Ode - Die Ode von der Antike zur Neuzeit


Die ältesten und zugleich vortreflichsten Oden der alten Völker sind ohne Zweifel die hebräischen, deren wir aber hier bloß erwähnen, um den Leser auf die höchstschätzbaren Abhandlungen darüber zu verweisen, die wir dem berühmten Lowth, einem Mann von tiefer Einsicht und von großem Geschmack zu danken haben [Rob. Lowth de sacra poesi Hebræorum prælectiones Academicæ. Præl. XXV- XXVIII]. Die Griechen besaßen einen großen Reichtum, wie in allen anderen Gattungen der Werke des Geschmacks, also auch in dieser; aber der größte Teil davon ist verloren gegangen. Die Alten rühmen vorzüglich neun griechische Odendichter; diese sind: Alcäus, Sappho, Stesichorus, Ibicus, Bacchylides, Simonides, Alcman, Anakreon und Pindar. Die Oden der sieben ersten sind bis auf wenig einzelne Stellen verloren gegangen. Von Anakreon haben wir noch eine nicht unbeträchtliche Anzahl und von Pindar eine starke Sammlung, obgleich eine noch größere Menge ein Raub der Zeit geworden sind. Aber der Stoff der übrig gebliebenen pindarischen Oden ist für uns weniger interessant; weil darin bloß die Männer besungen werden, die in den verschiedenen öffentlichen Kampfspielen der Griechen den Preis erhalten haben. Wir haben diesem großen Dichter einen besonderen Artikel gewidmet [s. Pindar]. Man muss auch die tragischen Dichter der Griechen hierher rechnen; denn in jedem Trauerspiel kommen Gesänge der Chöre vor, die wahre Oden von hohem feierlichem Ton sind. Sie haben vor allen anderen Oden dieses voraus, dass die Gemüter durch das, was auf der Bühne vorgegangen, auf das Beste vorbereitet sind, den Eindruck mit voller Kraft zu empfinden. Die genaueste Überlegung hätte kein schicklicheres Mittel ausgedacht, den vollkommnesten Gebrauch von der Ode zu machen als das, was die Gelegenheit hier von selbst anbot. Wir haben anderswo gesagt, wie die Chöre in alten Trauerspiel gelegentlich beibehalten worden. Wenn wir von diesem Ursprung derselben nicht unterrichtet wären, so würden wir denken, sie seien mit guter Überlegung in das Trauerspiel eingeführt worden, um der Ode Gelegenheit zu verschaffen, in ihrer vollen Wirkung zu erscheinen. Die Gemüter sind durch die tragische Handlung zum Eindruck der Ode vorbereitet und er wird durch den feierlichen Vortrag und die Unterstützung der Musik noch um ein merkliches verstärkt. Diese Betrachtung allein sollte hinreichend sein, die Chöre wieder in die Tragödie aufzunehmen.

Es wäre sehr zu wünschen, dass ein in der griechischen Literatur wohl erfahrner Mann von so reifem Urteil und so feinem Geschmack als Lowth, über die verschiedenen Gattungen der griechischen Ode so gründlich und ausführlich schriebe als dieser vortrefliche Mann über die hebräische Ode geschrieben hat. Dieses würde ein Werk von ausnehmender Annehmlichkeit und für die Odendichter von ausserordentlichem Nutzen sein. Es ist kaum eine Gemütslage, in der ein Dichter sich zur Ode gestimmt fühlte, möglich, die dabei nicht vorkäme; von den kleinen lieblichen Gegenständen, wodurch die Seele in süße Schwärmerei gesetzt wird, bis auf die größten, die sie mit Ehrfurcht, Schrecken und anderen überwältigenden Leidenschaften erfüllen, ist kein Odenstoff, den nicht irgend einer der griechischen Dichter behandelt hätte, wenn wir vom Anakreon bis auf die erhabenen Chöre des Äschylus heraufsteigen. Hier wäre also vortrefliche Gelegenheit für einen wahren Kunstrichter, Ruhm zu erwerben. Die Römer sind, wie in allen Zweigen der Künste, so auch hierin, weit hinter den Griechen zurückgeblieben. Horaz war ihr einziger Odendichter, der den Griechen zur Seite stehen konnte; dieses haben sie selbst eingestanden [Lyricorum Horatius fere solus legi dignus. Quintil. Jnst. L. X. c. 1; 69]. Aber dieser allein konnte statt vieler dienen. Er wußte seine Leier in jedem Ton zu stimmen und hat alle Gattungen der Ode, von der hohen Pindarischen bis auf das liebliche Anakreontische und das schmelzende Sapphische Lied, glücklich bearbeitet.

Wir dürfen in diesem Zweig der Dichtkunst keine der heutigen Nationen beneiden. Klopstock kann ohne übertriebenen Stolz dem Deutschen zurufen:

 

Schreckt noch anderer Gesang dich, o Sohn Teutons,

Als Griechengesang ––

–– So bist du kein Deutscher! ein Nachahmer

Belastet vom Joche, verkennst du dich selber!

 

Diesen Vorzug haben wir vornehmlich dem Mann von außerordentlichem Genie zu danken, der mit gleichem Recht sich dem Homer und dem Pindar zur Seite stellen kann. Nichts ist erhabener, feierlicher, im Flug kühner als seine Ode von höherem Stoff; nichts jubelreicher als die von freudigem; nichts rührender, schmelzender, als die von zärtlichem Inhalt. Nur Schade, dass dieser wirklich unvergleichliche Dichter in seinen Oden von geistlichem Inhalt, bisweilen auch bei weniger erhabenen Stoff, seinen Flug so hoch nimmt, dass nur wenige ihm darin folgen können.

Nächst diesem verdient Ramler eine ansehnliche Stelle unter unseren einheimischen Odendichtern. Er hat das deutsche Ohr mit dem Wohlklang der griechischen Ode bekannt gemacht, auch den wahren Schwung und Ton der horazischen Ode in der deutschen vollkommen getroffen. Hierin scheint er seinen Ruhm gesucht zu haben; denn man entdeckt leicht bei ihm den Vorsatz, ein genauer Nachahmer des Horaz zu sein. Selbst in der Wahl des Stoffs scheint er des Römers Geschmack zum Muster genommen zu haben. Für die höhere Ode ist Friedrich sein August; zu der gemäßigten von sanft empfindsamen oder bloß phantasiereichem Inhalt gibt ihm ein Mädchen oder ein Freund oder die Annehmlichkeit einer Jahrszeit den Stoff, den er allemal in einer höchst angenehmen Wendung behandelt und mit überaus feinen Blumen bestreut. Was kann anmutiger und lieblicher sein als sein Amynt und Chloe? Höchst malerisch und phantasiereich ist die Sehnsucht nach dem Winter und mit einem höchstglücklichen und angenehmen Schwung hat der Dichter diese schöne Ode geendigt. Nichts ist zärtlicher und von sanfterem Ausdruck als das wechselseitige Lied Ptolomäus und Berenice.

Auch Lange und Pyra, die es zuerst gewagt haben, der deutschen Ode ein griechisches Silbenmaß zu geben, und Uz stehen mit Ehren in der Klasse der guten Odendichter. Dieser letztere hat oft, ohne den Horaz nachzuahmen, von wirklicher, nicht nachgeahmter Empfindung angeflammt, in Schwung, Gedanken und Bildern, bald den hohen Ernst, bald die Annehmlichkeit des Horaz erreicht. Cramer hat vorzüglich den Psalm für seine Leier gewählt; sein Vers strömmt aus voller Quelle. Wenn er weder die Hoheit, noch die Lieblichkeit, noch die nachdrückliche Kürze des hebräischen Ausdrucks erreicht, so übertrifft er doch darin meistenteils seine deutschen Vorgänger.

Überhaupt scheint es, dass die Ode das Fach ist, darin die deutsche Dichtkunst sich vorzüglich zeigen könnte: hätten nur unsere Dichter einen bequemern und höheren Standort, aus dem sie zur besten Anwendung ihrer Talente die Menschen und ihre Geschäfte, besser übersehen könnten!


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