Redner

Redner. Die Griechen und Römer, die in allem, was zu den schönen Künsten gehört, unsere Lehrmeister sind, scheinen dem Redner den ersten Rang unter den Künstlern gegeben zu haben. Nur Homer allein, wurde als Lehrer und Muster aller Künstler, außer allen Rang und ohne Vergleichung, immer obenan gesetzt; nicht weil er ein epischer Dichter, sondern, weil er Homer, das Muster aller Genien war.1 Wenn man bedenkt, was für Kräfte des Geistes, was für Gaben, Kenntnisse und erworbene Fertigkeit zu einem vollkommenen Redner erfordert werden, so scheint es, dass bei ihm mehr seltene Fähigkeiten zusammentreffen als bei irgend einem anderen Künstler. Eben darin glaubte Cicero den Grund der so großen Seltenheit vollkommener Redner gefunden zu haben2, und er sagte einmal öffentlich als eine bekannte unzweifelhafte Wahrheit, es gebe in einem Staate nur zweierlei vorzüglich wichtige Arten großer Männer, nämlich Feldherren und Redner.3

  Mehr als irgend einem anderen Künstler ist ihm ein durchdringender Verstand nötig, um in allem, was die Menschen am meisten intereßirt, das Wahre, Wichtige und Große richtig zu erkennen; nicht bloß durch ein dunkles, wiewohl sicheres Gefühl zu empfinden, sondern mit hinlänglicher Klarheit und Deutlichkeit so zu sehen, dass es auch weniger Scharfsich tigen einleuchtend kann gemacht werden. Qui ratione plurimum valent, quique ea quæ cogitant quam facillimo ordine disponunt, ut clare et distincte cognoscantur, aptissima semper ad persuadendum dicere possunt.4 So urteilt ein großer Philosoph.

 Die Stärke, Lebhaftigkeit und den Reichtum der Einbildungskraft hat der Redner mit allen anderen Künstlern gemein; sie sind ihm nötig, weil er oft sichtbare Gegenstände so hell und so lebhaft zu schildern hat, dass der Zuhörer sie mit Augen zu sehen glaubt, welches ihm notwendig schwerer wird als dem Dichter, dessen Sprache dazu bequemer ist. Auch sind ihm diese Gaben nötig, weil er gar oft abstrakte und aller Sinnlichkeit beraubte Gedanken, um sie sinnlich und eindringend zu machen, durch glückliche Tropen, körperlich darzustellen hat.

Hingegen hat er auch mehr als irgend ein Künstler Kräfte der kältern Vernunft nötig, um seiner feurigen Phantasie beständig Meister zu bleiben; weil er weit genauer als der Dichter, in einem gezeichneten Geleise bleiben und wie Lucian sich ausdruckt5, so genau wie ein Seiltänzer auf dem Seile, fortschreiten muss.

 Nicht weniger groß als der Verstand, muss auch das Herz des großen Redners sein, die eigentliche Muse, die ihn begeistert. Er zeichnet sich durch das wärmste Gefühl für die Rechte der Menschlichkeit, durch brennenden Eifer für das allgemeine Beste des Staa tes, von jedem anderen Künstler aus. Unrecht, wenn auch der geringste Mensch es leidet, ist ihm unerträglich und falsche Maßregeln, wodurch man in privat und in öffentlichen Geschäften, sich selber schadet, sind Auffoderungen an ihn, den Irrenden und den Toren zurechte zu weisen. Sein höchstes Interesse ist Wahrheit, Ordnung und Weißheit in allem was zu den menschlichen Angelegenheiten gehört und diese fordert bei jeder Gelegenheit seine Gemütskräfte zum Dienst anderer Menschen auf.

 Und damit er nirgend unbereitet oder ununterrichtet sei, macht er sich ein unablässiges Studium daraus, alles, was irgend die Wohlfahrt der Menschen betrifft, durch genaues Nachforschen, in seiner wahren Natur zu kennen, jedes genau abzuwägen und sich überhaupt jede Kenntnis, die zu Beurteilung jener Dinge dient, zu erwerben.

  Dieses sind die Gaben und die Bemühungen, die größtenteils den Redner bilden. Wenn er dieses hat, so wird ihm das, was zum Ausdruck und Vortrag der Rede gehört, so wichtig es auch an sich ist, leicht. Wer erst jenes Wichtigere besitzt, für den ist es denn, wie Euripides richtig bemerkt6, eine leichte Sache gut zu reden, so bald sich eine wichtige Gelegenheit dazu zeigt. Aber wem jene große Seele fehlt oder wo sie nicht durch mancherlei und gründliche Kenntnis den Stoff zum Reden besitzt, da ist bloße Wohledenheit eine geringe Hilfe. Denn nicht der ist ein großer Redner, dem Worte und Redensarten zu Gebote stehen; sondern der alle Sachen mit großen Verstand beurteilt und mit Empfindung behandelt. Aus diesem Grunde spottet Cicero des Antonius mit diesen Worten. »Der wolberedte Mann! Er merkt nicht, dass der, gegen den er spricht, von ihm gelobt werde und dass er die, vor denen er redet, tadelt.«7 Nur ein unbeschreiblich kleiner Geist kann sich einbilden, dass das Studium der Rhetorik, die alle große Gaben und Kenntnisse des Redners voraussetzt und ihn bloß über die Wahl, Anordnung und den Ausdruck der Sachen belehrt, hinlänglich sei einen Redner zu bilden.

 

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1 Aus einer Stelle in Lucians Lob des Demosthenes, wo einem Dichter eine kurze Vergleichung zwischen Homer und Demosthenes in den Mund gelegt wird, möchte man mutmaßen, dass Lucian dem Dichter den Redner wenigstens an die Seite gesetzt, wo nicht gar ihm vorgezogen. Aber er scheuhete sich, die Sache gerade heraus zu sagen.

2 Die Stelle ist Art. Rede angeführt worden.

3 Duæ sunt Artes, quæ possunt locare homines in amplissimo gradu dignitatis: una imperatoris, altera, Oratoris boni. Orat. pro L. Muræna. c. 14.

4 Cartes. de Methodo.

5 Im Lehrer der Redner.

6 Bachæ. vs. 266. 267.

7 Homo disertus, non intelligit eum, contra quem dicit laudari a se; eos apud quos dicit, vituperari. Philip. II. c. 8.

 


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