Die häusliche Gemeinschaft


Dabei ist nun festzuhalten, daß von Anfang an nicht das der Familiengemeinschaft mit zugrunde liegende Verwandtschaftsverhältnis das wesentliche Moment sein konnte.

Die häusliche Gemeinschaft der Familie umfaßte an sich schon außer den Angehörigen der Familie noch andere Personen68: auch das häusliche Dienstpersonal galt von alters her als Hausgenosse und seine Handlungen haben für die Familie rechtliche Konsequenzen, auf welche wir gelegentlich noch zurückkommen werden. Für die vermögensrechtliche Seite konnte in der Zeit des beginnenden Großverkehrs nicht die Verwandtschaft an sich Bedeutung gewinnen, sondern die Gemeinschaft des Haushalts, das »stare ad unum panem et vinum«, wie die Quellen sie nennen, welche wesentlich charakterisiert wird durch die damit verknüpfte Gemeinschaft der Arbeit69.

Wer nicht in dem gemeinsamen Hause mit lebt, wird von den Folgen der Gemeinschaft nicht ergriffen, – das geht schon aus der zitierten Stelle der Lombarda hervor und das Constit. Usus von Pisa70 sagt ausdrücklich, daß eine absentia, durch welche ein anderes domicilium begründet werde, die Gemeinschaft aufhebe.

Das gemeinsame Haus in Verbindung mit der darin betriebenen gemeinsamen Erwerbstätigkeit ist also das für die vermögensrechtliche Seite Wesentliche, – und auf diese Seite kommt es uns in erster Linie an.

Der Gang der vermögensrechtlichen Entwicklung ist nun dadurch charakterisiert, daß, wie wir sahen, schon die lex Langobardorum Beschränkungen der unbedingten Vermögensgemeinschaft kennt: gewisse Einnahmen des Genossen fallen nicht in die Gemeinschaft, gewisse Ausgaben muß er sich anrechnen lassen. Mit dieser Anrechnung ist ein nicht unwesentlicher Schritt gemacht. Der Einzelne mußte nun in der Gemeinschaft der Berechnung halber eine Art – wenn auch nicht ein buchmäßiges – Konto erhalten, und fiel einmal nicht mehr aller Erwerb in die Gemeinschaft, so lag die Tendenz zur weiteren Beschränkung nahe.

Aber auch für die juristische Betrachtung ergaben sich wichtige Konsequenzen. Sobald man einmal anfing zu rechnen und gewisse Einnahmen und Ausgaben als speziell einem Einzelnen zugute kommend bzw. seinen Anteil belastend anzusehen71, – und sobald die Gemeinschaft in das eigentliche Geschäftsleben eintrat, war beides unvermeidlich, – mußte sogleich die prinzipielle Frage entstehen, wer von den Beteiligten überhaupt als selbständig anteilsberechtigt zu gelten habe – z.B. ob Haussöhne? –, es mußte überhaupt die Beteiligung des Einzelnen an der Gemeinschaft mehr unter den Begriff des Anteils gedacht werden und die Tendenz haben, sich wie eine Sozietätseinlage zu gestalten. Alsdann aber mußte auch die juristisch folgenreichste Frage zur Entscheidung gelangen: ob sich das Familienvermögen in eine communio mit Quotenrechten der Beteiligten auflösen, oder ob aktiv und passiv eine auch den Anteilsrechten der Genossen gegenüber durchgreifende Einheit des Vermögens gewahrt bleiben würde.

Nach der ersteren Richtung ist am weitgehendsten infolge nordischer Reminiszenzen72 die Auffassung des süditalischsizilianischen Rechts73, wonach das Familienvermögen quotenmäßig unter Vater und Kinder verteilt erscheint, der Vater inter vivos und mortis causa nur ebenso wie jedes Kind über eine bestimmte Quote verfügen kann.

Derartig ist die Rechtsauffassung im übrigen Italien nie gewesen74. Die pekuniäre Bedeutung des Verhältnisses für den Einzelnen trat auch hier naturgemäß mehr in den Vordergrund und deshalb mußte, nachdem die Gemeinschaften als solche im großen Geschäftsleben zu funktionieren begannen, sein Anrecht an dem gemeinsamen Vermögen in wichtigen Beziehungen als Einlage in ein gemeinsames Geschäft qualifiziert werden, – allein ein Zerfall des Familienvermögens in Idealquoten trat nicht in der Weise wie in Süditalien ein; die prinzipielle Einheit des Vermögens blieb gewahrt; die diesen Gemeinschaften eigentümlichen Grundsätze voller Erwerbsgemeinschaft und prinzipiell unbeschränkter Verfügungsmacht aller einzelnen Beteiligten über das gemeinsame Vermögen waren augenscheinlich in hohem Maße geeignet, der Gemeinschaft Aktionsfähigkeit im Geschäftsleben zu verleihen.

Aber eben aus diesem letzteren Grunde liegt keine Veranlassung vor, weshalb wir uns diese Grundsätze als zunächst auf die Familienangehörigen beschränkt zu denken haben sollten. Wie schon hervorgehoben, umfaßte auch die häusliche Gemeinschaft der Familie neben deren Angehörigen noch andere Personen, und da schon die Lombarda nicht wesentlich das verwandtschaftliche Element, sondern das Faktum der häuslichen Gemeinschaft als maßgebend betrachtet, waren die Rechtssätze, welche auf diese Gemeinschaft Anwendung fanden, ebenso anwendbar, wenn die gleichen Grundlagen: gemeinsamer Haushalt und gemeinsamer Erwerb durch Arbeit, unter Nichtverwandten vorhanden waren. Tatsächlich haben auch im mittelalterlichen Recht sich nirgends die Wirkungen der häuslichen Gemeinschaft auf Verwandte beschränkt. Es hat vielmehr auch außerhalb der Familie derartige Gemeinschaftsverhältnisse gegeben und sind diese völlig gleichartig behandelt worden. Und zwar in älterer Zeit zunächst auf dem Boden des Handwerks.


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Seite zuletzt aktualisiert: 18.11.2004 
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