen Gütern ist, muß es den Gipfel dieser Tendenz darstellen und ist nun auch tatsächlich derjenige Besitz, der die Lösung des Individuums von den vereinheitlichenden Bindungen, wie sie von anderen Besitzobjekten ausstrahlen, am entschiedensten bewirkt.
« Zurück 1 |
2 |
3 |
4 Weiter »