Ode - Stoff und Inhalt der Ode
Wir haben die verschiedenen Arten der Ode in Absicht auf den Ton und den Plan oder Schwung derselben betrachtet. Eben so ungleich ist sie sich selbst auch in Ansehung des Inhalts oder der Materie, die sie bearbeitet. Sie hat überhaupt keinen ihr eigenen Stoff. Jeder gemeine oder erhabene Gedanken, jeder Gegenstand von welcher Art er sei, kann Stoff zur Ode geben; es kommt dabei bloß darauf an, mit welcher Lebhaftigkeit, in welcher wichtigen Wendung und in welchem hellen Lichte der Dichter ihn gefasst habe. Wer, wie Klopstock so feierlich denkt, von Empfindung so ganz durchdrungen wird oder eine so hochfliegende Phantasie hat, findet Stoff zur Ode, da, wo ein anderer kaum zu einiger Aufmerksamkeit gereizt wird. Wer als ein Mann von so einzigem Genie würde einen Stoff, wie der in der Ode, Sponda, ich will nicht sagen in so hohem feierlichen, sondern nur in irgend einem der Leier oder der Flöte anständigen Tone, haben besingen können? Der wahre Odendichter sieht einen Gegenstand, der mancherlei liebliche Phantasten oder auch wichtige Vorstellungen oder starke Empfindung in ihm erweckt: tausend andere Menschen sehen denselben Gegenstand, mit eben der Klarheit und denken nichts dabei. Des Dichters Kopf ist mit einer Menge merkwürdiger Vorstellungen an gefüllt, die wie das Pulver sehr leichte Feuer fangen und auch andere daneben liegende schnell entzünden.
Der gewöhnlichste Stoff der Ode, der auch Dichter von eben nicht ausserordentlichem Genie zum Singen erweckt, ist von leidenschaftlicher Art und unter diesen sind die Freude, die Bewunderung und die Liebe die gemeinsten. Die beiden ersteren sind allen Ansehen nach die ältesten Veranlassungen der Ode, so wie sie es vermutlich auch von Gesang und Tanz sind, die allem Ansehen nach ursprünglich mit der Ode verbunden gewesen. Der noch halb Wilde so wie der noch unmündige Mensch äußert diese Leidenschaften durch Hüpfen, Frohlocken und Jauchzen. Ein feierliches Trauern, das bei dem noch ganz natürlichen Menschen in Heulen und Wehklagen ausbricht, scheint hienächst auch Oden veranlasst haben; durch Nachahmung solcher von der Natur selbst eingegeben Oden, ist der Stoff derselben mannigfaltiger worden.
Man kann überhaupt die Ode in Absicht auf ihre Materie in dreierlei Arten einteilen. Einige sind betrachtend und enthalten eine affektvolle Beschreibung oder Erzählung der Eigenschaften des Gegenstandes der Ode; andere sind phantasiereich und legen uns lebhafte Schilderungen von einer feuerigen Phantasie entworfen vor Augen; endlich ist eine dritte Art empfindungsvoll. Am öftersten aber ist dieser dreifache Stoff in der Ode durchaus vermischt. Zu der er sten Art rechnen wir die Hymnen und Lobgesänge, wovon wir die ältesten Muster in den Büchern des Moses und in den hebräischen Psalmen antreffen. Auch Pindars Oden gehören zu dieser Art, wiewohl sie in einem ganz anderen Geist gedichtet sind: allgemein aber sind sie nichts anders als höchst poetische Betrachtungen zum Lob gewisser Personen oder gewisser Sachen. In diesen Oden zeigen die Dichter sich als Männer die urteilen, die ihre Beobachtungen und Meinungen über wichtige Gegenstände empfindungsvoll vortragen. Der darin herrschende Affekt ist Bewunderung und oft sind sie vorzüglich lehrreich.
Zu der zweiten Art rechnen wir die Oden, welche phantasiereiche Beschreibungen oder Schilderungen gewisser Gegenstände aus der sichtbaren Welt enthalten, wie Horazens Ode an die blandusische Quelle, Anakreons Ode auf die Cicada und viel andere dieses Dichters. Man sieht, wie dergleichen Gesänge entstehen. Der Poet wird von der Schönheit, eines sichtbaren Gegenstandes mächtig gerührt, seine Phantasie gerät in Feuer und er bestrebt sich, das, was diese ihm vormalt durch seinen Gesang zu schildern. Bisweilen ist es ihm dabei bloß um diese Schilderung zu tun, wodurch er sich in der angenehmen Empfindung, die der Gegenstand in ihm verursacht hat, nährt: andremal aber veranlasst das Gemälde bei ihm einen Wunsch oder führt ihn auf eine Lehre und diese setzt er als die Moral seines Gemäldes hinzu [s. Moral]. Von dieser Art ist die Ode des Horaz an den Sextius [L. I. od. 45] und viel andere dieses Dichters. Sie scheint überhaupt die größte Mannigfaltigkeit des Inhalts für sich zu haben. Denn die natürlichen Gegenstände, wodurch die Sinne sehr lebhaft gereizt werden, sind unerschöpflich und jede kann auf mancherlei Art, ein Bild einer sittlichen Wahrheit werden. Diese Oden sind auch vorzüglich eines überraschenden Schwunges fähig, durch den der Dichter seine Schilderung auf eine sehr angenehme, meist unerwartete Weise auf einen sittlichen Gegenstand anwendet, wovon wir Gleims Ode auf den Schmerlenbach zum Beispiel anführen können. Man denkt dabei, der Dichter habe nichts anders vor als uns den angenehmen Eindruck mitzuteilen, den dieser Bach auf ihn gemacht hat; zuletzt aber werden wir sehr angenehm überrascht, wenn wir sehen, dass alles dieses bloß auf das Lob seines Weines abzielt; denn der Dichter setzt am Ende seiner Schilderung hinzu:
Jedoch mein lieber Bach
Mit meinem Wein sollst du dich nicht vermischen.
Die dritte Art des Stoffs ist der Empfindungvolle. Der Odendichter kann von jeder Leidenschaft bis zu dem Grad der Empfindung gerührt werden, der die Ode hervorbringt. Dann besinget er entweder den Ge genstand der Empfindung und zeigt uns an ihm das, was seine Liebe, sein Verlangen, seine Freud oder Traurigkeit oder auf der anderen Seite seinen Unwillen, Hass, Zorn und seine Verabscheuhung verursacht; die Farben zu seinen Schilderungen gibt ihm die Empfindung an die Hand, sie sind sanft und lieblich oder feuerig, finster und fürchterlich, nachdem die Leidenschaft selbst das Gepräg eines dieser Charaktern trägt: oder er schildert den Zustand seines Herzens, äußert Freude, Verlangen, Zärtlichkeit, kurz, die Leidenschaft, die ihn beherrscht, wobei er sich begnügt den Gegenstand derselben bloß anzuzeigen oder auch nur erraten zu lassen. Gar oft mischet er beiläufig Lehren, Anmerkungen, Vermahnung oder Bestrafung, zärtliche, fröhliche oder auch verdrießliche Apostrophen, in sein Lied. Seine Lehren und Sprüche sind allemal von der Leidenschaft eingegeben und tragen ihr Gepräg. Darum sind sie zwar allemal nachdrücklich, dem in Affekt gesetzten Gemüte sehr einleuchtend, bisweilen ausnehmend stark und wahr, andremal aber hyperbolisch, wie denn die Leidenschaft allgemein alles vergrößert oder verkleinert, auch oft nur halb oder einseitig wahr. Denn allgemein denkt das in Empfindung gesetzte Gemüt ganz anders von den Sachen als die ruhigere Vernunft. Aber wo auch bei der Leidenschaft der Dichter die Sachen von der wahren Seite sieht, wenn er ein Mann ist, der tief und gründlich zu denken gewohnt ist; da gibt die Empfindung seinen Lehren und Sprüchen auch eine durchdringende Kraft und erhebt sie zu wahren Machtsprüchen, gegen die Niemand sich aufzulehnen getraut.
Am gewöhnlichsten sind die Oden, darin dieser dreifache Stoff abwechselt; da der Dichter von einem Gegenstand lebhaft gerührt, jede der verschiedenen Seelenkräfte an demselben übet; da Verstand, Phantasie und Empfindung bald abwechseln, bald in einander fließen. In diesen herrscht eine höchst angenehme Mannigfaltigkeit von Gedanken, Bildern und Empfindungen, aber alle von einem einzigen Gegenstand erweckt, der uns da in einem mannigfaltigen Licht auf eine höchst interessante Weise vorgestellt wird.