III. [Die Objektivität der Wahrheit wie die des Wertes als Relation subjektiver Elemente]
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Diese Gegenseitigkeit, in der sich die inneren Erkenntniselemente die Bedeutung der Wahrheit gewähren, scheint als Ganzes von einer weiteren Relativität getragen zu werden, die zwischen den theoretischen und den praktischen Interessen unseres Lebens besteht. Wir sind überzeugt, daß alle Vorstellungen vom Seienden Funktionen besonderer physisch - psychischer Organisation sind, die dasselbe keineswegs mechanisch abspiegeln. Vielmehr, die Weltbilder des Insekts mit seinen Facettenaugen, des Adlers mit seinem Sehvermögen von einer uns kaum vorstellbaren Schärfe, des Grottenolms mit seinen zurückgebildeten Augen, unser eigenes, sowie die unzähligen anderen müssen durchaus von tiefgehender Verschiedenheit sein, woraus unmittelbar zu schließen ist, daß keines derselben den außerpsychischen Weltinhalt in seiner an sich seienden Objektivität nachzeichnet. Die so wenigstens negativ charakterisierten Vorstellungen sind nun aber Voraussetzung, Material, Direktive für unser praktisches Handeln, durch das wir uns mit der Welt, wie sie relativ unabhängig von unserem subjektiv bestimmten Vorstellen besteht, in Verbindung setzen: wir erwarten von ihr bestimmte Rückwirkungen auf unsere Einwirkungen und sie leistet uns dieselben auch, wenigstens im großen und ganzen, in der richtigen, d.h. uns nützlichen Weise, wie sie eben solche auch den Tieren leistet, deren Verhalten durch völlig abweichende Bilder von eben derselben Welt bestimmt wird. Dies ist doch eine höchst auffallende Tatsache: Handlungen auf Grund von Vorstellungen vorgenommen, die mit dem objektiv Seienden sicherlich keinerlei Gleichheit besitzen, erzielen aus diesem dennoch Erfolge von einer solchen Berechenbarkeit, Zweckmäßigkeit, Treffsicherheit, daß sie bei einer Kenntnis jener objektiven. Verhältnisse, wie sie an sich wären, nicht größer sein könnten, während andere Handlungen, nämlich die auf »falsche« Vorstellungen hin erfolgenden, in lauter reale Schädigungen für uns auslaufen. Und ebenso sehen wir, daß auch die Tiere Täuschungen und korrigierbaren Irrtümern unterliegen. Was kann nun die »Wahrheit« bedeuten, die für diese und uns inhaltlich eine ganz verschiedene ist, außerdem sich mit der objektiven Wirklichkeit gar nicht deckt, und dennoch so sicher zu erwünschten Handlungsfolgen führt, als ob dies letztere der Fall wäre? Das scheint mir nur durch die folgende Annahme erklärbar. Die Verschiedenheit der Organisation fordert, daß jede Art, um sich zu erhalten und ihre wesentlichen Lebenszwecke zu erreichen, sich auf eine besondere, von den ändern abweichende Art praktisch verhalten muß. Ob eine Handlung, die von einem Vorstellungsgebilde geleitet und bestimmt wird, für den Handelnden nützliche Folgen hat, ist also noch keineswegs nach dem Inhalte dieser Vorstellung zu entscheiden, mag er sich nun mit der absoluten Objektivität decken oder nicht. Das wird vielmehr einzig davon abhängen, zu welchem Erfolg diese Vorstellung als realer Vorgang innerhalb des Organismus, im Zusammenwirken mit den übrigen physisch- psychischen Kräften und in Hinsicht auf die besonderen Lebenserfordernisse jenes führt. Wenn wir nun vom Menschen sagen, lebenerhaltend und fördernd handle er nur auf Grund wahrer Vorstellungen, zerstörerisch aber auf Grund falscher - was soll diese »Wahrheit«, die für jede mit Bewußtsein ausgestattete Art eine inhaltlich andere und für keine ein Spiegelbild der Dinge an sich ist, ihrem Wesen nach anderes bedeuten, als eben diejenige Vorstellung, die im Zusammenhang mit der ganzen speziellen Organisation, ihren Kräften und Bedürfnissen, zu nützlichen Folgen führt? Sie ist ursprünglich nicht nützlich, weil sie wahr ist, sondern umgekehrt: mit dem Ehrennamen des Wahren statten wir diejenigen Vorstellungen aus, die, als reale Kräfte oder Bewegungen in uns wirksam, uns zu nützlichem Verhalten veranlassen. Darum gibt es soviel prinzipiell verschiedene Wahrheiten, wie es prinzipiell verschiedene Organisationen und Lebensanforderungen gibt. Dasjenige Sinnenbild, das für das Insekt Wahrheit ist, wäre es offenbar nicht für den Adler; denn eben dasselbe, auf Grund dessen das Insekt im Zusammenhang seiner inneren und äußeren Konstellationen zweckmäßig handelt, würde den Adler im Zusammenhange der seinigen zu ganz unsinnigen und verderblichen Handlungen bewegen. Diese Erkenntnisse entbehren durchaus nicht der normativen Festigkeit: ja, jedes vorstellende Wesen besitzt eine prinzipiell festgelegte »Wahrheit«, die sein Vorstellen im einzelnen Fall ergreifen und verfehlen kann; das Gravitationsgesetz bleibt »wahr«, ob wir es erkennen oder nicht - trotzdem es für Wesen mit anderer Raumbildung, Denkkategorien, Zahlsystemen nicht wahr wäre. Der für uns »wahre« Vorstellungsinhalt hat die eigentümliche Struktur, zwar von unserem Wesen völlig abhängig - weil mit keinem anders beschaffenen Wesen geteilt - zu sein, in seinem Wahrheitswert dagegen völlig unabhängig von seiner physischen Realisierung. Indem auf der einen Seite das Wesen mit seiner Konstitution und seinen Bedürfnissen, auf der anderen ein objektives Sein gegeben ist, steht ideell fest, was für dieses Wesen Wahrheit ist. Da diese die für das Wesen günstigsten Vorstellungen bedeutet, so findet von ihr aus eine Auslese unter seinen psychologischen Vorgängen statt: die nützlichen fixieren sich auf den gewöhnlichen Wegen der Selektion und bilden in ihrer Gesamtheit die »wahre« Vorstellungswelt. Und tatsächlich haben wir gar kein anderes definitives Kriterium für die Wahrheit einer Vorstellung vom Seienden, als daß die auf sie hin eingeleiteten Handlungen die erwünschten Konsequenzen ergeben. Haben sich nun freilich erst durch die angedeutete Auslese, d.h. durch die Züchtung gewisser Vorstellungsweisen, diese als die dauernd zweckmäßigen gefestigt, so bilden sie unter sich ein Reich des Theoretischen, das für jede neu auftretende Vorstellung nach jetzt inneren Kriterien über Zugehörigkeit oder Entgegengesetztheit zu ihm entscheidet - gerade wie die Sätze der Geometrie sich nach innerer strenger Autonomie aufeinander aufbauen, während die Axiome und die methodischen Normen, nach denen dieser Aufbau und das ganze Gebiet überhaupt möglich ist, selbst nicht geometrisch erweisbar sind. Das Ganze der Geometrie ist also gar nicht in demselben Sinne gültig, in dem ihre einzelnen Sätze es sind; während diese innerhalb ihrer, einer durch den anderen, beweisbar sind, gilt jenes Ganze nur durch Beziehung auf ein außerhalb ihrer Gelegenes: auf die Natur des Raumes, auf die Art unserer Anschauung, auf den Zwang unserer Denknormen. So können sich zwar unsere einzelnen Erkenntnisse gegenseitig tragen, indem die einmal festgestellten Normen und Tatsachen zum Beweise für andere werden, aber das Ganze derselben hat seine Gültigkeit nur in Beziehung auf bestimmte physisch-psychische Organisationen, Ihre Lebensbedingungen und die Förderlichkeit ihres Handelns.
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