Rhythmus; Rhythmisch

Rhythmus; Rhythmisch. (Redende Künste, Musik, Tanz) Die Wörter sind griechisch, von unbekannter, wenigstens sehr ungewisser Abstammung und kommen bei den Alten in verschiedener Bedeutung vor. Die Griechen nannten Rhythmus, 1. was die Römer Numerum Oratorium nannten. 2. das, was wir das Silbenmaß nennen; denn sie hatten einen daktylischen, jambischen, päonischen Rhythmus u.s.w. 3. in der Musik, das was wir Takt nennen; denn was wir jetzt durch die Worte geraden und ungeraden Takt ausdrucken, hieß bei den Griechen gleicher oder gerader und ungleicher oder ungerader Rhythmus. 4. im Tanz das, was wir Pas oder einen Tanzschritt nennen. Die Neuern haben den Begriff des Wortes mehr eingeschränkt. In der Dichtkunst wird des Rhythmus selten erwähnet, weil er meistenteils unter dem Wort Silbenmaß betrachtet wird. In der Musik ist er fast allein auf die Abmessung der Einschnitte eingeschränkt. Wir betrachten ihn hier in der weiteren und ehemaligen Ausdehnung.

 Es lässt sich aus den angeführten verschiedenen Bedeutungen abnehmen, dass das Wort überhaupt etwas wohl geordnetes und gleichförmiges in der Folge der Töne und der Bewegung anzeige. Zwar sagt Aristides Quintilianus, einer der alten noch vorhandenen Schriftsteller über die Musik, dass auch in Dingen die auf einmal ins Auge fallen, wie in einer Statüe, ein Rhythmus statt habe. Da aber das, was aus den guten Verhältnissen in Gebäuden und Formen entsteht, Eurythmie genannt worden; so lässt sich daraus abnehmen, dass die Griechen dem Ebenmaß der Formen nicht eigentlich den Rhythmus, sondern etwas dem Rhythmus ähnliches zugeschrieben haben und dass das Wort die Ordnung und das Abgemessene in Dingen, die auf einander folgen, ausgedrückt habe.

 Indessen erkläre man das griechische Wort, wie man wolle; so nehmen wir es hier bloß von der Ordnung in Ton und Bewegung und zwar vornehmlich insofern sie in der Musik und in dem Tanz vorkommt. Wir werden nachher die Anwendung davon auf die Dichtkunst leichte machen können. Von dem Rhythmus der prosaischen Rede, haben wir schon unter seinem lateinischen Namen Numerus gesprochen. Damit der über diese Materie noch ununterrichtete Leser auf einmal einen allgemeinen und richtigen Begriff vom Rhythmus in der Musik bekomme, merken wir vorläufig an, dass in der Musik der Rhythmus gerade das ist, was in der Poesie die Versart.

 Da nicht nur die Alten dem Rhythmus große ästhetische Kraft zuschreiben, sondern auch jetzt Jedermann gesteht, dass im Gesang und Tanz alles, was man eigentlich Schönheit nennt, vom Rhythmus herkommt; so gehört die Untersuchung über die eigentliche Natur und die Wirkung desselben unmittelbar hierher und ist um so viel nötiger, da sie, so viel mir bekannt ist, von keinem Kunstrichter unternommen worden; daher die Tonsetzer selbst oft ziemlich verworrene Begriffe von dem Rhythmus haben, dessen Notwendigkeit sie empfinden, ohne den geringsten Grund davon angeben zu können.

 Ich habe gesagt, man schreibe das, was die Musik und der Tanz im eigentlichen Sinne schönes haben, dem Rhythmus zu. Hier muss ich, um die Materie meiner Untersuchung genauer zu bestimmen, notwendig anmerken, dass Gesang und Tanz ihre ästhetische Kraft aus zwei ganz verschiedenen Quellen schöpfen. Die Töne der Musik, die Bewegungen und Gebärden des Tanzes können eine natürliche Bedeutung haben, wobei der Rhythmus nicht in Betrachtung kommt. Man hört Töne und sieht Bewegungen die an sich fröhlich, freudig, zärtlich, traurig und schmerzhaft sind. Diese haben, ohne allen Einfluss der Kunst, Kraft uns zu rühren und man nennt oft auch diese Dinge schön. Die Schönheit, die aus dem Rhythmus entsteht, ist etwas ganz anderes; nämlich, sie liegt in Dingen, die an sich völlig gleichgültig sind; die gar keine natürliche Bedeutung, keinen Ausdruck der Freude oder des Schmerzens haben.

Damit wir alles Fremde, von der Untersuchung über den Ursprung, die Natur und Wirkung des Rhythmus ausschließen, wollen wir bloß völlig gleichgültige Elemente voraussetzen, dergleichen die Schläge einer Trummel oder die Töne einer Saite sind; Töne ohne andere Kraft als die, die sie durch den Rhythmus erhalten. Es wird danach leicht sein, die Theorie auch auf andere Elemente anzuwenden.

 Man stelle sich also einzelne Schläge einer Trummel oder einzelne Töne einer Saite vor und mache sich die Frage, wodurch kann eine Folge solcher Schläge angenehm werden und einen sittlichen oder leidenschaftlichen Charakter bekommen? so steht man gerade auf dem Punkt, von dem die Untersuchung über den Rhythmus anfängt. Nun zur Sache.

 Erstlich ist offenbar, dass solche Schläge, die ohne die geringste Ordnung oder regelmäßige Abmessung der Zeit auf einander folgen, gar nichts an sich haben, das die Aufmerksamkeit reizen könnte; man hört sie, ohne darauf zu achten. Cicero vergleicht irgendwo den Numerus der Rede mit einen gewissen regelmäßig abgewechselten Herunterfallen der Regentropfen. Das Beispiel kann uns auch hier dienen. So lange man ein völlig unordentliches Geräusch der Tropfen hört, denkt man weiter an nichts als dass es regnet. Sobald man aber unter dem Geräusche das Auffallen einzelner Tropfen unterscheidet und wahrnimmt, dass diese immer in gleicher Zeit wiederkommen oder dass nach gleichem Zeitraum immer zwei, drei oder mehr Tropfen nach einer gewissen Ordnung auf einander folgen und so etwas Periodisches bilden, wie die Hammerschläge von drei oder vier Schmieden; so wird die Aufmerksamkeit zu Beobachtung dieser Ordnung angelocket. Da entsteht nun schon etwas vom Rhythmus, nämlich eine regelmäßige Wiederkehr von einerlei Schlägen.

 Wenn wir uns also, um wieder auf die Schläge der Trummel zu kommen, eine Folge von gleichen Schlägen nach gleichen Zeitteilen auf einander kommend, unter dem Bilde gleichgroßer und in gleicher Entfernung von einander gesetzter Punkte vorstellen; so haben wir einen Begriff von der einfachsten Ordnung in Folge der Dinge, den untersten und schwächesten Grad des Rhythmus. Die Schläge sind alle einander gleich und folgen in gleichen Zeiten. Die Wirkung dieses ganz einfachen Rhythmus ist nichts als ein sehr geringer Grad der Aufmerksamkeit. Denn da in den Tönen, die unaufhörlich an unser Gehör klopfen, allgemein keine merkliche Ordnung ist; so wird man aufmerksam, so bald sie sich irgendwo darin einfindet.

 Wollte man nun hier einen Grad der Ordnung mehr hineinbringen, so müsste es dadurch geschehen, dass die Schläge nicht gleich stark wären, die stärkern und schwächern aber nach einer festen Regel abwechselten. Die einfachste und leichteste Regel dieser Ab wechslung aber wäre diese: dass von zwei auf einander folgenden Schlägen, der erste stark, der andere schwach wäre. Dann würde man außer der Ordnung der gleichen Zeitfolge auch die bemerken, dass die Schläge immer paarweise, ein starker und ein schwacher folgten.

 Hier fängt nun schon das an, was wir in der Musik den Takt nennen. Diese taktmäßige Folge der Schläge hat schon etwas mehr als die vorhergehende, um die Aufmerksamkeit zu reizen. Hier ist schon doppelte Einförmigkeit und schon ein Grad der Abwechslung.

 Dass Einförmigkeit mit Abwechslung und Mannigfaltigkeit verbunden Wohlgefallen erwecke, können wir hier als bekannt voraussetzen. Daher entsteht also das Wohlgefallen an Dingen, die für sich und einzeln völlig gleichgültig sind. Und hier fangen wir an zu begreifen, wie durch den Rhythmus oder das Wohlgeordnete in der Folge gleichgültiger Dinge, Schönheit entstehen könne.

 Nun ist es leicht sich vorzustellen, was für Veränderungen mit dem Takte können vorgenommen werden, wodurch die Ordnung der Schläge nicht nur mannigfaltiger wird, sondern auch einen Charakter bekommt. Da es höchst schwerfällig und auch unnötig wäre, sich ganz umständlich hierüber zu erklären; so will ich mich nur mit ein Paar näheren Anmer kungen hierüber begnügen. Jedermann empfindet den Unterschied im Charakter zwischen dem geraden und ungeraden Takte. Dieser Takt: oder oder dieser lässt uns ganz was anders empfinden als dieser: oder als dieser und beide unterscheiden sich im Charakter merklich von diesem der aus beiden Arten zusammengesetzt ist. Wer dieses fühlen will, der darf nur eine Weile hinter einander folgende Wörter mit Beobachtung der Interpunktation aussprechen. Eins, zwei: Eins, zwei: Eins, zwei: oder diese: Eins zwei drei: Eins zwei drei: Eins zwei drei : oder endlich diese: Eins zwei drei, vier fünf sechs: Eins zwei drei, vier fünf sechs: Eins zwei drei, vier fünf sechs. Man empfindet sehr deutlich den Unterschied in der Ordnung dieser dreierlei Arten der Folgen; oder die drei Arten des Rhythmus. Tut man nun noch hinzu, dass ein und eben derselbe Takt eine geschwindere oder langsamere Bewegung haben kann, welches die Tonsetzer durch Allegro, Andante, Adagio u.s.w. ausdrücken; dass bei demselben Takte, die einzeln Schläge mannigfaltige Abwechslung vertragen, wie wenn anstatt dieser diese: oder diese gesetzt werden; dass sogar bisweilen einige ganz wegfallen und durch Pausen ersetzt werden; tut man endlich hinzu, dass die Schläge auch in Höhe und Tiefe verschieden; dass sie geschleift oder gestoßen und durch mancherlei andere Modificationen, die besonders die menschliche Stimme den Tönen geben kann, verschieden werden können; so begreift man leichte, dass eine einzige Taktart, eine unerschöpfliche Mannigfaltigkeit von Abwechslung geben könne. Und hieraus lässt sich schon überhaupt begreifen, wie eine Reihe an sich unbedeutender Töne bloß durch die Ordnung der Folge angenehm werden und einen gewissen Charakter bekommen könne.

 Nach dieser vorläufigen Erläuterung, können wir nun schon etwas näher bestimmen, was eigentlich der Rhythmus in einer Folge von Tönen sei. Nämlich überhaupt die Einteilung dieser Folge in gleich lange Glieder, so, dass zwei, drei, vier oder mehr Schläge ein Glied dieser Reihe ausmachen, das nicht bloß willkürlich, sondern durch etwas, das man wirklich empfindet, von anderen unterschieden sei. Dieses ist eigentlich das, was man in der Musik den Takt und in der Poesie das Silbenmaß nennet und zugleich die erste und einfachste Art des Rhythmus. Dieser einfache Rhythmus hat schon vielerlei Arten. Er ist entweder gradeoder ungerad; danach kann der gerade sowohl als der ungerade, durch die darin herrschende Geltung, da entweder die Viertel- oder Achtel-Noten am öftersten vorkommen, wieder besondere Charakte re annehmen.

  Wenn nun mehr Takte wieder unterschiedene Glieder ausmachen, deren jedes, aus zwei, drei oder mehr Takten besteht, so entsteht wieder eine andere Art des Rhythmus, den wir den zusammengesetzten nennen wollen. Endlich kann man auch aus solchen schon zusammengesetzten Gliedern, wieder größere Glieder (Perioden) machen. Wenn auch diese in gleichen Zeiten wieder folgen, so entsteht eine noch mehr zusammengesetzte Art des Rhythmus daraus.

  Wir wollen dieses noch einmal an dem schon angeführten Beispiel einer Reihe von Schlägen völlig erläutern.

 Man setze, dass man eine Reihe gleicher und in gleicher Zeit hinter einander folgender Schläge wirklich laut zähle: Eins, zwei, drei, vier u.s.w. so dass man jedes Wort gerade so laut und so nachdrücklich als das andere ausspreche. Hier wäre also bloße Regelmäßigkeit ohne Takt oder Rhythmus: bei der Regelmäßigkeit aber hätte geschwindere oder langsamere Bewegung statt. Wären die Schläge vollkommen gleich und man wollte sie nicht in einer Reihe nach allen Zahlen fortzählen, sondern Paarweise oder drei, vier und mehr zusammen, also: Eins zwei; Eins zwei; oder Eins zwei drei; Eins zwei drei; u.s.w. So gäbe dieses einen Schein des Taktes; in der Tat aber wäre es noch kein wirklicher Takt, wenn nicht in den Schlägen selbst etwas gefühlt würde, das zu dieser Abteilung in Glieder von zwei, drei oder mehr Teilen, Gelegenheit gäbe.

 Hat aber dieses Abteilen in Glieder einen wirklichen Grund in dem Gefühl; wird z.B. der erste, dritte, fünfte Schlag stärker als der zweite, vierte und sechste, angegeben, so entsteht der Takt von zwei Teilen       u.s.w., wo der Strich über die Noten den Nachdruck oder die mehrere Stärke des Schlages, anzeigt. So würde, wenn der erste, vierte, siebende Ton stärker als die dazwischen liegenden angeschlagen würden, der Takt aus drei Teilen entstehen.

Und so andere Taktarten. Hier ist nun Regelmäßigkeit und Rhythmus.

 Nun entstehen bei einerlei Takt noch besondere Arten dieses Rhythmus daher, dass die Schläge eine andere Art von Glied oder ein anderes Ganzes ausmachen. So ist z.B. in dieser Folge von Schlägen und in dieser einerlei Takt, den man den Dreivierteltakt nennt: aber jene Folge hat eine andere Art des Rhythmus als diese, ob sie gleich als Takte einerlei Namen haben. Zu dieser besonderen Art des Verhältnisses der Taktteile unter einander wird bloß auf die Dauer der Töne und auf den Nachdruck gesehen, wobei die Höhe nicht notwendig in Betrachtung kommt. Denn in folgenden zwei Takten wäre kein Unterschied des Rhythmus.

 Dieses ist aber der einfache Rhythmus. Ehe wir aber zur Betrachtung des Zusammengesetzten gehen, wollen wir diesen Begriff des einfachen Rhythmus auch auf Beispiele der Dichtkunst und des Tanzens anwenden.

 Nach der lateinischen und griechischen Prosodie, auch einigermaßen nach der Deutschen, haben das jambische und trochäische Silbenmaß einerlei Takt; nämlich einen ungeraden Takt von drei Teilen, deren zwei in einen zusammengezogen sind; aber als Rhythmus betrachtet, sind sie verschieden.

 Im Tanz kann ein Schritt oder Pas, aus zwei, aus drei oder aus vier Zeiten oder kleinen Bewegungen bestehen. Die Zahl dieser Zeiten und die Geschwindigkeit, womit der ganze Pas vollendet wird, machen den Rhythmus aus, insofern er Takt genannt wird, aber das Verhältnis der Zeiten gegen einander macht eine Verschiedenheit im Rhythmus aus.

Wenn nun aus mehreren Takten wieder größere Glieder gebildet worden; so dass zwei, drei oder vier Takte allemal einen dem Gefühl vernehmlichen Abschnitt in der Reihe der Töne oder der Bewegungen machen, so entsteht der zusammengesetzte Rhythmus. In der Poesie bestimmt das Silbenmaß den Takt und zugleich den einfachen Rhythmus; die Versart aber oder das Metrum, den Zusammengesetzten. Man stelle sich folgende Versart vor so ist hier ein Takt von zwei Zeiten, in welchem zwei einfache Rhythmen, nämlich der Spondäus und der Daktylus vorkommen. Zugleich aber kommen zweierlei größere Glieder oder Verse vor, davon einer aus einem Jambus und Daktylus, der andere aus zwei Jamben besteht; hier hat also der erste Vers einen zusammengesetzten Rhythmus, der anders ist als der zusammengesetzte Rhythmus des anderen Verses.

 Jedermann weiß, wie unzählig viele Veränderungen durch die zusammengesetzten Rhythmen entstehen können. Die unerschöpfliche Mannigfaltigkeit der Versarten dient zum Beispiel, aus dem auch auf Musik und Tanz kann geschlossen werden. Über diesen Rhythmus ist in Ansehung der Musik zu merken, dass seine Glieder nicht notwendig aus ganzen Takten bestehen, wie z. B. dieses sondern auch aus geteilten Takten; als so: oder so: Nämlich man kann diesen Rhyth mus am Anfang, in der Mitte oder beim letzten Teil des Taktes anfangen; aber er muss, um eine Anzahl ganzer Takte zu haben, dann auch wieder vor dem Taktteil aufhören, bei dem er angefangen, wie obige Beispiele zeigen.

 Endlich gibt es auch einen doppelt und dreifach zusammengesetzten Rhyhtmus. Der doppelt zusammengesetzte besteht aus Perioden von zwei oder mehreren zusammengesetzten Rhythmen. Zum Beispiel dienen die Versarten, wo allemal zwei, drei oder mehr Verse eine rhythmische Periode machen, die immer wiederkommt. In der elegischen Versart, in unseren Alexandrinern, die immer wechselsweise, männlich und weiblich endigen und in anderen Versarten, machen zwei Verse die Periode oder den doppelt zusammengesetzten Rhythmus aus; in anderen Versarten, kommen drei, in anderen vier Verse auf eine Periode, die dann eine Strophe genannt wird.

 Wo doppelte wiederkommende Strophen sind, da ist der Rhythmus dreifach zusammengesetzt; aus Versen und aus zweierlei großen Perioden. So sind die meisten Tanzmelodien. Zwei oder mehr Takte machen einen Einschnitt oder Vers; zwei oder mehr Einschnitte eine Periode oder einen Hauptteil; zwei Hauptteile machen die ganze Strophe oder die ganze Melodie, die in der Folge so oft wiederholt wird, bis der Tanz zu Ende ist. Dieses ist die vollkommenste rhythmische Einrichtung; weil eine noch größere Mannigfaltigkeit der Zusammensetzung dem Ohr nicht mehr faßlich wäre.

 

Komm Doris, komm zu jenen Buchen Laßt uns den stillen Grund besuchen, Wo nichts sich regt als ich und du.

 Denn folgt ein ähnlicher und gleichgroßer zweiter Teil:

Nur noch der Hauch verliebter Weste Belebt das schwanke Laub der Äste Und winket dir liebkosend zu.

 Dieser Teil unterscheidet sich von dem ersten durch den Ton; und jeder Tonsetzer von mittelmäßigen Nachdenken, würde ihn auch in einem anderen Ton, z.B. in der Dominante des ersten, setzen; gerade wie man es allgemein mit den Tanzmelodien macht. Hernach wird dieselbe Strophe mit allen ihren Rhythmen so lange wiederholt, bis das Lied zu Ende ist.

 Bei dieser Gelegenheit muss ich anmerken, dass diese Art Strophen für den Gesang die vollkommenste rhythmische Einrichtung haben. Die lyrischen Versarten der Alten schicken sich selten für unsere Musik. Allem Ansehen nach haben die Griechen ihrem Gesang keine harmonische Begleitung gegeben, folglich auch keine harmonische Kadenzen gekannt und einen vollen Redesatz nicht wie wir tun, durch eine Kadenz geschlossen. Ihr Silbenmaß allein war hinreichend, die Einschnitte völlig fühlbar zu machen. Vielleicht könnten wir den Gesang der Alten wieder finden, wenn ein Tonsetzer von Geschmack versuchen wollte, die Klopstockischen Oden nach griechischen Silbenmaßen so zu setzen, dass der Gesang einer Strophe auf alle anderen gleich gut passte. Doch dieses im Vorbeigang.

 Dieses kann hinlänglich sein jedem aufmerksamen Leser einen richtigen Begriff von dem zu geben, was in Musik und Tanz Rhythmus genannt wird. Man sieht daraus, dass er im Grunde nichts anders sei als eine periodische Einteilung einer Reihe gleichartiger Dinge, wodurch das Einförmige derselben mit Mannigfaltigkeit verbunden wird; so, dass eine anhaltende Empfindung die durchaus gleichartig ( Homogen) ge wesen wäre, durch die rhythmischen Einteilungen, Abwechslung und Mannigfaltigkeit bekommt. Es ist aber der Mühe wert seinem Ursprung und seinen Wirkungen näher nachzuforschen.

 Dass der Rhythmus nichts Gekünsteltes sei, das aus Überlegung entstanden, sondern eine natürliche Empfindung zum Grund habe, kann daraus abgenommen werden, dass auch halb wilde Völker ihn in ihren Tänzen beobachten und dass alle Menschen in gewisse Verrichtungen etwas rhythmisches bringen, ohne zu wissen, warum. Jeder Mensch, der mit einer gewissen Geschwindigkeit etwas zu zählen hat, wird nicht lange in ununterbrochener Gleichförmigkeit so zählen: Eins, zwei, drei, vier u. s. f. sondern gar bald die Zahlen Gliederweis, zwei, drei oder mehr Zahlen auf ein Glied, abteilen; nämlich so: Eins zwei; drei vier; u.s.w. oder so: Eins zwei drei; vier fünf sechs; u.s.w. Geschiehet das Zählen langsam, so, dass es nicht wohl mehr angeht, mehr Zahlen zu einem Glied zu nehmen; so sieht man die zu große Einförmigkeit dadurch zu unterbrechen, dass man eine Zahl in zwei Teile teilt. Anstatt so zu zählen: Eins – zwei – drei –, so dass zwischen zwei Wörtern eine merkliche Zeit verflösse, fällt man bald darauf so zu zählen: Ei – nes; zwei – e; drei – e; u.s.w.

So bald das Ohr laute Schläge, die in gleichen Zeiten hinter einander folgen, vernimmt; so kann man sich nicht enthalten im Geiste sie zu zählen; folglich sie auf beschriebene Art einzuteilen. Machen wir diese Schläge selbst, so richten wir sie schon so ein, dass das rhythmische Zählen durch die Verschiedenheit der Schläge selbst erleichtert werde. Der Faßbinder oder Böttger, der einen Reifen antreibt, der Kupferschmied, der einen Kessel hämmert, fällt gar bald darauf, seine Schläge nicht einzeln in völliger Gleichheit so zu tun: u.s.w. er wird bald so schlagen: u.s.w. oder so: u.s.w. und die Stärke oder den Ton der drei oder vier auf einen Takt gehenden Schläge etwas abzuändern, damit die Einteilung in Glieder dem Ohr merklich werde.

 Eben so gewiss wird man aber auch ein Glied dem anderen gleich machen. Denn wenn einer gleich den Einfall hätte so zu zählen so wird er unfehlbar aus zwei oder drei ungleichen Gliedern, wieder gleiche Einschnitte machen, denn er wird fühlen, dass ihm ohne diese Einförmigkeit das Zählen zu mühesam werden würde.

 Da wir nun aus ungezweifelter Erfahrung wissen, dass dergleichen rhythmische Einteilungen natürlich sind und im Gefühle liegen; so ist zu untersuchen, auf was für einen Grund dieses natürliche Gefühl beruhe.

Hier ist zuvorderst anzumerken, dass wir bei einer Reihe solcher Vorstellungen, die schon an sich oder nach ihrer materiellen Beschaffenheit Abwechslung und Mannigfaltigkeit haben, die uns dabei nötige Wirksamkeit zu unterhalten, keinen Rhythmus verlangen. Bei einer Rede, die uns bloß durch Erzählung oder durch Entwicklung der Begriffe unterrichten soll, verlangen wir nichts rhythmisches. Auch da, wo man uns rühren will, vermissen wir den Rhythmus nicht, so bald man uns einen rührenden Gegenstand so beschreibt, dass wir immer etwas neues, das die Empfindung zu reizen im Stand ist, darin gewahr werden. Der Mensch, der uns zum Mitleiden gegen sich bewegen will, darf uns nur das Elend, das ihn drückt, umständlich erzählen, so werden wir gewiss, so lange die Erzählung währt, in einer anhaltenden Rührung ihm zuhören, ohne etwas rhythmisches in seinem Vortrag nötig zu haben, diese Empfindung zu unterhalten. Sie wird durch immer neue Umstände des Elendes, die wir währender Erzählung erfahren, genugsam unterhalten.

 Eben diese Beschaffenheit hat es auch mit unseren Verrichtungen. Die dabei nötige Anstrengung der Kräfte hat keiner fremden Unterstützung nötig, wenn die Arbeit selbst uns immer etwas neues hervorbringt. Kein Maler wird den Pinsel rhythmisch führen; das neue, das auf jeden Strich entsteht, hat hinlänglichen Reiz das Bestreben zu Fortsetzung der Arbeit anhaltend zu machen: aber wer etwas glatt feilt oder ir gend eine Arbeit zu verrichten hat, deren Einerlei durch nichts Neues gewürzt wird, fällt gar bald auf rhythmische Bewegungen, welche Voß so gar bei dem Kämmen und Reiben der Bader bemerkt hat.1 Also entsteht überhaupt der natürliche Hang zum Rhythmus nur da, wo wir einige anhaltende gleichartige Empfindungen haben.

 Aber warum sind denn alle Völker der Erde darauf gefallen, den Gedichten, die ja durch ihren Inhalt schon Abwechslung genug haben, einen Rhythmus zu geben, wenn er nur da natürlich ist, wo das Einerlei muss unterbrochen werden? Darum; weil das Gedicht außer der Wirkung die durch die Reihe der Vorstellungen, die es enthält oder durch seine Materie entsteht und die es mit der Prosa gemein hat, noch eine andere durchaus gleichartige fröhliche oder traurige oder zärtliche Empfindung zum Zweck hat, deren Dauer ohne den Rhythmus nicht zu erhalten wäre. Man sieht dieses am deutlichsten daraus, dass oft die schönste Ode oder das rührendste Lied die Kraft uns in der einförmigen Empfindung zu unterhalten, durch die getreueste Übersetzung verliert. Diese gibt uns zwar dieselbe Reihe der Vorstellungen, aber wegen Mangel des Rhythmus hat sie die Kraft nicht mehr uns in einer anhaltenden Empfindung der Fröhlichkeit oder Zärtlichkeit, die das Original erweckt, fortzuführen. Man ließt die Ilias oder Äneis noch immer mit Vergnügen in einer guten prosaischen Übersetzung: aber die anhaltende Empfindung der Feierlichkeit und Hoheit der Handlung verschwindet darin.

 Wir sind also durch gewisse Erfahrungen überzeugt, dass der Rhythmus da notwendig sei, wo ein durchaus gleichartiges Bestreben oder eine durchaus gleichartige Empfindung soll anhaltend sein.

 Dieses leitet uns auf die Entdeckung des eigentlichen Grundes auf dem die Wirkung des Rhythmus beruhet. Jeder angenehme oder unangenehme Eindruck den wir bekommen, verschwindet gar bald, wenn die Ursache, die ihn hervorgebracht hat, nicht wiederholt wird. Die Erapfindung folgt den Gesetzen der Bewegung. Der Kreisel, den der Knab in Bewegung gesetzt hat, drähet sich eine kurze Zeit und fällt hin: wenn seine Bewegung anhaltend sein soll, so muss der Knabe von Zeit zu Zeit durch wiederholte Schläge ihm neue Kraft geben. Wird eine leidenschaftliche Empfindung dadurch unterhalten, dass immer neue und andere Eindrücke dieselbe erneueren, so bleibt sie nicht gleichartig; das Gemüt bleibt zwar in beständiger Bewegung, aber sie wird bald stärker, bald schwächer, bald auf andere Gegenstände gerichtet und ändert wohl gar ihre Art ab. Dieses erfahren wir bei leidenschaftlichen Erzählungen eines Geschichtschreibers. Wenn gleich seine Erzählung durchaus traurig ist, so sind die Dinge, die er uns sagt, doch von so verschiedener Art und von so sehr verschiedener Kraft, dass wir bald sanfter, bald sehr schmerzhaft gerührt werden, bald aber ziemlich gelassen ihm zuhören.

 Hieraus sehen wir, dass nur die fortgesetzte Wiederholung gleichartiger Eindrücke die Kraft haben, dieselbe gleichartige Empfindung eine Zeitlang zu unterhalten. Und hierin liegt der Grund der wunderbaren Wirkung des Rhythmus, die wir nun näher betrachten wollen.

 Wir haben gesehen, dass der Rhythmus eine Reihe auf einander folgender einfacher Eindrücke, dergleichen die Schläge oder Töne sind, in gleich große, periodisch wiederkommende Glieder einteilt und dass uns dieses in einem anhaltenden Horchen auf die wiederkommenden gleichen Schläge und Glieder und also in einem beständigen Zählen unterhält. Hierin liegt nun das ganze Geheimnis der Kraft desselben. Damit wir aber durch allgemeine Beobachtungen nicht undeutlich werden, wollen wir die Erklärung dieser Sache gleich auf besondere Fälle anwenden.

 Der einfachste Rhythmus ist der, da durchaus gleiche Glieder beständig wiederholt werden, wie der Rhythmus des Dreschens, des Schmiedens, des Marschirens und viel andere dieser Art. Dass er die verschiedenen Arbeiten, wobei er vorkommt, erleichtere und die Arbeiter zu anhaltender Anstrengung ihrer Kräfte ermuntere, ist eine bekannte Sache, folglich ist hier nur zu erklären, wie es mit dieser Aufmunterung zugehe. Jeder Drescher hat zu einem Gliede des Rhythmus seinen Schlag, den er genau immer auf denselben Zeitpunkt oder nach einer gewissen Anzahl andrer Schläge, zu wiederholen hat. Dieses erhält ihn in beständiger Aufmerksamkeit auf die Zeit, da er einfallen muss; in beständigem Zählen. Dieses Zählen aber wird ihm dadurch erleichtert, dass er die Zwischenschläge der anderen in gleichen Zeiten nicht nur deutlich vernimmt, sondern jeden durch seinen besonderen Akzent, wenn ich hier dieses vornehme Wort brauchen darf, unterscheidet und dass überhaupt die Glieder kurz sind oder aus wenigen Schlägen bestehen. Also hat er nicht einmal nötig mit Worten zu zählen, sein Gefühl empfindet dieses Zählen auch ohne Worte. Kommt nun der Zeitpunkt seines Schlages, so fällt er mit Lust ein, weil er an dieser Ordnung ein Wohlgefallen hat. Die beständige Aufmerksamkeit auf das Zählen aber, so geringe sie auch scheint, hindert ihn auf das Ermüdende der Arbeit Achtung zu geben. Es ist damit wie mit jeder anderen ermüdenden Verrichtung, die man ohne merkliche Aufmerksamkeit tun kann. Die Beschwerlichkeit des Gehens, wird dem Wanderer dadurch erleichtert, dass er unaufhörlich andere Gegenstände sieht oder dass durch ein Gespräch mit seinen Gefehrten, das Aufmerken auf die Anstrengung der Kräfte verdunkelt wird.

 Hat nun der Rhythmus außer seiner richtigen Abmessung der Zeit noch etwas charakteristisches, ist er fröhlich, zärtlich, ernsthaft; so wird auch auf jede periodische Wiederkunft desselben Gliedes, der Eindruck derselben Empfindung wiederholt. Dies ist nach einem vorher gebrauchten Bilde, immer ein neuer Schlag, den der Knabe seinem Kreisel gibt. Dadurch wird dieselbe Empfindung der Fröhlichkeit, der Zärtlichkeit, des Ernstes u. d. gl. fortdauernd unterhalten und durch die Einförmigkeit des Zählens, das man dabei durch das bloße Gefühl verrichtet, wird das Gemüt in dieser Empfindung gleichsam eingewiegt. Daher entsteht das gleich anhaltende Gefühl, womit man einem Gesang zuhört.

 Aber dieses ist noch nicht alles. Der Sänger, Spieler oder Tänzer, der durch Bewegung seiner Gliedmaßen dem Rhythmus mit hervorbringen hilft, selbst der Zuhörer, der nur leise mitsingt oder stille sitzend mit tanzt, empfindet noch eine auf jeden Takt und jeden Einschnitt wiederholte Aufmunterung. Denn wie in dem vorher erklärten Beispiel der Drescher in beständiger Aufmerksamkeit ist, seinen Schlag zu rechter Zeit anzugeben, so wird auch der Spieler, Tänzer und Zuhörer in beständiger Aufmerksamkeit erhalten durch genaue Beobachtung der Akzente den Rhythmus merklicher zu machen. Daher besteht auf jeden Niederschlag des Taktes und auf jeden Eintritt eines neuen Abschnittes, ein neues Bestreben den Nachdruck richtig anzugeben. Ehe also der vorhergehende Eindruck noch ganz erschöpft ist, kommt schon ein neuer und dadurch geschiehet gewissermaßen ein Aufsummen, eine Anhäufung der Empfindung und der Wirksamkeit, wodurch das Gemüt immer mehr angefeuert und in der Empfindung gestärket wird. Dieses kann so weit gehen, dass endlich das ganze System der Nerven in Bewegung kommt, die, wie jede Bewegung, wo immer neue Stöße hinzukommen, ehe die vorigen erschöpft sind, immer schneller wird; so, dass ein empfindsames Gemüt zuletzt ganz außer sich kommen kann.

 Man sieht in der Tat bisweilen Personen, die mit mäßiger Lust zu singen oder zu tanzen anfangen, allmählich aber, besonders wenn die begleitenden Instrumente den Rhythmus allmählich fühlbarer machen, immer in stärkeres Feuer kommen und nicht aufhören, bis sie, wie ohnmächtig hinsinken; weil der Körper die Ermüdung nicht länger zu ertragen vermögend ist. Es ist nicht möglich alles, was dabei in dem Gemüte vorgeht, so genau zu beschreiben; wer aber gewohnt ist psychologische Erscheinungen mit einiger Genauigkeit zu beobachten, der wird aus dem, was wir hier angemerkt haben, die Wirkung des Rhythmus zur Erleichterung anhaltender gleichartiger Ar beit und zur Unterhaltung, auch allmählicher Verstärkung der Empfindungen völlig begreifen.

 Endlich lässt sich aus allen diesen Betrachtungen über den Rhythmus einsehen, wie vermittelst desselben eine Reihe an sich unbedeutender Töne die Art einer sittlichen oder leidenschaftlichen Rede annehmen könne. Dieser Punkt verdiente allein umständlich ausgeführt zu werden, weil dadurch das wahre Wesen, die innerste Natur der Musik deutlich würde an den Tag gelegt werden. Aber dieses erforderte eine weitläufige Abhandlung, zu der wir einen der Sachen kundigen Mann aufzumuntern wünschten, weil alle, die bisher von der Musik geschrieben haben, diesen, das ganze Wesen der Kunst aufdeckenden Punkt, fast gänzlich mit Stillschweigen übergehen. Wir müssen uns begnügen, die Sache durch wenige fundamental Anmerkungen bloß anzudeuten.

 1. Eine Reihe Töne, in bloß durchaus gleich lange und gleichartige Takte eingeteilt, wie das Dröschen oder das Hämmern der Schmiede, hat schon die Kraft, dass sie die Arbeit des Dröschens und Schmiedens erleichtert; für den Zuhörer aber, der diese Schläge als bloße Töne betrachtet und sie als etwas der Sprache ähnliches beurteilt, hat sie schon etwas bedeutendes. Denn so bald man sich dabei vorstellt, man höre einen Menschen in einer unbekannten Sprache reden, so erweckt diese Folge in gleiche Glieder eingeteilter Töne, den Begriff eines Menschen, den ein einziger Gegenstand in einer bestimmten Empfindung oder Wirksamkeit unterhält; und von der Art dieser Empfindung mögen wir bemerken, ob sie lebhaft oder sanft und ruhig, sei. Man wird so gar finden, dass es möglich sei, bloß durch diese allereinfachste rhythmische, den Worten nach völlig unverständliche Sprache, verschiedene Gemütslagen auszudrücken. Dieses lässt sich leicht empfinden, ob es gleich mit wenig Worten nicht zu beschreiben ist. Wer die Materie ausführlich behandeln wollte, dürfte nur nach verschiedenen Taktarten und Bewegungen eine Folge solcher Schmiederhythmen aufsetzen und sie durch Höhe und Tiefe, durch piano und forte unterscheiden als z.B. so würde ihm gar nicht schwer fallen, verschiedene Folgen dieser Art zu machen, deren jede einen ziemlich genau bestimmten Charakter hätte. Und daraus würde man anfangen zu begreifen, wie bloß unbedeutende Töne, schon durch die einfachste rhythmische Einteilung bestimmte, obgleich nur noch allgemeine Bedeutungen bekommen können.

 2. Geht man nun einen Schritt weiter und setzt aus diesen einfachen Gliedern oder Takten größere zusammen, so, dass jedes größere Glied aus zwei, aus drei oder aus vier Takten besteht, so bekommt man durch diese neue rhythmische Einteilung ein Mittel mehr, dieser an sich unverständlichen Sprach, verständliche Bedeutung zu geben. Dadurch kann man diese Sprache in längere oder kürzere Sätze einteilen und aus mehr oder weniger Sätzen bestimmt abgesetzte Perioden machen.

 3. Um diese Sprache noch verständlicher zu machen, kann man mit den einzeln, aus zwei, drei oder vier Takten bestehenden Sätzen, ungemein viel Veränderungen vornehmen, deren jede etwas anderes bedeutet. So kann man, um nur etwas besonderes zum Beispiel anzuführen, sehr leicht durch dergleichen Veränderungen andeuten, ob die Empfindung ruhig oder unruhig, ob sie in gleicher Art anhaltend oder veränderlich; ob sie starken oder geringen Veränderungen unterworfen sei, ob sie im Fortgang stärker oder schwächer werde.

 Um dieses alles zu empfinden, dürfte man nur verschiedene dergleichen rhythmische Veränderungen mit ein und eben derselben Reihe Töne vornehmen. Man stelle sich aus fast unzähligen nur folgende vor: und gebe genau auf die bei jeder Art veränderte Empfindung Achtung; so wird man gar leicht begreifen, wie das Gefühl ruhiger oder unruhiger, allmählich zu - oder abnehmender, eine Zeitlang anhaltender und denn sich plötzlich abändernder und noch auf mehrere Arten abgewechselter Empfindungen, dadurch zu erwecken sei.

 Ich will nicht weiter gehen; denn dieses Wenige ist völlig hinlänglich zu begreifen, wie vermittelst Bewegung und Rhythmus allein, der Gesang zu einer ziemlich verständlichen Sprache der Leidenschaften werden könne. Aber sehr zu wünschen wäre es, dass sich ein Meister der Kunst die Mühe gäbe, die verschiedenen Arten des Rhythmus deutlich auseinander zu setzen, den Charakter jeder Art zu bestimmen und denn zu zeigen, was man, sowohl durch einzelne Arten als durch Abwechslung und Vermischung mehrer Arten, auszudrucken im Stande sei.

Dadurch würde der Grund zu einer wahren Theorie der rhythmischen Behandlung eines Tonstücks gelegt werden, die von der größten Wichtigkeit ist und zur Kunst des Satzes noch gänzlich fehlt. Denn bis jetzt verlässt sich jeder Tonsetzer auf sein Gefühl. Nun sollten wir diesen Artikel mit den wichtigsten praktischen Regeln zur Behandlung des Rhythmus beschließen. Da aber, wie gesagt, die Theorie selbst noch fehlt, so müssen wir uns mit einigen bloß allgemeinen Grundsätzen, deren Beobachtung in der Ausübung dienlich ist, behelfen.

 1. Empfindungen sanfterer und ruhiger Art, die durchaus anhaltend sind, erfordern einen sehr leichten, faßlichen und sich durchaus gleichbleibenden Rhythmus. Dieses ist der Fall aller Lieder und aller Tanzmelodien. Denn da muss. das Gemüte durchaus in einerlei und nicht heftigen Leidenschaft unterhalten werden; folglich hat da keine Abwechslung oder Veränderung des Rhythmus statt. Daher sind solche Melodien auch kurz, bloße Strophen, die aber, so lange die Empfindung dauren soll, wiederholt werden.

 Aber in den Liedern selbst ist doch dieser Unterschied zu beobachten, dass für leichte, gleichsam nur auf der Oberfläche der Seelen schwebende Empfindungen, imgleichen für tändelnde Fröhlichkeit die kürzesten und leichtesten, für etwas ernsthaftere und tieferdringende Empfindungen, längere rhythmische Einteilungen zu wählen seien. Wäre die Empfindung schon ganz ernsthaft und etwas finster, so würde sie wohl ganz lange Glieder, da zwei Rhythmen, jeder von drei oder wohl gar vier Takten, so in einandergeschlungen wären, dass sie nur nach sechs oder acht Takten merkliche Abschnitte machten, vertragen.

 2. Mehr abwechselnd muss der Rhythmus in den Stücken sein, die veränderte, steigende oder fallende oder auf andere Arten sich nicht gleichbleibende Leidenschaften ausdrücken. Da muss der Rhythmus bald aus längern, bald aus kürzern Gliedern bestehen und die Abwechslung muss schneller oder langsamer sein; je nachdem die Abwechslung der Empfindung es erfordert. Man kann da schon Abschnitte von einem einzigen Takt, unter größere setzen; man kann auf einem Abschnitt, dessen kleinere Glieder aus zwei Takten bestehen, einen folgen lassen, dessen Glieder drei Takte haben, u.s.w. Diese Mannigfaltigkeit der Rhythmen, muss sich nach den Abänderungen in der Empfindung richten.

 3. Noch mehr kann man sich von der Regelmäßigkeit entfernen, wenn die Empfindung etwas wiedersinniges, seltsames hätte. Es ist nicht schwer zu begreifen, wie durch rhythmische Abwechslungen, Unentschlossenheit, Wankelmut, Verwirrung und dergleichen auszudrücken seien. Ich will nur folgendes Beispiel hiervon anführen, das aus Grauns Oper Rodelinde genommen ist. Hier sind vier Sätze oder Einschnitte, deren jeder bei regelmäßiger Behandlung des Rhythmus, von zwei Takten sein sollte. Der erste aber wird schon auf dem dritten Viertel des zweiten Takts abgebrochen und der zweite tritt deswegen um ein Viertel zu früh ein, hat aber, wenn man die Pause im vierten Takte mitrechnet, seine völlige Länge von acht Vierteln. Der dritte wird wieder auf dem siebenten Viertel abgebrochen und dadurch bekommt der vierte wieder einen veränderten Anfang, nämlich mitten im Takt, da die zwei vorhergehenden auf dem letzten Viertel, der erste aber mit dem ersten Viertel des Takts angefangen.

 Diese ganz unregelmäßige Behandlung des Rhythmus steht hier, wo Schrecken und Verwirrung auszudrucken ist, sehr gut und ist deswegen als ein Beispiel einer besonderen Wirkung des Rhythmus angeführt worden.

 4. Bei außerordentlichen Gelegenheiten, da man in einer Stelle einen besonderen Nachdruck sucht, kann durch Veränderung der Bewegung eine sehr bedeutende Veränderung des Rhythmus hervorgebracht werden. Man sehe dieses Beispiel:

Dieses sollte nach der rhythmischen Einrichtung der Arie, woraus es genommen ist, ein Satz von vier Takten sein und ohne die besondere Absicht, auf das Wort Ombra eine feierliche Traurigkeit zu legen, würden die zwei ersten Takte nur einen ausgemacht haben und so hätte der Rhythmus seine Regelmäßigkeit. Weil der Tonsetzer hier besonders nachdrücklich sein wollte, hat er zwei Takte daraus gemacht, damit die beiden ersten Silben noch einmal so langsam und mit gleichem Akzent könnten ausgesprochen werden, welches hier von großen Nachdruck ist und der würde eine schwache Beurteilung verraten, der hier Graun eines Fehlers gegen den Rhyth mus beschuldigte, da er einen Satz von fünf Takten, anstatt vieren, gemacht hat.

 5. Ich will bei dieser Gelegenheit auch einer anderen scheinbaren Unregelmäßigkeit des Rhythmus erwähnen, die oft sehr angenehme Wirkung tut. Sie besteht darin, dass ein nicht zum Rhythmus gehöriger Takt, wo etwa die Singestimme einen Takt pausiert, eingeschoben wird, da ein Instrument einen vorhergehenden Ausdruck der Singestimme wiederholt oder nachahmt, wie in folgendem Beispiel. Hier ist ein Satz von vier Takten, der aber in der Mitte einen merklichen Einschnitt hat, in dem die singende Stimme pausiert, da inzwischen die Violin, den letztvorhergehenden Takt wiederholt. Dieses ist ein sehr malerischer Ausdruck, um das Horchen einer durch süße Hoffnung getäuschten Person, auszudrücken. Der Satz bleibt darum doch nur von vier Takten.

 Wer in den Arien der größten Meister, eines Händels, Grauns, Hassens, dergleichen Irregularitäten aufsuchen will, wird daher einen schönen Vorrat von Beispielen ausserordentlicher Behandlungen des Rhythmus antreffen, wodurch der Ausdruck oft auf die glücklichste Art unterstützt wird. Besonders würde man da manchen vortreflichen Kunstgriff antreffen, wie ein Tonsetzer von Gefühl, die Fehler, die der Dichter etwa in Absicht auf den Rhythmus begangen hat, zu verdecken wisse.

 

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1 Er erwähnte dessen in seiner Abhandlung de poematum cantu & viribus Rhythmi.

 


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