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III. [Beispielsweise Skizzierung des letzteren in erkenntnistheoretischer Hinsicht: der Aufbau der Beweise ins Unendliche und ihr Umbiegen zu gegenseitiger Legitimierung]

 

Daß so jede Vorstellung nur im Verhältnis zu einer anderen wahr ist, selbst wenn das ideale, für uns aber im Unendlichen liegende System des Erkennens eine von dieser Bedingtheit gelöste Wahrheit enthalten sollte - das bezeichnet wohl einen Relativismus unseres Verhaltens, der auf anderen Gebieten in analoger Weise gilt. Für die menschlichen Vergesellschaftungen mag es Normen der Praxis geben, die, von einem übermenschlichen Geiste erkannt, das absolute und ewige Recht heißen dürften. Dieses müßte eine juristische causa sui sein, d.h. seine Legitimation in sich selbst tragen, denn sowie es sie von einer höheren Normierung entlehnte, so würde eben diese, und nicht jenes, die absolute, unter allen Umständen gültige Rechtsbestimmung bedeuten. Nun gibt es tatsächlich keinen einzigen Gesetzesinhalt, der den Anspruch auf ewige Unabänderlichkeit erheben könnte, jeder vielmehr hat nur die zeitliche Gültigkeit, die die historischen Umstände und ihr Wechsel ihm lassen. Und diese Gültigkeit bezieht er, falls seine Setzung selbst schon eine legitime und keine willkürliche ist, aus einer schon vorher bestehenden Rechtsnorm, aus der die Beseitigung des alten Rechtsinhaltes mit derselben Legalität fließt, wie sein bisheriges Bestehen. Jede Rechtsverfassung enthält also in sich die Kräfte - und zwar nicht nur die äußerlichen, sondern auch die idealrechtlichen - zu ihrer eigenen Änderung, Ausbreitung oder Aufhebung, so daß z.B. dasjenige Gesetz, das einem Parlamente die Gesetzgebung überträgt, nicht nur die Legitimität eines Gesetzes A bewirkt, das ein von demselben Parlament gegebenes Gesetz B aufhebt, sondern es sogar zu einem rechtlichen Akte macht, wenn das Parlament auf seine Legislation zugunsten einer anderen Instanz verzichtet. Das heißt also, von der anderen Seite gesehen: jedes Gesetz besitzt seine Würde als solches nur durch sein Verhältnis zu einem anderen Gesetz, keines hat sie durch sich selbst. Gerade wie ein neuer, und noch so revolutionärer Inhalt des Erkennens seine Beweisbarkeit für uns doch nur aus den Inhalten, Axiomen und Methoden des bisherigen Erkenntnisstandes ziehen kann, wenngleich eine erste Wahrheit als existierend angenommen werden muß, die nicht bewiesen werden kann, die wir aber in ihrer selbstgenugsamen Sicherheit nie erreichen können - so fehlt uns das in sich selbst ruhende Recht, obgleich dessen Idee über der Reihe der relativen Rechtsbestimmungen schwebt, deren jede auf die Legitimierung durch eine andere angewiesen ist. Freilich hat auch unser Erkennen erste Axiome, die in jedem gegebenen Augenblick für uns nicht mehr beweisbar sind, weil es ohne diese nicht zu den relativen Reihen abgeleiteter Beweise käme; allein jene haben eben doch nicht die logische Dignität des Bewiesenen, sie sind nicht in demselben Sinne für uns wahr, wie dieses es ist, und unser Denken macht an ihnen als letzten Punkten nur so lange Halt, bis es auch über sie zu noch Höherem hinaufkann, das dann das bisher Axiomatische seinerseits beweist. Entsprechend gibt es freilich absolut und relativ vorrechtliche Zustände, in denen ein empirisches Recht aus Gewaltoder anderen Gründen gesetzt wird. Allein das wird eben nicht rechtlich gesetzt; es gilt wohl als Recht, sobald es da ist, aber daß es da ist, ist keine rechtliche Tatsache; es fehlt ihm die Dignität alles dessen, was sich auf ein Gesetz stützt; und es ist tatsächlich das Bestreben jeder Macht, die ein solches rechtloses Recht setzt, irgendeine Legitimierung desselben aufzufinden oder zu fingieren, d.h. es aus einem bereits bestehenden Rechte herzuleiten - gleichsam eine Huldigung an jenes absolute Recht, das jenseits alles relativen steht und von diesem niemals ergriffen werden kann, sondern für uns nur in der Form einer kontinuierlichen Ableitung jeder aktuellen Rechtsbestimmung von einer davorliegenden sein Symbol findet.

Wenn aber auch dieser Rückgang ins Unendliche unser Erkennen nicht in der Bedingtheit festhielte, so würde dies vielleicht einer anderen Form seiner gelingen. Verfolgt man den Beweis eines Satzes in seine Begründungen und diese wieder in die ihrigen usw., so entdeckt man bekanntlich oft, daß der Beweis nur möglich, d.h. seinerseits beweisbar ist, wenn man jenen ersten, durch ihn zu beweisenden Satz, bereits als erwiesen voraussetzt. So sehr dies, für eine bestimmte Deduktion aufgezeigt, sie als einen fehlerhaften Zirkelschluß illusorisch macht, so wenig ist es doch undenkbar, daß unser Erkennen, als Ganzes betrachtet, in dieser Form befangen wäre. Bedenkt man die ungeheuere Zahl übereinandergebauter und sich ins Unendliche verlierender Voraussetzungen, von denen jede inhaltlich bestimmte Erkenntnis abhängt, so scheint es durchaus nicht ausgeschlossen, daß wir den Satz A durch den Satz B beweisen, der Satz B aber, durch die Wahrheit von C, D, E usw. hindurch, schließlich nur durch die Wahrheit von A beweisbar ist. Die Kette der Argumentation C, D, E usw. braucht nur hinreichend lang angenommen zu werden, so daß ihr Zurückkehren zu ihrem Ausgangspunkt sich dem Bewußtsein entzieht, wie die Größe der Erde dem unmittelbaren Blick ihre Kugelgestalt verbirgt und die Illusion erregt, als könnte man auf ihr in gerader Richtung ins Unendliche fortschreiten; und der Zusammenhang, den wir innerhalb unserer Welterkenntnis annehmen: daß wir von jedem Punkte derselben zu jedem anderen durch Beweise hindurch gelangen können - scheint dies plausibel zu machen. Wenn wir nicht ein für allemal dogmatisch an einer Wahrheit haltmachen wollen, die ihrem Wesen nach keines Beweises bedürfe, so liegt es nahe, diese Gegenseitigkeit des Sich-Beweisens für die Grundform des - als vollendet gedachten - Erkennens zu halten. Das Erkennen ist so ein freischwebender Prozeß, dessen Elemente sich gegenseitig ihre Stellung bestimmen, wie die Materienmassen es vermöge der Schwere tun; gleich dieser ist die Wahrheit dann ein Verhältnisbegriff. Daß unser Bild der Welt auf diese Weise »in der Luft schwebt«, ist nur in der Ordnung, da ja unsere Welt selbst es tut. Das ist keine zufällige Koinzidenz der Worte, sondern Hinweisung auf den grundlegenden Zusammenhang. Die unserem Geiste eigene Notwendigkeit, die Wahrheit durch Beweise zu erkennen, verlegt ihre Erkennbarkeit entweder ins Unendliche oder biegt sie zu einem Kreise um, indem ein Satz nur im Verhältnis zu einem anderen, dieser andere aber schließlich nur im Verhältnis zu jenem ersten wahr ist. Das Ganze der Erkenntnis wäre dann so wenig »wahr«, wie das Ganze der Materie schwer ist; nur im Verhältnis der Teile untereinander gälten die Eigenschaften, die man von dem Ganzen nicht ohne Widerspruch aussagen könnte.

 


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