Reim. (Dichtkunst) Der gleiche Laut der letzten oder der zwei letzten Silben in zwei Versen. Er wird männlich genannt, wenn er nur auf der letzten langen Silbe jedes der zwei Verse liegt; wie Macht, Acbt; weiblich wenn er auf den zwei letzten Silben liegt, wie leben, geben . Ehedem nennte man oft die Verse selbst Reimen und allem Ansehen nach ist diese Bedeutung älter als die jetzt gewöhnliche.
Verschiedene Völker haben in dem Reim eine Schönheit gefunden, die ihm das Ansehen einer wesentlichen Eigenschaft der Verse gegeben hat. Die griechischen und römischen Dichter, haben nicht nur den Reim nicht gesucht, sondern als etwas fehlerhaftes vermieden.1 Aber in der Poesie aller neuerer Völker, wurde er ehedem und wird zum Teil noch jezo als etwas wesentliches angesehen. Doch haben zuerst die Italiener, danach die Engländer und zuletzt die Deutschen sich verschiedentlich von diesem Joche befreit und den Reim entweder für unnütze oder gar für schädlich gehalten.
Wie überhaupt selten etwas altes ohne Streitigkeiten kann abgeschaft werden, so ist auch unter uns vielfältig über den Wert des Reimes gestritten worden. Dass es schöne und wohlklingende Verse ohne Reimen gebe, ist aber durch die Erfahrung so ausgemacht, dass hierüber kein Streit mehr sein kann.
Wem mit einer umständlichen Untersuchung über die Herkunft des Reims gedient ist, der kann sie bei einem französischen Schriftsteller finden.2 Die Meinung des Bischoffs Hüet, dass die neueren Abendländer den Reim von den Arabern gelernt haben, ist nicht ohne Wahrscheinlichkeit. Nachdem sich diese in den mittägigen Gegenden Frankreichs niedergelassen, nahmen die ersten welschen Dichter, die sogenannte Troubadours3 den Reim von ihnen. Die alten Barden haben, so viel man aus dem Oßian sehen kann, nicht gereimt. Man kann aber einen ganz natürlichen Grund von dem Ursprung des Reims angeben. So bald man kurzen Sätzen einen guten und für das Gedächtnis vorteilhaften Klang geben will, dieser aber durch das bloße Silbenmaß nicht zu erhalten ist, so bleibt allein der Reim dazu übrig. Daher finden wir ihn in viel alten aus zwei kurzen Sätzen bestehenden Sprüchwörtern, als: Glück und Glas, wie bald bricht das. Diesem Ursprung zufolge, würde er sich in Disticha und überhaupt in solche Gedichte, wo allemal ein Sinn in zwei Verse eingeschlossen ist, am allernatürlichsten schicken. So sollen noch jetzt die Gedichte der Araber sein. Man kann überhaupt sagen, dass er zu Versen, denen man entweder wegen der allzugroßen Kürze oder wegen der Unbiegsamkeit der Sprache keinen Wohlklang geben kann, das einzige Mittel ist, sie wohlklingend zu machen. Daher darf man sich nicht wun dern, wenn er auch, wie Baretti versichert4, in der Poesie der Negern angetroffen wird. Gravina merkt sehr gründlich an, dass in Italien, nachdem man den feinen und gefälligen Fall des Verses, der aus dem Silbenmaß entsteht, verloren gehabt, man sich an den Reim hat halten müssen.5
Vielleicht ist er auch daher entstanden, dass man ihn für das bequemste Mittel gehalten, das Metrum oder das Maß des Verses zu bestimmen. In Versen, die durchaus einerlei Füße haben, sind nur vier Mittel, das Metrum zu bestimmen, nämlich: 1. Entweder, dass jeder Vers einen Satz der Rede ausmache, dieses würde eine elende Monotonie verursachen. 2. Oder dass nur der letzte Fuß des Verses sich mit einem Wort endigte, die anderen Füße aber alle zu zwei Wörtern gehörten, wie z.B. hier:
Er heu | chelt ih | rer Zärt | lichkeit | Dieses würde die Versification beinahe unmöglich machen. 3. Oder dass von zwei Versen einer einen männlichen, der andere durch eine angehängte kurze Silbe einen weiblichen Ausgang bekäme, wie hier:
Ich aber steh und stampf und glü | he Und flieg im Geiste hin zu ihr.
Aber dieses würde die Versarten zu sehr einschränken. 4. Endlich ist der Reim das vierte Mittel und schien um so viel bequemer, da er mit allen möglichen Versarten konnte verbunden werden. Er wird notwendig, wo kein anderes Mittel da ist, zusammengesetzte Rhythmen zu unterscheiden.6
Da das Vorurteil, dass der Reim den Versen wesentlich sei, in Deutschland stark abgenommen hat und so gar meist verschwunden ist, die Meinung aber, dass er eine zufällige Schönheit sei, auch nach und nach abnimmt; so halten wir diese ganze Materie für allzugeringe, um uns in eine nähere Untersuchung, sowohl über den Wert als über die Beschaffenheit des Reims einzulassen.
Wir wollen indessen den Reim als ein Werk der Mode als eine Decke, die man für die Schwäche und Fehler des Verses zieht als ein Hilfsmittel des Gedächtnisses als ein körperliches Mittel träge Ohren zu reizen, gelten lassen. Aber wir können nicht verbergen, dass wir ihn für ein Gefängnis halten, in welches die Gedanken und die Sätze der Rede eingesperrt werden. Wir wollen so gar zugeben, dass der Reim zur Zeit, da die Sprachen noch in ihrer ersten Rohigkeit waren, wo es unmöglich war kurze Sätze in einem dem Ohr schmeichelnden Abfall vorzutragen, notwendig gewesen; uns aber für dieses Geständnis dadurch schadlos halten, dass wir ihn für überflüssig und gothisch erklären, so bald die Sprache so weit gekommen, dass man einzele, größere und kleinere Sätze nach Wohlklang und Takt vortragen kann.
1 Bei diesem im II Buche der Äneis vorkommenden Verse: Trojaque nunc staret, Priamique arx alta maneres. macht Servius die Anmerkung: Stares si legeris, maneret sequitur, propter .‘µ...te.e.t...
2 Histoire de la poesie franç oise par L'Abbé Massieu.
p. 76 f. 3
S. Provenzalische Dichter.
4 Baretti Reise nach Genua 1 Th. 22. Br.
5 E percio essendosi generalmente nell' uso commune perduta la distinzion delicata et gentile del verso dalla prosa, per mezzo de piedi; s'introdusse quella grossolana, violenta et stomachevole delle desinenze simili
V. Ragion poetica. L. II.
6 S. Rhythmus