Solidarische Haftung und Kredit


Daß nun die Haftung der Hausgenossen im älteren Recht eine prinzipiell unbeschränkte war, geht schon daraus allgemein hervor, daß die Richtung der statutarischen Rechtsentwicklung andauernd auf Beschränkung dieser Haftung ging. Daß dem so war, lag in den Verhältnissen. Ein volles Einstehen des einen Genossen für den anderen hatte in alter Zeit, bei primitiven Handels- und Kreditverhältnissen, nichts Bedenkliches; die damals vorkommenden Verbindlichkeiten des einzelnen gingen ebenso selbstverständlich zu Lasten der gemeinsamen Kasse, wie etwa heute der Hausvater die Krämer- und Handwerkerrechnungen der Familienglieder mit oder ohne Murren begleicht; die Konsequenz des Lebens auf gemeinsamen Gedeih und Verderb ist eben, daß die Kontrakte eines alle angehen100.

Schwerlich hat, das ist zuzugeben, das Rechtsbewußtsein dabei in älterer Zeit zwischen den beiden prinzipiell verschiedenen Gedanken: Haftung des gemeinsamen Vermögens und Haftung aller Genossen, stets geschieden101. Die Unterscheidung lag fern, solange die Vermögensgemeinschaft eine im wesentlichen vollständige war. Dagegen mußten – und im Verhältnis nach außen noch mehr als unter den socii – Schwierigkeiten entstehen, als mit wachsender Bedeutung des Kredits die Schuldverbindlichkeiten des Einzelnen einen Charakter gewannen, welcher die Haftbarmachung der Genossen für dieselben lediglich auf Grundlage des gemeinsamen Haushalts häufig unbillig erscheinen ließ. Andererseits war gerade die unbedingte Haftung geeignet, die Gemeinschaft im Geschäftsleben, als Kreditbasis, aktionsfähig zu machen.

Diese Kreditwürdigkeit wäre auch bei Beschränkung der Haftung auf den Betrag des Anteils des Einzelnen – ein sonst naheliegender Gedanke – aufgegeben worden. Für die Fälle, in welchen das Interesse des Kredits der Gemeinschaft überwog, mußte also die Haftung festgehalten werden. Wie löste die Rechtsentwicklung dies legislatorische Problem?

Mit dieser Fragestellung gelangen wir endlich zur quellenmäßigen Darstellung. Derselben ist im vorstehenden vielfach vorgegriffen worden, weil der lückenhafte Zustand der Quellen es erforderlich machte, eine allgemeine Grundlage zu schaffen, damit ersichtlich sei, auf welche Fragen es wesentlich ankommt.

Zur Würdigung des Inhalts der Statuten ist erforderlich, außer dem enormen Aufschwung des Handels und der Industrie mit zahlreichen neuen Bedürfnissen de lege ferenda das Umsichgreifen des römischen Rechts zu berücksichtigen. Der letztere Einfluß muß als ein sehr starker gedacht werden; gerade ihm gegenüber suchte das Handelsrecht die älteren, ihm konvenierenden Institute durch statutarische Fixierung zu behaupten.

Für die Art des Eindringens des römischen Rechts liefern die allerdings spärlichen spanischen Quellen den deutlichsten Beweis.

Aus den älteren Ortsstatuten ergibt sich, daß ursprünglich der Gedanke der aus der Familiengemeinschaft folgenden solidarischen Haftung dem spanischen Recht bekannt war.

Das fuero de Daroca von 1142 setzt voraus, daß der Vater für die Schulden seines Sohnes in dubio haftet102; daß dies und die Solidarhaftung von Miterben füreinander in der Tat als Regel angesehen wurde, ergeben indirekt andere103 gleichalterige Quellen.

Noch das fuero de Sta Cristina von 1212104 bezeichnet die Miterben, welche nach kastilischem Recht solidarisch haften105, ebenso wie die italienischen Statuten, als socii.

Diese Ansätze wurden durch den Einbruch des römischen Rechts vollkommen beseitigt.

Schon die Cortes des Valencia von 1250 machen die Haftung des Vaters für den Sohn von seinem Konsens abhängig. Das große Gesetzgebungswerk Alfons' IX. aber, die Siete Partidas, redigiert zwischen 1256 und 1265, machte den Versuch, das römische Recht unverfälscht nach Spanien zu importieren. Es wird übernommen: das Sctum Macedonianum (Part. V I, 6), der Begriff des peculium castrense usw. (2 eod.), die actio exercitoria, institoria, quod jussu (P. V 22, 8), indem die Haftpflicht auf diese Fälle beschränkt wird, das ganze römische Sozietätsrecht inkl. der societas omnium bonorum (mit allen Definitionen der Pandekten über societas leonina, Anrechnung der Auslagen des socius), alles dies ausdrücklich erstreckt auf die »compania que fazen los mercaders y los otros omes para poder gañar algo mas de ligaro ayuntado ssu aver en uno« (P. V t. X). Die Leyes de Recopilacion betonen dann (L. V t. XIII 1. I) noch besonders, daß, abgesehen von besonderer Abmachung, nicht solidarisch, sondern pro rata, gehaftet werde. Mehr fast als irgendwo anders hat hier das römische Recht wirklich durchgegriffen; die späteren Rechtsquellen enthalten nur dürftige Reste106 der älteren Auffassung.

Daß es sich bei diesen »Resten« aber in der Tat um Spuren einer älteren Auffassung, nicht um gewillkürte Abweichungen vom gemeinen Recht handelt, bestätigt die Rechtsentwicklung in Venedig.


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