Ode

Ode. (Dichtkunst) Das kleine lyrische Gedicht, dem die Alten diesen Namen gegeben haben, erscheint in so mancherlei Gestalt und nimmt so vielerlei Charaktere und Formen an, dass es unmöglich scheint, einen Begriff festzusetzen, der jeder Ode zukomme und sie zugleich von jeder anderen Gattung abzeichne. Von der Eiche bis zum Rosenstrauch sind kaum so viel Gattungen von Bäumen als Arten dieses Gedichtes von der hohen pindarischen Ode bis auf die scherzhafte, niedliche Ode des Anakreons. Es scheint dass die Griechen den Charakter dieser Dichtungsart mehr durch die äußerliche Form und die Versart als durch innerliche Kennzeichen bestimmt haben. Die neueren Kunstrichter geben Erklärungen davon und bestimmen ihren inneren Charakter; aber wenn man sich genau daran halten wollte, so müsste man manche pindarische und horazische Ode von dieser Gattung ausschließen.

Nur darin kommen alle Kunstrichter mit einander überein, dass die Oden die höchste Dichtungsart ausmachen; dass sie das Eigentümliche des Gedichts in einem höheren Grad zeigen und mehr Gedicht sind als irgend eine andere Gattung. Was den Dichter von anderen Menschen unterscheidet und ihn eigentlich zum Dichter macht, findet sich bei dem Odendichter in einem höheren Grad als bei irgend einem anderen. Dieses ist nicht so zu verstehen als ob zu jeder Ode mehr poetisches Genie erfordert werde als zu jedem anderen Gedicht; dass Anakreon ein größerer Dichter sei als Homer: sondern so, dass die Art, wie der Odendichter in jedem besonderen Falle seine Gedanken und seine Empfindung äußert, mehr poetisches an sich habe als wenn derselbe Gedanken, dieselbe Empfindung in dem Ton und in der Art des epischen oder eines anderen Dichters, wäre an den Tag gelegt worden. Was er sagt, das sagt er in einem poetischern Ton, in lebhaftern Bildern, in ungewöhnlicherer Wendung, mit lebhafterer Empfindung als ein anderer Dichter. Mit einem Wort, er entfernt sich in allen Stücken weiter von der gemeinen Art zu sprechen als jeder andere Dichter. Dieses ist sein wahrer Charakter. Deswegen aber ist nicht jede Ode erhaben oder hinreißend; aber jede ist in ihrer Art, nach Maßgabe dessen, was sie ausdrückt, höchst poetisch; ihr Ausdruck oder ihre Wendung, hat allemal, wenn auch der Inhalt noch so klein, noch so gering ist, etwas Außerordentliches, das den Zuhörer überrascht, mehr oder weniger in Verwunderung setzt oder doch sehr einnimmt. Um dieses zu fühlen, lese man die zwanzigste Ode des ersten Buchs vom Horaz. Mecänas bat sich selbst bei dem Dichter zu Gaste; in der gemeinen Sprache würde dieser ihm geantwortet haben: du kannst kommen, wenn du mit schlechterm Wein als dessen du gewohnt bist, vorlieb nehmen willst. Ein Dichter, der sich nicht bis zum Ton der Ode heben kann, würde dieses etwas feiner und witziger sagen: Horaz aber gibt dem Gedanken eine Wendung, wodurch er den empfindungsvollen sapphischen Ton verträgt: und indem er ihn in einer hohen poetischen Laune vorträgt, wird er zur Ode.

Es ist also nicht die Größe des Gegenstandes der besungen wird, nicht die Wichtigkeit des Stoffs, darin man den Charakter dieses Gedichtes zu suchen hat; es erhält ihn allein von dem besonderen und höchstlebhaften Genie des Dichters, der auch eine gemeine Sache in einen Lichte sieht, darin sie die Phantasie und die Empfindung reizt. So leicht es ist das Charakteristische dieser Dichtungsart bei jeder guten Ode zu empfinden, so schwer ist es, dasselbe durch umständliche Beschreibung zu entwickeln.

Da sie die Frucht des höchsten Feuers der Begeisterung oder wenigstens des lebhaftesten Anfalls der poetischen Laune ist; so kann sie keine beträchtliche Länge haben. Denn dieser Gemütszustand kann seiner Natur nach nicht lange dauren. Und da man in einem solchen Zustande alles übersieht, was nicht sehr lebhaft rührt, so sind in der Ode Gedanken, Empfindungen, Bilder, jeder Ausdruck entweder erhaben, hyperbolisch, stark und von lebhaftem Schwung oder von besonderer Annehmlichkeit; alles Bedächtli che und Gesuchte fällt da notwendig weg. Darum ist auch die Ordnung der Gedanken darin zwar höchst natürlich für diesen ausserordentlichen Zustand des Gemütes, darin man nichts sucht, aber einen Reichtum lebhafter Vorstellungen von selbst, von der Natur angeboten, findet; man empfindet, wie ein Gedanken aus dem anderen entstanden ist, nicht durch methodisches Nachdenken, sondern der Lebhaftigkeit der Phantasie und des Witzes gemäß. Es ist darin nicht die notwendige Ordnung, wie in den Gedanken, den ein zergliedernder oder zusammensetzender Verstand entwickelt, aber eine den Gesetzen der Einbildungskraft und der Empfindung gemäße, nach welcher der poetische Taumel des Dichters, allgemein sich auf eine unerwartete Weise endigt und in dem Zuhörer Überraschung oder sanftes Vergnügen zurücklässt. Dadurch wird jede Ode eine wahrhafte und sehr merkwürdige Schilderung des inneren Zustandes, worin ein Dichter von vorzüglichem Genie, durch eine besondere Veranlassung auf eine kurze Zeit ist gesetzt worden. Man wird von diesem sonderbaren Gedicht einen ziemlich bestimmten Begriff haben, wenn man sich dasselbe als eine erweiterte und nach Maßgabe der Materie mit den kräftigsten, schönsten oder lieblichsten Farben der Dichtkunst ausgeschmückte Ausrufung vorstellt.

Wir müssen aber nicht vergessen, auch eine ganz eigene Versart mit zu dem Charakter der Ode zu rechnen. Man kann leicht erachten, dass ein so außerordentlicher Zustand, wie der ist, da man vor Fülle der Empfindung singt und springt, (dies ist wirklich der natürliche Zustand, der die Ode hervorgebracht hat) auch einen außerordentlichen Ton und Klang verursachen werde. Der Dichter nimmt da Bewegung, Wohlklang und Rhythmus als bewährte Mittel die Empfindung zu unterhalten und zu stärken, zu Hilfe [s. Melodie, Takt, Rhythmus]. Ich habe anderswo eine Beobachtung angeführt, welche beweiset, wie viel Kraft das Melodische des Silbenmaß habe, um den Dichter in seiner Laune zu unterhalten [s. die Vorrede zu der ersten Sammlung der Gedichte der Frau Karschin]. In der Gemütslage, worin der Odendichter sich befindet, spricht man gerne in kurzen, sehr klangreichen Sätzen, die bald länger, bald kürzer sind, nach Maßgabe der Empfindung, die man äußert.

Daher ist zu vermuten, dass jede wirkliche Ode, sie sei hebräischen, griechischen oder celtischen Ursprunges, in dem Klange mehr Musik verraten wird als jede andere Dichtungsart. Dieses liegt in der Natur. Als man nachher, die von der Natur erzeugten Oden zum Werk der Kunst machte, dachte man vielfältig über das Silbenmaß nach und das feine Ohr der griechischen Dichter fand mancherlei Gattungen desselben [s. Silbenmaß, Versart]. Die Anordnung der Verse in Strophen, die nach einem Muster wiederholt werden, scheint bloß zufällig zu sein, ob sie gleich jetzt beinahe zum Gesetz geworden.

Dieses scheint also der allgemeine Charakter aller Oden zu sein.



Inhalt:


Ton und Plan der Ode
Stoff und Inhalt der Ode
Beispiel Horaz
Kraft und Wirkung der Ode
Die Ode von der Antike zur Neuzeit

 © textlog.de 2004 • 22.11.2024 16:25:35 •
Seite zuletzt aktualisiert: 23.10.2004 
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