Romanze

Romanze. (Dichtkunst) Ursprünglich bedeutet das Wort eben das, was wir jetzt durch Roman verstehen. Es kommt von der Romanschen oder verdorbenen lateinischen Sprache her, in welcher die provenzalischen Poeten zuerst geschrieben haben. Sie sind zwar nicht die Erfinder der Romanzen, die in Spanien, England und anderen Ländern schon vor diesen Dichtern bekannt genug gewesen, nur diesen Namen der Sache haben sie veranlasst.

  Gegenwärtig gibt man den Namen Romanze kleinen erzählenden Liedern, in dem höchst naiven und etwas altväterischen Ton der alten gereimten Romanzen. Der Inhalt derselben ist eine Erzählung von leidenschaftlichen, tragischen, verliebten oder auch bloß belustigenden Inhalt. Weil die Romanze zum Singen gemacht ist, so ist die Versart lyrisch, aber höchst einfach, wie sie in jenen Zeiten durchgehends war, von einerlei Silbenmaß und von kurzen Versen.

Gedanken und Ausdruck müssen in der höchsten Einfalt und sehr naiv sein, wobei man sich der gemeinsten, auch allenfalls etwas veralterten Ausdrücke und Wortfügungen bedient, die auch den geringsten Menschen leicht faßlich sind.

 Sollen die Romanzen Personen von Geschmack gefallen, so müssen sie so viel vorzügliches haben, dass mehr als gemeiner Geschmack zu deren Verfertigung erfordert wird. Sie müssen uns in jene Zeiten versetzen, wo die Menschen überaus wenig über das Gemeine gehende Begriffe hatten, wo sie bei großem Mangel wissenschaftlicher oder genau überlegter Kenntnisse, doch nicht unverständig oder barbarisch waren. Wo Aberglauben, Leichtgläubigkeit und Unwissenheit nichts anstößiges haben; weil sie dem übrigen, das zum Charakter der Zeiten und Sitten gehört, in keinem Stück widersprechen; wo die Empfindungen den geraden einfältigen Weg der Natur gehen, das Urteil aber über Gegenstände des strengen Nachdenkens, bloß fremden Einsichten oder Vorurteilen folgt. Denn muss man auch die Sprache und den Ton solcher Zeiten annehmen; denken und sprechen, nicht, wie die albern und ungesitteten, sondern wie die verständigen und gesitteten Menschen damals gedacht und gesprochen haben.

  Wenn dieses alles bei der Romanze getroffen ist, so kann sie großes Vergnügen machen und bis zu Thränen rühren. Es geht uns alsdenn, wie noch jetzt, wenn wir uns unter einfältigen und nur in der Schule der Natur erzogenen, sonst nicht übel gearteten Menschen finden, an deren Vergnügen und Leid, wir oft herzlichen Anteil nehmen.

  Unsere Dichter haben sich angewöhnt der Romanze einen scherzhaften Ton zu geben und sie ironisch zu machen. Mich dünkt, dass dieses dem wahren Charak ter der Romanze gradeentgegen sei. Eine scherzhafte Erzählung im lyrischen Ton, ist noch keine Romanze.

 Über den Gesang der Romanze hat Rousseau alles gesagt, was man dem Tonsetzer darüber sagen kann; daher ich nichts bessers tun kann als ihn zu übersetzen.

 »Weil die Romanze in einer einfachen, rührenden Schreibart geschrieben und von etwas altvätern Geschmack sein muss; so muss auch der Gesang diesen Charakter haben; nichts von Zierraten, nichts von Manieren, eine gefällige, natürliche, ländliche Melodie, die durch sich selbst, ohne die Kunst des Vortrages ihre Wirkung tue. Der Gesang darf nicht hervorstechend sein, wenn er nur naiv ist, die Worte nicht verdunkelt, sie sehr vernehmlich vorträgt und keinen großen Umfang der Stimm erfordert.

  »Eine wohl gesetzte Romanze, rührt, da sie gar nichts vorzügliches hat das schnell reizt, nicht gleich; aber jede Strophe verstärkt den Eindruck der vorhergehenden; das Interesse nimmt unvermerkt zu und bisweilen ist man bis zum Thränen gerührt, ohne sagen zu können, wo diese Kraft liegt. Es ist eine gewisse Erfahrung, dass jedes den Gesang begleitende Instrument diese Wirkung schwächet.«1

 Ob die hier angeführte Erfahrung so völlig gewiss sei, kann ich nicht sagen; aber ich habe Romanzen von einer Mandolin begleitet gehört, die bei mir volle Wirkung taten.

 

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1 Dict. de Musique Art. Romance.

 


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