III. [Beispielsweise Skizzierung des letzteren in erkenntnistheoretischer Hinsicht: der Aufbau der Beweise ins Unendliche und ihr Umbiegen zu gegenseitiger Legitimierung]
Aber alles dies scheint, selbst wenn es vollkommen durchgeführt wäre, dennoch einen festen Punkt, eine absolute Wahrheit zu ermöglichen, ja, zu fordern. Das Erkennen selbst nämlich, das jene Auflösung vollzieht, scheint sich seinerseits dem Strome der ewigen Entwicklung und der nur vergleichsweisen Bestimmtheit zu entziehen, in die es seine einzelnen Inhalte verweist. Die Auflösung der absoluten Objektivität der Erkenntnisinhalte in Vorstellungsarten, die nur für das menschliche Subjekt gültig seien, setzt doch irgendwo letzte Punkte voraus, die nicht weiter herleitbar sind; der Fluß und die Relativität der psychischen Prozesse dürfe doch diejenigen Voraussetzungen und Normen nicht berühren, nach denen wir erst entscheiden, ob unsere Erkenntnisse denn wirklich diesen oder einen anderen Charakter tragen; die bloß psychologische Herleitung, in die alle absolut objektiven Erkenntnisse aufgelöst werden sollen, bedarf doch bestimmter Axiome, die nicht selbst wieder, ohne fehlerhaften Zirkel, eine bloß psychologische Bedeutung haben dürfen. Dies ist nicht nur ein Punkt von der größten Wichtigkeit für die allgemeine Anschauung der Dinge, auf der sich alles Folgende aufbaut, sondern auch für viele Einzelheiten derselben so vorbildlich, daß er der genaueren Erörterung bedarf.
Zweifellos kann die Wahrheit irgendeines Satzes nur auf Grund von Kriterien erkannt werden, die von vornherein sicher, allgemein und über das Einzelne hinübergreifend sind; diese Kriterien können auf einzelne Gebiete beschränkt sein und ihrerseits ihre Legitimation aus noch höher gelegenen ziehen; so daß eine Reihe von Erkenntnissen übereinandergebaut ist, von denen jede nur unter der Bedingung einer anderen gültig ist. Allein diese Reihe muß, um nicht in der Luft zu schweben, ja eigentlich, um überhaupt möglich zu sein, irgendwo einen letzten Grund haben, eine höchste Instanz, die allen folgenden Gliedern ihre Legitimation gibt, ohne selbst einer solchen zu bedürfen. Dies ist das Schema, in das unser tatsächliches Erkennen sich muß eingliedern lassen, und das alle Bedingtheiten und Relativitäten dieses an ein nicht mehr bedingtes Wissen knüpft. Allein: welches nun diese absolute Erkenntnis sei, können wir niemals wissen. Ihr wirklicher Inhalt ist niemals mit derselben Sicherheit auszumachen, die über ihre prinzipielle, sozusagen formale Existenz besteht, weil der Prozeß der Auflösung in höhere Prinzipien, der Versuch, das bisher letzte doch noch weiter herzuleiten, niemals an seinem Ende anlangen kann. Welchen Satz wir also auch als den letztbegründenden, über der Bedingtheit aller anderen stehenden ausgefunden hätten - die Möglichkeit, auch ihn als bloß relativ und durch einen höheren bedingt zu erkennen, bleibt bestehen; und diese Möglichkeit ist eine positive Aufforderung, da die Geschichte des Wissens sie unzählige Mal verwirklicht hat. Irgendwo freilich mag das Erkennen seine absolute Basis haben; wo es sie aber hat, können wir nie unabänderlich feststellen, und müssen daher, um das Denken nicht dogmatisch abzuschließen, jeden zuletzt erreichten Punkt so behandeln, als ob er der vorletzte wäre.
Das Ganze des Erkennens wird dadurch keineswegs skeptisch gefärbt, wie überhaupt das Mißverständnis, Relativismus und Skeptizismus zu verwechseln, ebenso grob ist wie das an Kant begangene, als man seine Verwandlung von Raum und Zeit in Bedingungen unserer Erfahrung als Skeptizismus denunzierte. Man muß freilich beide Standpunkte so beurteilen, wenn man die je entgegengesetzten von vornherein als das unbedingt richtige Bild des Wirklichen festhält, so daß jede sie verneinende Theorie als Erschütterung »der Wirklichkeit« erscheint. Konstruiert man den Begriff des Relativen so, daß er logisch ein Absolutes fordert, so kann man dieses letztere natürlich nicht ohne Widerspruch beseitigen. Der Fortgang unserer Untersuchung aber wird gerade zeigen, daß es eines Absoluten als begrifflichen Korrelativums zur Relativität der Dinge nicht bedarf; diese Forderung ist vielmehr eine Übertragung von empirischen Verhältnissen - wo allerdings ein »Verhältnis« sich zwischen Elementen erhebt, welche an und für sich jenseits dieses stehen und insoweit »absolut« sind - auf dasjenige, was aller Empirie erst zum Grunde liegt. Wenn für jetzt zugegeben wird, daß unser Erkennen irgendwo eine absolute Norm, eine nur durch sich selbst legitimierte letzte Instanz besitzen mag, der Inhalt derselben aber für unser vorschreitendes Erkennen in fortwährendem Fließen bleiben muß und jeder momentan erreichte auf einen noch tieferen und für seine Aufgabe zulänglicheren hinweist - so ist dies nicht mehr Skeptizismus, als das allgemein Zugegebene: daß zwar alles Naturgeschehen unbedingt ausnahmslosen Gesetzen gehorcht, daß aber dieselben als erkannte fortwährender Korrektur unterliegen und die uns zugängigen Inhalte dieser Gesetzlichkeit immer historisch bedingt sind und jener Absolutheit ihres Allgemeinbegriffs entbehren. So wenig also die letzten Voraussetzungen eines abgeschlossenen Erkennens als nur bedingt, subjektiv oder relativ wahr gelten dürften, so sehr darf und muß es doch jede einzelne, die sich uns momentan als Erfüllung dieser Form anbietet.