III. [Die Objektivität der Wahrheit wie die des Wertes als Relation subjektiver Elemente]
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Die großen erkenntnistheoretischen Prinzipien leiden durchgehends an der Schwierigkeit, daß sie, insoweit sie doch selbst schon Erkenntnisse sind, ihren eigenen Inhalt dem Urteil, das sie über Erkenntnis überhaupt fällen, unterordnen müssen und dabei entweder ins Leere fallen oder sich selbst aufheben. Der Dogmatismus mag die Sicherheit des Erkennens auf ein Kriterium wie auf einen Felsen gründen - worauf aber ruht der Felsen? Daß das Erkennen überhaupt der Sicherheit fähig ist, muß es schon voraussetzen, um diese Fähigkeit aus jenem Kriterium herzuleiten. Die Behauptung von der Sicherheit der Erkenntnis hat die Sicherheit der Erkenntnis zu ihrer Voraussetzung. Ganz entsprechend mag der Skeptizismus die Unsicherheit und Täuschungschance jedes Erkennens in ihrer prinzipiellen Unwiderleglichkeit hinstellen oder sogar die Unmöglichkeit einer Wahrheit, den inneren Widerspruch ihres Begriffes behaupten: diesem Resultate des Denkens über das Denken muß es doch auch dieses, das skeptische Denken selbst, unterordnen. Hier ist wirklich der verderbliche Zirkel gegeben: wenn alles Erkennen trügerisch ist, so ist es doch auch der Skeptizismus selbst, womit er dann sich selbst aufhebt. Der Kritizismus endlich mag alle Objektivität, alle wesentliche Form der Erkenntnisinhalte aus den Bedingungen der Erfahrung herleiten: daß die Erfahrung selbst etwas Gültiges ist, kann er nicht beweisen. Die Kritik, die er an allem Transszendenten und Transszendentalen übt, ruht auf einer Voraussetzung, gegen die sich die gleiche kritische Frage nicht wenden kann, ohne dem Kritizismus selbst den Boden unter den Füßen wegzuziehen. So scheint hier den Erkenntnisprinzipien eine typische Gefahr zu drohen. Indem das Erkennen sich selbst prüft, wird es in eigener Sache Richter, es bedarf eines Standpunktes, jenseits seiner selbst und steht vor der Wahl, entweder seine Selbsterkenntnis von der Prüfungsnotwendigkeit oder Normierung, die es allen anderen Erkenntnisinhalten auferlegt, zu eximieren und damit einen Angriffspunkt in seinem Rücken zu lassen - oder sich selbst diesen Gesetzen unterzuordnen, den Prozeß selbst den Resultaten, zu denen er selbst erst geführt hat, und damit einen zerstörenden Kreisschluß zu begehen, wie es am klarsten jene Selbstvernichtung des Skeptizismus zeigte. Das relativistische Erkenntnisprinzip allein fordert für sich selbst keine Ausnahme von sich selbst: es wird dadurch nicht zerstört, daß es selbst nur relativ gilt. Denn mag es - historisch, sachlich, psychologisch - nur in Alternierung und Balancierung mit anderen, absolutistischen oder substantialistischen gelten, so ist eben dieses Verhältnis zu seinem eigenen Gegenteil ja selbst ein relativistisches. Die Heuristik, die nur die Folge oder Anwendung des relativistischen Prinzips auf die Erkenntniskategorien ist, kann es sich ohne jeden Widerspruch gefallen lassen, daß sie selbst ein heuristisches Prinzip ist. Die Frage nach dem Grunde des Prinzips, die in dem Bereich des Prinzips selbst nicht einbegriffen sei, wird dem Relativismus nicht verderblich, weil er diesen Grund in das Unendliche hinausschiebt, d.h. alles Absolute, das sich darzubieten scheint, in eine Relation aufzulösen strebt und mit dem Absoluten, das sich als der Grund dieser neuen Relation bietet, wieder ebenso verfährt - ein Prozeß, der seinem Wesen nach keinen Stillstand kennt und dessen Heuristik die Alternative aufhebt: das Absolute zu leugnen oder es anzuerkennen. Denn es ist gleichviel, ob man dies so ausdrückt: es gibt ein Absolutes, aber es kann nur in einem unendlichen Prozeß erfaßt werden, oder: es gibt nur Relationen, aber sie können das Absolute nur in einem unendlichen Prozeß ersetzen. Der Relativismus kann das radikale Zugeständnis machen, daß es dem Geiste allerdings möglich sei, sich jenseits seiner selbst zu stellen. In jenen, nur an einem Gedanken haltmachenden und damit die Relation in ihrer unendlichen Fruchtbarkeit ausschließenden Prinzipien erhob sich der Selbstwiderspruch: daß der Geist über sich selbst richten sollte, daß er seinem definitiven Spruch entweder selbst Untertan war oder sich ihm entzog und beides gleichmäßig ihre Geltung entwurzelte. Der Relativismus aber erkennt ohne weiteres an: über jedem Urteil, das wir fällen, steht ein höheres, das entscheidet, ob jenes recht hat; dieses zweite aber, die logische Instanz, die wir uns selbst gegenüber bilden, bedarf selbst wieder, als ein psychologischer Vorgang angesehen, der Legitimation durch ein höheres, an dem sich derselbe Prozeß wiederholt - sei es ins Unendliche fortschreitend, sei es so, daß die Legitimierung zwischen zwei Urteilsinhalten alternierte oder daß ein und derselbe Inhalt einmal als psychische Wirklichkeit, ein andermal als logische Instanz funktionierte. Diese Ansicht hebt nun auch den anderen Erkenntnisprinzipien gegenüber die Gefahr der Selbstverneinung auf, in die ihre Unterordnung unter sich selbst sie brachte. Es ist nicht richtig, daß, wenn der Skeptizismus die Möglichkeit der Wahrheit leugnet, diese Meinung selbst unwahr sein muß, ebensowenig wie die pessimistische Meinung von der Schlechtigkeit alles Wirklichen den Pessimismus selbst zu einer schlechten Theorie macht. Denn es ist tatsächlich die fundamentale Fähigkeit unseres Geistes, sich selbst zu beurteilen, sein eigenes Gesetz über sich selbst zu stellen. Dies ist nichts als ein Ausdruck oder eine Erweiterung der Urtatsache des Selbstbewußtseins. Unsere Seele besitzt keine substantielle Einheit, sondern nur diejenige, die sich aus der Wechselwirkung des Subjekts und des Objekts ergibt, in welche sie sich selbst teilt. Dies ist nicht eine zufällige Form des Geistes, die auch anders sein könnte, ohne unser Wesentliches zu ändern, sondern ist seine entscheidende Wesensform selbst. Geist haben, heißt nichts anderes als diese innere Trennung vornehmen, sich selbst sich zum Objekt machen, sich selbst wissen zu können. Daß es »kein Subjekt ohne Objekt, kein Objekt ohne Subjekt« gibt, verwirklicht sich zuerst innerhalb der Seele selbst, sie erhebt sich als die wissende über sich selbst, die gewußte, und indem sie dieses Wissen ihrer selbst wiederum weiß, verläuft ihr Leben prinzipiell in einem progressus in infinitum, dessen jeweilig aktuelle Form, gleichsam sein Querschnitt, die Kreisbewegung ist: das seelische Subjekt weiß sich als Objekt und das Objekt als Subjekt. Indem der Relativismus als Erkenntnisprinzip sich mit der Unterordnung unter sich selbst, die so vielen absolutistischen Prinzipien verderblich wird, gerade von vornherein selbst beweist, drückt er nur am reinsten aus, was er auch jenen anderen leistet: die Legitimierung des Geistes, über sich selbst zu urteilen, ohne durch das Ergebnis dieses Urteilsprozesses, wie es auch ausfalle, den Prozeß selbst illusorisch zu machen. Denn dieses Sichjenseits - seiner - selbst - Stellen erscheint jetzt als der Grund alles Geistes, er ist zugleich Subjekt und Objekt, und nur wenn der in sich unendliche Prozeß des Sich-selbst-Wissens, Sich-selbst-Beurteilens an irgendeinem Glied abgeschnitten und dieses als das absolute allen anderen gegenübergestellt wird, wird es zu einem Selbstwiderspruch, daß das Erkennen, das sich in einer bestimmten Weise beurteilt, zugleich, um dieses Urteil fällen zu können, für sich eine Ausnahme von dem Inhalt dieses Urteils beansprucht.
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