Musik - Geschichte der Musik. Antike


Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Musik die älteste aller schönen Künste sei: sie ist mehr als irgend eine andere, ein unmittelbares Werk der Natur. Darum treffen wir sie auch bei allen Völkern und bei solchen, die sonst von keiner anderen Kunst etwas wissen, an. Es wäre also ein einfältiges Unternehmen, in der Geschichte oder in dem Nebel der Fabeln ihre Erfindung aufzusuchen. Jedes Volk kann sich rühmen sie erfunden zu haben. Aber angenehm würde es sein, die völlige Geschichte von ihrem allmählichen Wachstum zu haben. Es ist aber nicht daran zu denken, dass diese Geschichte auch nur einigermaßen könnte gegeben werden. Denn die Nachrichten der Griechen, die einzige Quelle, woraus man schöpfen könnte, wenn sie weniger trüb wäre, sind gar sehr unzuverlässig.

Ohne Zweifel hatte man schon seit langer Zeit sehr schöne Gesänge gehabt, ehe es irgend einem Mann von spekulativem Genie eingefallen war, die Tonleiter, woraus die Töne derselben genommen worden, durch Regeln oder Verhältnisse zu bestimmen und feste zu setzen. Es ist vergeblich, zu untersuchen, wie die Griechen auf ihren verschiedenen Tonleitern gekommen sind und woher die dreierlei Gattungen derselben, die enharmonische, chromatische und diatonische entstanden seien. Die Empfindung allein bildete die ersten Gesänge in den Kehlen empfindsamer Menschen. Diese waren nach dem mehr oder weniger lebhaften Charakter des Sängers, nach der Stärke der Empfindung und dem Grad der Feinheit oder Beugsamkeit der Werkzeuge der Stimme, in einem raueren oder sanftern Ton, in größeren oder kleineren Intervallen. Andere dadurch gerührt, versuchten auch zu singen und ahmten dem ersten nach oder fielen wegen der Übereinstimmung der Charaktere, auf dieselben Tonarten, an welche sich allmählich das Ohr derer, die ihnen zuhörten, gewöhnte. Daher kam es, dass von den verschiedenen griechischen Stämmen, jeder seine eigene Modulation hatte und dass Tonleitern von verschiedenen Gattungen eingeführt wurden. Erst lange danach wurden sie festgesetzt und durch Berechnung ihrer Verhältnisse genau bestimmt. Der würde sehr irren, der die sogenannten Genera und Modus der Griechen, für Werke des Nachdenkens und einer methodischen Erfindung hielte. Wollte man noch mehr natürliche Tonleiter und Arten zu modulieren haben als uns jetzt bekannt sind, so dürfte man sich nur die Gesänge der zahlreichen asiatischen Völker bekannt machen, die noch keine geschriebene Musik haben. Es ist höchst wahrscheinlich, dass sie nach keiner uns bekannten Tonleiter gehen; obgleich bisweilen Reisende uns solche Gesänge nach unserem diatonischen Geschlecht aufgeschrieben haben. Dann schon in Spanien, in dem mittäglichen Frankreich, in Italien und an den Grenzen der Walachei, hört man, wie ich von kunstverständigen Männern von feinem Gehör versichert worden, Gesänge die nach keiner unserer Tonleitern können geschrieben werden.

Die Erfindung der Abmessung der Töne durch Zahlen, schreiben die Griechen allgemein dem Pythagoras zu; die Umstände, die man davon erzählt, sind bekannt: andere erzählen mit noch wahrscheinlichern Umständen etwas ähnliches von dem Künstler Glaucus. Ein gewisser Hippasis soll vier gleichgroße in der Dicke ungleiche eherne Teller gedrechselt haben, deren harmonischen Wohlklang Glaucus zuerst soll bemerkt und in ihren Ursachen untersucht haben [Zenob. paroem. Cent. II. 91.].

Über die eigentliche Beschaffenheit der griechischen Musik sind von den Neueren erstaunlich viele Untersuchungen angestellt worden, aus denen allen eben kein helles Licht hervorgekommen ist. Man findet in den griechischen Schriftstellern, die besonders über die Musik geschrieben haben, nicht nur an verschiedenen Stellen undurchdringliche Finsternis, sondern auch ganz offenbare Widersprüche. Wir wollen uns also bei dieser Materie nicht vergeblich aufhalten: wer begierig ist, sie näher zu untersuchen, den verweisen wir auf die alten Schriftsteller über die Theorie der Musik, die Meibom in einer Sammlung herausgegeben hat, auf den Claudius Ptolomäus und auf die Abhandlungen verschiedener Gelehrten, welche in der Sammlung der Schriften der französischen Akademie der schönen Wissenschaften verschiedentlich zerstreut angetroffen werden. Vor nicht gar langer Zeit hatte der Pater Gerbert damals Bibliothekarius des Benediktiner Klosters zu St. Bläsi, eine Reise in der Absicht Entdeckungen über die Geschichte der Musik zu machen, unternommen. Er schrieb im Jahr 1763 aus Wien an jemand hiervon folgendes: Scias me-utile admodum iter suscipere pro historia Musicæ præsertim græcæ, repertis nonnullis auctoribus ineditis ac speciminibus notarum musicarum per duodecim sœcula continua serie, genere quodam Palæographiæ. Ob wir daher etwas Zuverlässigeres als man bis jetzt gehabt, zu erwarten haben, steht dahin.

Nach einer Tradition, die durch eine lange Reihe von Jahrhunderten bis auf uns gekommen ist, haben wir in den noch jetzt gebräuchlichen Kirchentonarten, die meisten Modos Musicos der Griechen. Wenn man das, was die Alten von dem Charakter dieser Tonarten sagen, mit dem vergleicht, was noch jetzt ein geübtes Ohr dabei empfindet, so ist es nicht ohne Wahrscheinlichkeit, dass die Sache wirklich so sei. Ob aber einige in Schriften aufbehaltene Gesänge der Alten, die man glaubt entziffert zu haben, jetzt noch so können gesungen werden, wie sie ehemals wirklich gesungen worden, daran finde ich Gründe genug zu zweifeln. Dass aber einige noch jetzt in katholischen Kirchen übliche Gesänge ein hohes Alter von tausend Jahren und darüber haben, ist nicht unwahrscheinlich.

Bei allen diesen Ungewissheiten hat man kein Recht zu zweifeln, dass die alten Griechen, die die anderen schönen Künste auf einen so hohen Grad der Vollkommenheit gebracht haben, nicht auch diese in ihrer vollen Stärke und Schönheit sollten besessen haben; besonders, da sie so große Liebhaber des Gesangs waren. Freilich mögen die griechischen Gesänge eben so sehr von den heutigen unterschieden gewesen sein als Homers Epopöen oder Pindars Oden von den heutigen Heldengedichten und Oden verschieden sind. Ob aber unsere Art jener vorzuziehen sei, ist eine andere Frage.

Gewiss ist dieses, dass die Gesänge der Alten weit einfacher gewesen sind als unsere Opernarien und aller Wahrscheinlichkeit nach, haben die Alten die vielstimmige Musik, da eine Hauptstimme bloß der Harmonie halber von anderen Stimmen begleitet wird, nicht gekannt, noch weniger die Gesänge, die aus vielen wirklich singenden Stimmen bestehen, wie unsere vierstimmigen Choräle sind.

Dass wir durch Einführung der begleitenden Harmonie viel gewonnen haben, scheint Rousseau ohne guten Grund zu leugnen. Wenn nur das Rauschen der Harmonie den Gesang nicht verdunkelt, so dient sie ungemein den Charakter und Ausdruck eines Stücks zu verstärken. Aber unsere Koloraturen, Passagen, Kadenzen und viele Lieblingsgänge unserer künstlichen Sänger und Spieler, würde der Grieche aus der guten Zeit sicherlich verachtet haben, wenn er sie auch gehört hätte.

Freilich klagen auch schon einige spätere Schriftsteller unter den Alten, über den Verfall ihrer Musik, den Üppigkeit und bloße Wollust des Gehörs sollen verursacht haben. Was von der Beredsamkeit angemerkt worden, dass sie allmählich gesunken sei, nachdem man nicht mehr aus wirklicher Notwendigkeit zu überreden, sondern, aus Nachahmung und in der Absicht für einen schönen Geist gehalten zu werden, mehr schöne als nachdrückliche Reden gemacht hat, kann auch auf die Musik angewendet werden. Die Begierde bloß zu gefallen, führt notwendig auf tausend Abwege, weil bald jeder Mensch seine eigene Liebhaberei hat: aber der Vorsatz zu rühren, diese oder jene bestimmte Leidenschaft zu erwecken, führt sicher. Denn in jedem besonderen Fall ist nur ein Weg, der mitten in das Herze führt. Wenn der Tonsetzer sich vornimmt ein verliebtes Verlangen oder eine lebhafte Freude oder schmerzhafte Traurigkeit auszudrücken, so weiß er, worauf er zu arbeiten hat.


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