Richtigkeit. (Schöne Künste) Richtig nennt man eigentlich das, was ohne Fehler ist; und hieraus erkennt man die Bedeutung des Wortes Richtigkeit. Eigentlich ist sie die Vollkommenheit in dem Mechanischen der Kunst. Eine Rede hat Richtigkeit in Gedanken, wenn nichts Falsches darin ist; im Ausdruck, wenn die Wörter gerade das sagen, was sie sagen sollen und wenn die Regeln der Grammatik genau beobachtet worden. Der Vers ist richtig, wenn nichts gegen die Prosodie versehen ist; die Zeichnung, wenn sie die wahre Form und die wahren Verhältnisse der Dinge angibt. Ein Tonstück ist im Satz richtig, wenn nichts gegen die Regeln der Harmonie, des Takts und des Rhythmus versehen worden.
Obgleich ein Werk des Geschmacks bei der genauesten Richtigkeit höchst schwach und unbedeutend sein kann; so ist sie ihm doch notwendig; weil jeder Fehler dem, der ihn bemerkt, anstößig ist. Aber die bloße Richtigkeit kann bisweilen schon Vergnügen erwecken, ob es gleich scheint, dass sie nur vor Missvergnügen verwahre. Man fühlt dieses sehr bestimmt in den Werken der bloß mechanischen Künste, wo es allemal Vergnügen macht, wenn ein Werk vollkommen das ist, was es nach mechanischen Regeln sein soll. Das Werk des Pfuschers ist nur ungefähr, wie es sein sollte; das Runde ist nicht in der höchsten Vollkommenheit rund; das was irgendwo hineinpassen oder sich wo anschließen soll, passt und schließt zwar, aber nur unvollkommen, entweder mit Zwang oder zu leicht. Das Werk eines vollkommenen Meisters aber zeigt nirgend einigen Mangel; was schließen soll, schließt genau; was scharf sein soll, ist höchst scharf u.s.w. Wer einiges Gefühl von Vollkommenheit und Genauigkeit hat, findet Vergnügen an einem solchem Werk; und dieses Vergnügen entsteht daher, dass man überall die Beobachtung der Regeln entdeckt, dass man die vollkommene Gleichheit des Werks mit dem Ideal desselben, was die Regeln bestimmen, bemerkt. Das Vergnügen, das von der Richtigkeit herkommt, genießen eigentlich nur die Künstler und die Kenner, weil nur diese sich der Regeln deutlich bewußt sind, für andere ist die höchste Richtigkeit bloß etwas verneinendes; sie verwahrt nur vor Anstoß.
Wer also nicht bloß Liebhabern sondern auch Kennern gefallen will; wem daran gelegen ist, dass sein Werk nicht bloß bei dem Liebhaber das bewirke, was es bewirken soll, sondern sich auch zugleich dem Verstand als ein vollkommen bearbeitetes Werk zeige, der muss sich der höchsten Richtigkeit und der Reinheit1 befleißen. Dieses aber wird dadurch erleichtert, dass man sich aller mechanischen Regeln, denen ein Werk unterworfen ist, auf das Deutlichste bewußt ist. Ein sorgfältiger Künstler verlässt sich nicht allein auf sein Genie, sondern studiert auf das genaueste, das mechanische seiner Kunst. So haben Klopstock und Ramler in Absicht auf den Bau der Verse, sich gewiss nicht bloß auf ihr feines Gehör verlassen, sondern alle Regeln der Versification und des Wohlklanges auf das genaueste erforschet. Ein Werk kann bei viel kleinen Unrichtigkeiten höchst schätzbar sein. Hallers Gedichte wurden auch bei allen Unrichtigkeiten der ersten Ausgaben, sehr hoch geschätzt und verdienten es auch. Viel Gemälde sind bei mancherlei Unrichtigkeit in Zeichnung, Perspektive und Haltung, von großem Wert. Bei dem allem, sind die Unrichtigkeiten Kennern anstößig.
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1 S. Reinheit.