Melodie. (Musik) Die Folge der Töne, die den Gesang eines Tonstücks ausmachen, insofern er von der ihn begleitenden Harmonie unterschieden ist. Sie ist das Wesentliche des Tonstücks; die begleitenden Stimmen dienen ihr bloß zur Unterstützung. Die Musik hat den Gesang als ihr eigentliches Werk, zu ihrem Ziehl und alle Künste der Harmonie haben bloß den schönen Gesang zum letzten Endzweck. Darum ist es eine eitele Frage, ob in einem Tonstück die Melodie oder die Harmonie das vornehmste sei: Ohne Zweifel ist das Mittel dem Endzweck untergeordnet.
Wichtiger ist es für den Tonsetzer, dass er die wesentlichen Eigenschaften einer guten Melodie beständig vor Augen habe und den Mitteln, wodurch sie zu erreichen sind, insofern sie von der Kunst abhangen, fleißig nachdenke. Da dieses Werk nicht bloß für den Künstler, sondern vornehmlich für den philosophischen Liebhaber geschrieben ist, der sich nicht begnügt zu fühlen, was für Eigenschaften jedes Werk der Kunst in seiner Art haben müsse, sondern die Gründe der Sachen, so weit es möglich ist, sie zu erkennen, wissen will; so ist nötig, dass wir hier die verschiedenen Eigenschaften des Gesangs oder der Melodie aus ihrem Wesen herleiten.
Es ist bereits in einem anderen Artikel (S. Gesang) gezeigt worden und wird in der Folge noch deutlicher entwi kelt werden2, wie der Gesang aus der Fülle einer angenehmen leidenschaftlichen Empfindung, der man mit Lust nachhängt, entsteht. Der natürliche, unüberlegte und ungekünstelte Gesang ist eine Folge leidenschaftlicher Töne, deren jeder für sich schon das Gepräg der Empfindung, die ihn hervorbringt, hat. Die Kunst ahmet diese Äußerung der Leidenschaft auch durch Töne nach, die einzeln völlig gleichgültig sind und nichts von Empfindung anzeigen. Es wird Niemand sagen können, dass er bei Anschlagung eines einzelnen Tones der Orgel oder des Klavieres etwas leidenschaftliches empfinde und doch kann aus solchen unbedeutenden Tönen ein das Herz stark angreifender Gesang zusammengesetzt werden. Es ist wohl einer Untersuchung wert, wie dieses zugehe.
Die Musik bedient sich zwar auch leidenschaftlicher Töne, die an sich, ohne die Kunst des Tonsetzers, schmerzhaft, traurig, zärtlich oder freudig sind. Aber sie entstehen durch die Kunst des Sängers und gehören zum Vortrag; hier, wo von Verfertigung einer guten Melodie die Rede ist, kommen sie nicht in Betrachtung als insofern der Tonsetzer dem Sänger oder Spieler einen Wink geben kann, wie er die vorgeschriebenen Töne leidenschaftlich vortragen soll.
Das Wesen der Melodie besteht in dem Ausdruck. Sie muss allemal irgend eine leidenschaftliche Empfindung oder eine Laune schildern. Jeder, der sie hört muss sich einbilden er höre die Sprache eines Menschen, der von einer gewissen Empfindung durchdrungen, sie dadurch an den Tag legt. In so fern sie aber ein Werk der Kunst und des Geschmacks ist, muss diese leidenschaftliche Rede, wie jedes andere Werk der Kunst ein Ganzes ausmachen, darin Einheit mit Mannigfaltigkeit verbunden ist; dieses Ganze muss eine gefällige Form haben und sowohl überhaupt als in einzelnen Teilen so beschaffen sein, dass das Ohr des Zuhörers beständig zur Aufmerksamkeit gereizt werde und ohne Anstoß, ohne Zerstreuung, den Eindrücken, die es empfängt, sich mit Lust überlasse. Jeder Gesang, der diese doppelte Eigenschaft hat, ist gut; der, dem sie im Ganzen fehlen, ist völlig schlecht und der, dem sie in einzelnen Teilen fehlen, ist fehlerhaft. Hieraus nun müssen die verschiedenen besonderen Eigenschaften der Melodie bestimmt werden.
Zuerst ist es schlechterdings notwendig, dass ein Hauptton darin herrsche, der durch eine gute, dem Ausdruck angemessene Modulation seine verschiedenen Schattierungen bekomme. Zweitens muss ein vernehmliches Metrum, eine richtige und wohl abgemessene Einteilung in kleinere und größere Glieder sich darin zeigen. Drittens muss durchaus Wahrheit des Ausdrucks, bemerkt werden. Viertens muss jeder einzelne Ton und jedes Glied, nach Beschaffenheit des Inhalts, leicht und vernehmlich sein. Ist die Melodie für Worte oder einen so genannten Text bestimmt, so muss noch fünftens die Eigenschaft hinzukommen, dass alles mit der richtigsten Deklamation der Worte und mit den verschiedenen Gliedern des Textes übereinstimme. Jeder Artikel verdient eine nähere Betrachtung.
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