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I. [Analogie: der ästhetische Wert]


Ich will an einem Beispiel, das den ökonomischen Werten ganz fern liegt und gerade deshalb die prinzipielle Seite auch dieser zu verdeutlichen geeignet ist, die allgemeine Bedeutung der Distanzierung für die als objektiv vorgestellte Wertung darstellen: an der ästhetischen. Was wir jetzt die Freude an der Schönheit der Dinge nennen, ist relativ spät entwickelt. Denn wieviel unmittelbar sinnliches Genießen ihr einzelner Fall auch jetzt noch aufweise, so beruht doch das Spezifische ihrer gerade in dem Bewußtsein, die Sache zu würdigen und zu genießen und nicht nur einen Zustand sinnlichen oder übersinnlichen Angeregtseins, den sie uns etwa bereite. Jeder kultivierte Mann wird prinzipiell mit großer Sicherheit zwischen der ästhetischen und der sinnlichen Freude an Frauenschönheit unterscheiden, so wenig er vielleicht der einzelnen Erscheinung gegenüber diese Komponenten seines Gesamtgefühles mag gegeneinander abgrenzen können. In der einen Beziehung geben wir uns dem Objekt, in der anderen gibt sich der Gegenstand uns hin. Mag der ästhetische Wert, wie jeder andere, der Beschaffenheit der Dinge selbst fremd und eine Projektion des Gefühles in sie hinein sein, so ist es ihm doch eigentümlich, daß diese Projektion eine vollkommene ist, d.h. daß der Gefühlsinhalt sozusagen völlig in den Gegenstand hineingeht und als eine dem Subjekt mit eigener Norm gegenüberstehende Bedeutsamkeit erscheint, als etwas, was der Gegenstand ist. Wie mag es nun historisch- psychologisch zu dieser objektiven, ästhetischen Freude an den Dingen gekommen sein, da doch der primitive Genuß ihrer, von dem jeder höhere ausgegangen sein muß, sich sicher nur an ihre subjektiv-unmittelbare Genießbarkeit und Nützlichkeit geknüpft hat? Vielleicht gibt uns eine ganz einfache Beobachtung den Schlüssel dazu. Wenn ein Objekt irgendwelcher Art uns große Freude oder Förderung bereitet hat, so haben wir bei jedem späteren Anblick dieses Objekts ein Freudegefühl, und zwar auch dann, wenn jetzt von einem Benutzen oder Genießen desselben nicht mehr die Rede ist. Diese echoartig anklingende Freude trägt einen ganz eigenen psychologischen Charakter, der dadurch bestimmt ist, daß wir jetzt nichts mehr von dem Gegenstande wollen; an die Stelle der konkreten Beziehung, die uns vorher mit ihm verband, tritt jetzt das bloße Anschauen seiner als die Ursache der angenehmen Empfindung; wir lassen ihn jetzt in seinem Sein unberührt, so daß sich unser Gefühl nur an seine Erscheinung, nicht aber an das knüpft, was von ihm in irgendeinem Sinne konsumierbar ist. Kurz, während uns der Gegenstand früher als Mittel für unsere praktischen oder eudämonistischen Zwecke wertvoll war, ist es jetzt sein bloßes Anschauungsbild, das uns Freude macht, indem wir ihm dabei reservierter, entfernter, ohne ihn zu berühren, gegenüberstehen. Hierin scheinen mir schon die entscheidenden Züge des Ästhetischen präformiert zu sein, wie sich sogleich unverkennbar zeigt, wenn man diese Umsetzung der Empfindungen von dem Individualpsychologischen in die Gattungsentwicklung hineinverfolgt. Man hat die Schönheit schon längst aus der Nützlichkeit ableiten wollen, ist aber in der Regel, weil man beides zu nahe aneinander ließ, in einer banausischen Vergröberung des Schönen stecken geblieben. Diese läßt sich vermeiden, wenn man die äußerlichen Zweckmäßigkeiten und sinnlich- eudämonistischen Unmittelbarkeiten nur weit genug in die Geschichte der Gattung zurückschiebt, derart, daß sich an das Bild dieser Dinge innerhalb unseres Organismus ein Instinkt- oder reflexartiges Lustgefühl geknüpft hat, das nun in dem Einzelnen, auf den diese physisch-psychische Verbindung vererbt ist, wirksam wird, auch ohne daß eine Nützlichkeit des Gegenstandes für ihn selbst ihm bewußt wäre oder bestünde. Auf die Kontroverse über die Vererbung derartig erworbener Verbindungen brauche ich nicht einzugehen, da es für unseren Zusammenhang genügt, daß die Erscheinungen so verlaufen, als ob erworbene Eigenschaften erzieh wären. So wäre schön für uns zunächst einmal dasjenige, was sich als der Gattung nützlich erwiesen hat, und dessen Wahrnehmung uns deshalb Lust bereitet, ohne daß wir als Individuen ein konkretes Interesse an diesem Objekt hätten - was natürlich weder Uniformität noch Fesselung des individuellen Geschmacks an ein Durchschnitts- oder Gattungsniveau bedeutet. Jene Nachklänge der generellen Nützlichkeit werden von den ganzen Mannigfaltigkeiten der individuellen Seelen aufgenommen und zu völlig unpräjudizierten Besonderheiten weitergebildet - so daß man vielleicht sagen könnte, jene Lösung des Lustgefühles von der Realität seiner ursprünglichen Veranlassung wäre schließlich zu einer Form unseres Bewußtseins geworden, unabhängig von den ersten Inhalten, die ihre Bildung veranlaßten, und bereit, jegliche andere in sich aufzunehmen, die die seelische Konstellation in sie hineinwachsen läßt. In Fällen, wo wir zu einer realistischen Lust noch Veranlassung haben, ist unser Gefühl dem Dinge gegenüber nicht das spezifisch ästhetische, sondern ein konkretes, das erst durch eine gewisse Distanzierung, Abstraktion, Sublimierung die Metamorphose zu jenem erfährt. Es ereignet sich hier nur das sehr Häufige, daß, nachdem einmal eine bestimmte Verbindung gestiftet ist, das verbindende Element in Wegfall kommt, weil seine Dienste nicht länger erforderlich sind. Die Verbindung zwischen gewissen nützlichen Objekten und Lustgefühlen ist in der Gattung durch einen vererbbaren oder sonst irgendwie tradierten Mechanismus so fest geworden, daß nun schon der bloße Anblick dieser Objekte, auch ohne daß wir ihre Nützlichkeit genössen, für uns zur Lust wird. Daraus erklärt sich das, was Kant die ästhetische Interesselosigkeit pennt, die Gleichgültigkeit gegen die reale Existenz des Gegenstandes, wenn nur seine »Form«, d.h. seine Sichtbarkeit gegeben ist; daher jene Verklärung und Überirdischkeit des Schönen - diese ist durch die zeitliche Ferne der realen Motive bewirkt, aus denen wir jetzt ästhetisch empfinden; daher die Vorstellung, das Schöne sei etwas Typisches, Überindividuelles, Allgemeingültiges - denn die gattungsmäßige Entwicklung hat alles Spezifische, bloß Individuelle der einzelnen Motive und Erfahrungen längst aus diesen inneren Bewegungen hinweggeläutert; daher die häufige Unmöglichkeit, das ästhetische Urteil verstandesmäßig zu begründen, und der Gegensatz, in den es sich manchmal gerade zu dem setzt, was uns als Individuen nützlich oder angenehm ist. Diese ganze Entwicklung der Dinge nun von ihrem Nützlichkeitswert zu ihrem Schönheitswert ist ein Objektivationsprozeß. Indem ich das Ding schön nenne, ist seine Qualität und Bedeutung in ganz anderer Weise von den Dispositionen und Bedürfnissen des Subjekts unabhängig, als wenn es bloß nützlich ist. Solange die Dinge nur dies sind, sind sie fungibel, d.h. jedes andere, das denselben Erfolg hat, kann jedes ersetzen. Sobald sie schön sind, bekommen sie individuelles Fürsichsein, so daß der Wert, den eines für uns hat, durchaus nicht durch ein anderes zu ersetzen ist, das etwa in seiner Art ebenso schön ist. Wir brauchen die Genesis des Ästhetischen nicht aus diesen dürftigen Andeutungen in die Fülle ihrer Ausgestaltungen zu verfolgen, um zu erkennen: die Objektivierung des Wertes entsteht in dem Verhältnis der Distanz, die sich zwischen dem subjektiv- unmittelbaren Ursprung der Wertung des Objekts und unserem momentanen Empfinden seiner bildet. Je weiter die Nützlichkeit für die Gattung, die zuerst an den Gegenstand ein Interesse und einen Wert knüpfen ließ, zeitlich zurückliegt und als solche vergessen ist, desto reiner ist die ästhetische Freude an der bloßen Form und Anschauung des Objekts, d.h. desto mehr steht es uns mit eigener Würde gegenüber, desto mehr geben wir ihm eine Bedeutung, die nicht in seinem zufälligen subjektiven Genossenwerden aufgeht, desto mehr macht die Beziehung, in der wir die Dinge nur als Mittel für uns werten, dem Gefühle ihres selbständigen Wertes Platz.


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