Haftung im Handelsrecht


Wir haben mithin gesehen: eine Schuld, welche ein socius materiell oder formell für Rechnung resp. namens der Sozietät kontrahiert, macht das Sozietätsvermögen und die einzelnen socii haftbar. Dabei müssen wir uns erinnern, daß wir uns, wenn hier von »societas«, von »im Betriebe der Sozietät« oder »für deren Rechnung« geschlossenen Kontrakten die Rede ist, noch immer nicht auf dem rein handelsrechtlichen Gebiet bewegen.

Wir befinden uns zwar nicht mehr auf dem Gebiet der Haushaltsgemeinschaft, wir haben gesehen, daß die Gewerbe- bzw. Geschäftsgemeinschaft (stacio, bottega) ihr gleichgestellt, teilweise – je nach dem Entwicklungsgrade des statutarischen Rechts – ihr sukzediert ist. Von der Haftung auf Grund dieser Gemeinschaft wurden aber nicht nur die am kommerziellen Betriebe Beteiligten, sondern auch die in der Werkstatt an der Arbeit, also im technischen Betriebe Beschäftigten betroffen, und ferner Selbständige wie Unselbständige. Die spätere Beschränkung auf die selbständigen Genossen fand sich in der zitierten Stelle der Statuten der Mercanzia von Brescia. Die Entwicklung war aber inzwischen auch nach der Seite hin fortgeschritten, daß die von der gewerblichen Arbeit, dem Handwerk, ausgegangene Solidarhaftung ihre hervorragendste Bedeutung im Handel erlangte. Sie begann nun das eigentlich gewerbliche Gebiet auszuscheiden und von den Gewerbegenossen nur die im kommerziellen Betrieb Tätigen, die Handelsgesellschafter, ihren Regeln zu unterstellen. Dieser Schritt ist, wie ich glaube, Gegenstand folgender Stelle der Statuta domus mercatorum von Verona:

1. III c. 85. Item ordinamus, quod quilibet mercator istius civitatis possit habere societatem cum alio de Verona simul et ad invicem, quamvisnon essent de uno et eodem misterio. Et quod illi, qui reperirentur esse socii palam teneantur unus pro alio de illo debito et mercanderia vel de misterio quam et quod fecerint stando simul et permanendoin societate: Quod autem praejudicare non debeat alicui mercatori vel de misterio qui non esset socius palam et non steterit simul in societate et stacione: nec praejudicet etiam stando in stacione et essendo socius palam: dummodo non esset praesens, cum socio, ad accipiendam mercanderiam et non promitteret de solvendo eam.

Also als socii im Sinne des Handelsrechts sollen nur gelten: 1. diejenigen, welche »palam« und »in eadem stacione« ein Geschäft als socii betreiben: damit sind Partizipanten und alle nicht persönlich am Betriebe Beteiligten ausgeschlossen; 2. von diesen wieder aber nur diejenigen, welche an der kommerziellen Seite des Geschäfts, an dem geschäftlichen Auftreten nach außen beteiligt sind: das wollen die Statuten mit dem letzten Satze der zitierten Stelle sagen126. Damit sind die nur in der Werkstatt bei der Produktion, im technischen Betriebe, Beschäftigten ausgeschlossen. Das idem misterium ist, wie die Stelle sagt, irrelevant, das alte Requisit des »eandem artem exercere« weggefallen. Die Solidarhaftung ist von ihrer ursprünglichen Grundlage losgelöst, von dem gemeinsamen Betrieb eines Handwerks auf den gemeinsamen Betrieb eines Handelsgewerbes übergeführt.

Damit ist nun aber auch die Antwort auf die Frage: welche Merkmale entscheiden darüber, ob in casu jemand socius in diesem Sinne, ein Kontrakt ein Geschäft der Sozietät ist? ihrer letzten Wandlung entgegenführt. Solange die gemeinsame bottega und stacio es war, welche das Sozietätsverhältnis ausmachte, war sowohl ein Merkmal für den mithaftenden socius als solchen, als auch für diejenigen Kontrakte, welche als Sozietätskontrakte zu gelten hatten, ohne weiteres gegeben: das Kontrahieren im gemeinsamen Laden. Aber der Handelsverkehr im großen kannte keinen Laden. Die Statuten von Arezzo (loc. cit.) geben daher als Definition nur: »... et intelligantur socii, qui invicem pro talibus se tractant et publice pro sociis habentur ...« und die Stat. domus mercatorum von Verona sprechen in der zitierten Stelle von socii » palam «. Als Merkmal für diejenigen Geschäfte, welche als Sozietätsgeschäfte mit den entsprechenden Rechtsfolgen zu gelten haben, gibt das Statut von Arezzo an: solche, die »pro dicta societate celebrata« sind, und bestimmt ferner:

»et si quis contraxerit nomine alterius praesumatur pecunia fuisse illius cujus nomine contractum fuerit« (Fortsetzung obiger Stelle).

Ebenso entscheiden die Statuten von Modena danach, ob die Geschäfte »pro societate« geschlossen worden waren oder nicht. Also die unter dem Namen der Sozietät geschlossenen Kontrakte belasten die Sozietät. Hier also war der gemeinsame Name der Gesellschaft an die Stelle der gemeinsamen taberna getreten. Es lag nahe, dies Merkmal auch für die Frage, wer als socius zu gelten habe, zu verwerten. Und dies ist geschehen. Wie vor der taberna, dem Geschäftslokal des Kleingewerbetreibenden, der Ladenschild die Namen der Inhaber trug und der dritte Kontrahent im allgemeinen annehmen durfte, daß derjenige, dessen Namen darauf aushing (cujus nomen »expenditur«), zu den socii in unserm Sinn gehörte, so schuf sich der Großhandel in der Firma, dem gemeinsamen Namen der Handelsgesellschafter, sozusagen einen ideellen Ladenschild. Wie nur die nomine societatis geschlossenen Kontrakte Sozietätsgeschäfte sind, so ist nur der persönlich haftender socius, auf dessen Namen die Kontrakte geschlossen werden, der mit in der Firma steht (auch dies heißt noch später, in den Dezisionen Rota Genuensis und den Statuten von Genua von 1588/89 [vgl. den Schluß] »cujus nomen expenditur«). Zwar gibt es für beides noch andere Kriterien: für die Eigenschaft als socius die Eintragung im öffentlichen Register (welches schon seit dem 13. Jahrhundert in zahlreichen Kommunen bestand), – für die Eigenschaft einer Schuld als Sozietätsschuld die Eintragung in die Bücher der Sozietät. Was die Eintragungen im öffentlichen Register anlangt, so ist nicht erwiesen, daß sie ursprünglich dem Zweck dienten, die Inhaber der einzelnen Firmen dem Publikum ersichtlich zu machen127; daß sie später auch dazu benutzt wurden, zu ermitteln, ob jemand socius eines bestehenden Geschäftes war, ist nicht zu bezweifeln128. Die Eintragung in die Bücher der Gesellschaft anlangend, so ist sie allerdings ein sicheres Kennzeichen, allein sie hat die Natur eines Beweismittels: die Nichteintragung einer Sozietätsschuld in die Sozietätsbücher kann dem Gläubiger nicht geschadet haben129. Vor allem aber: sowohl die Eintragung in die öffentlichen Register als die Buchung zu Lasten der Sozietät kommt ganz ebenso auch bezüglich der Kommanditisten130 und bzw. der Schulden des Sozietätsfonds bei der societas maris131 vor. Dagegen das Kontrahieren unter gemeinsamem Namen zu Lasten eines gemeinsam betriebenen Geschäfts kommt nur hier vor, nur bei der offenen Gesellschaft wird der socius des Kontrahierenden behandelt, als hätte er selbst kontrahiert, und deshalb kann nur hier das Geschäft und der einzelne Kontrakt auf seinen Namen gehen. Aus dem »pro societate« Kontrahieren ist, als die »Firma« eine selbständigere Existenz zu gewinnen begann, das Kontrahieren unter dem »usato nome delle compagnia«132, eben der Firma der Sozietät, welche nicht mehr notwendig die Namen aller socii enthielt133, geworden134.

 Dementsprechend drückt sich das Verhältnis der damaligen offenen Handelsgesellschaft nach außen urkundlich darin aus, daß, während der tractator bei der societas maris nichts in Händen hat als seinen Sozietätskontrakt, worin über die Verteilung des Gewinns verfügt und die Reiseroute usw. festgestellt wird, hier der socius, welcher im Ausland für die Sozietät auftritt, Vollmachten besitzt, in welchen ihn seine socii zum »procurator et certus nuntius« bestellen und sich für seine Kontrakte in solidum aufzukommen verpflichten, und daß in Kontrakten unter Bezugnahme auf dies »instrumentum procurae« der Abschluß namens des Kontrahenten und seiner socii erfolgt. Derartige Urkunden sind uns erhalten, in großer Zahl namentlich aus einem der Mittelpunkte des internationalen Verkehrs, dem christlichen Orient135.

Angesichts dieser Urkunden nun erhebt sich für uns eine letzte prinzipielle Frage.

Zur Zeit der Abfassung der hier in Bezug genommenen Urkunden, gegen Ende der Zeit der Kreuzzüge, bestand der Grundsatz der Solidarhaftung allerdings schon zu Recht, – allein die Formulare vererbten sich damals durch Jahrhunderte, und sollte nicht der Gedanke nahe liegen, die gesetzliche solidarische Haftung für den Niederschlag des in den Urkunden usancemäßig enthaltenen Versprechens der Haftung in solidum zu halten und mithin anzunehmen, daß aus der immer wiederkehrenden Solidarhaftsstipulation eine Präsumtion dafür, daß unter socii Haftung in solidum gewollt sei und daraus das entsprechende Gewohnheitsrecht entstanden sei?136 – Es muß zunächst bemerkt werden: daraus, daß Urkunden des früheren Mittelalters eine bestimmte Abmachung enthalten, ergibt sich für die damalige Zeit nicht im entferntesten, daß die betreffende ausdrücklich stipulierte Wirkung des Rechtsverhältnisses nicht auch ohnehin ex lege aus demselben erfolgt sei, im Gegenteil: Diese Naturalia pflegen die damaligen Notariatsinstrumente besonders ausführlich und in deskriptiver Breite zu enthalten137, für die in Bezug genommenen Urkunden lagen überdies mannigfache Veranlassungen vor, die Klausel betreffend die Solidarhaft ausdrücklich aufzunehmen. Es handelte sich hier um internationale Relationen, und wie die Florentiner Zunftstatuten noch des 14. Jahrhunderts, als die Solidarhaftung der socii dort längst als Rechtssatz feststand, im Interesse der Sicherheit des Verkehrs mit dem Ausland, den Sozietäten vorschrieben, ihre auswärtigen Vertreter mit urkundlicher Vollmacht zu versehen, so sprach auch hier das gleiche Bedürfnis für eine derartige Beurkundung zum Zweck der Legitimation. Zu letzterem Zwecke besonders deshalb, weil überseeischer Verkehr in Frage stand, im Seeverkehr aber die Kommenda zu Hause ist und ein reisender »socius« daher in die Lage kam, mangels besonderer Legitimation über seine Berechtigung, die socii solidarisch zu verpflichten, als tractator einer Kommandite angesehen zu werden. Wesentlich aber spricht die angedeutete Eventualität der, wie ich glauben möchte, im Verlauf dieses Kapitels erbrachte Nachweis, daß die Richtung der statutarischen Rechtsbildung nicht, wie man für den Fall einer Entwicklung der Solidarhaft aus Verkehrsusancen annehmen müßte, auf Sicherung und Ausdehnung des Prinzips, sondern auf dessen Beschränkung und Begrenzung auf den Fall des Betriebes eines gemeinsamen Handelsgewerbes geht. Damit ist nicht ausgeschlossen, daß es auch für die statutarische Rechtsentwicklung von Erheblichkeit war, für welche Fälle der Verkehr die Solidarhaft zu stipulieren pflegte, und da die Notariatsurkunden sichtlich unter dem Einfluß der römischen Rechtsauffassung der Jurisprudenz stehen, so kann ihre Fassung in der Tat ein Kanal gewesen sein, durch welchen die Betrachtungsweise der Juristen dem Verkehr und damit der Rechtsbildung näher trat. – Davon kurz im Schlußkapitel. Vorerst soll noch an einigen Rechtsgebieten, für welche das sonst lückenhafte statutarische Material etwas umfangreicher zur Verfügung steht, der Nachweis versucht werden, daß die in den vorstehenden beiden Kapiteln gegebene Schilderung die Prüfung an dem Inhalt derjenigen Rechtsquellen besteht, welche uns die behandelten Institute in umfassender, wenn auch zum Teil lokal gefärbter Gestalt vorführen.


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