Regelmäßigkeit

Regelmäßigkeit. (Schöne Künste) Ist eigentlich eine Eigenschaft der Form, insofern man die Beobachtung einer Regel daran erkennt; der erste oder unterste Grad der Ordnung in einer Sache, die bloß Wohlgefallen, aber noch nicht merkliches Vergnügen erweckt. Man hört nie von regelmäßigen Gedanken oder Charakteren sprechen, weil nicht die Materie, sondern die Form der Dinge regelmäßig ist. Wo Ordnung ist, da ist auch Regelmäßigkeit, aber es scheint, wie ich schon anderswo angemerkt habe,1 dass man im engsten Sinne oder vorzüglich dasjenige regelmäßig nenne, darin die Ordnung durch eine einzige einfache Regel bestimmt ist. So ist der Gang eines Menschen, der in gleichen Schritten fortgeht, regelmäßig, da das Gehen eines Tänzers schon zierlich genannt wird.

 Ein Werk der Kunst, das nach seiner materiellen Beschaffenheit so wichtig ist, dass es keines Schmuckes, keiner äußerlichen Schönheit bedarf, muss doch wenigstens regelmäßig sein, um seinen Namen zu verdienen, weil die Regelmäßigkeit notwendig ist, wenn man an Dingen, insofern sie aus Teilen bestehen, Wohlgefallen haben soll.2 Freilich bewirkt die bloße Regelmäßigkeit, noch keinen starken Eindruck des Wohlgefallens; aber sie ist deswegen wichtig, weil sie das Anstößige vermeidet. Ein sehr gemeines Wohnhaus, an dem die Baukunst von ihren ganzen Reichtum nichts als bloße Regelmäßigkeit angebracht hat, wird mit reinem, durch nichts gestörtem Wohlgefallen angesehen; da hingegen ein mit viel architektonischen Schönheiten geziertes Gebäude, dessen Mauern nicht senkrecht stehen und dessen Böden nicht waagerecht liegen, anstößig wird.

 Darum aber kann man noch nicht sagen, dass jedes regelmäßige Werk, jedem nicht regelmäßigen derselben Art, vorzuziehen sei. Dieses kann Schönheiten haben, die so stark rühren, dass man kaum Aufmerksamkeit genug behält, das Unregelmäßige, das sonst immer beleidiget, zu fühlen. Die Regelmäßigkeit ist freilich bloß etwas Äußerliches und nur da schlechterdings notwendig, wo sie das einzige Mittel ist, die Aufmerksamkeit zu reizen. So bald eine Sache von einer anderen Seite schon interessant ist, hört die Regelmäßigkeit auf schlechthin notwendig zu sein; aber eine gute Eigenschaft ist sie immer, weil sie vor Anstoß bewahrt. Einige Trauerspiele des Shakespear sind erstaunlich unregelmäßig und gefallen bis zum Entzücken: sehr viel andere sind höchstregelmäßig und gefallen keinem Menschen von einigem Geschmack. Aber daraus muss man nicht den Schluss ziehen, dass das Regelmäßige für gar nichts zu achten oder das Unregelmäßige schlechthin nicht zu tadeln sei. Man kann immer sagen: schön; vortreflich; doch Schade, dass es nicht zugleich regelmäßig ist. Für ein an Richtigkeit gewöhntes Aug, ist es allemal ein Flecken, der die schönste Landschaft verstellt; wenn darin irgendwo gegen die Perspektive angestoßen ist. Aber dabei muss man nie vergessen, dass die Unregelmäßigkeit da ein schwererer Fehler sei, wo das Materielle des Werks weniger Wichtigkeit hat; und dass überhaupt in Künsten die Regelmäßigkeit in dem Maße wichtiger werde, nach welchem die innere Kraft der Werke sich verliert. So ist sie in einer Tanzmelodie, wichtiger als in einer Arie. Man nehme hier noch dazu, was im Artikel Metrisch gesagt worden.

 

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1 S. Ordnung.

2 S. Ordnung.

 


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