Haftung nach römischen Recht


Das venezianische Recht hat neben der Rechtsentwicklung im übrigen Italien seinen eigenen Weg verfolgt, wenig berührt von der Ausbreitung des römischen Rechts, aber eben deshalb auch ohne erheblichen Einfluß auf die gemeinrechtliche Weiterbildung. Die letztere, eben weil unter verschiedenen sich kreuzenden Einwirkungen stehend, bietet keineswegs durchweg ein so einfaches Bild dar, wie wir es in Venedig gewannen.

Den von uns als Ausgangspunkt der Entwicklung angenommenen Satz, daß, wer mit einem anderen in voller Gemeinschaft des gesamten Erwerbslebens in gemeinsamer Haushaltung lebt, sei es als Genosse der Familiengemeinschaft, sei es als socius des Handwerkers und kleinen Geschäftsmannes in der Werkstatt (stacio) oder im Laden (taberna, bottega), welch letztere in alter Zeit mit der Behausung zusammenfielen, für den Genossen als Schuldner mithaftet, finden wir in fast allen Statuten der wichtigeren Binnenstädte enthalten. Von der Gemeinschaft der Familiengenossen handeln folgende Stellen:

Liber civilis urbis Veronae c. 150 (bestimmt die gegenseitige Haftung von Vater und Sohn).

Statuta communis Vissi 1. III c. 19. Statuten von Rom aus dem 14. Jahrhundert (ed. Camillo Re) c. 108: Haftung der fratres dictorum mercatorum campsorum vel qui in communi cum eis vixerint.

Liber tertius causarum civilium communis Bononiae, gedruckt 1491: dem Gutsherrn haften mit dem colonus die mit ihm »in eadem familia vel communione vel societate« Lebenden.

Statuta mercatorum von Cremona von 1388 rubr. 101 bis 126, betreffend die fugitivi: Verhaftet sind patres, fratres, filii ... socii ... et qui cum eis stant ad unum panem et vinum; entsprechend:

Statuta civitatis Cremonae von 1388 rubr. 495. Statuta Massae, gedruckt 1582, 1. III c. 77: Si fratres paternam hereditatem indivisam retinuerint et simul in eadem habitatione et mensa vitam duxerint, so hat jeder ein präsumtives Mandat, namens der Gemeinschaft zu kontrahieren.

Statuta Burgi et Curie S. Georgii vom Jahre 1422: Haftung von Vater und Sohn füreinander.

Statuti della Mercanzia di Brecsia c. 91 bis 107, betreffend fugitivi: die Haftung trifft alle mit ihnen zusammen Lebenden außer diejenigen famuli, welche nicht Partizipanten (commis intéressés) sind.

Statuti e privilegi del Paratico e foro della università de' mercanti di Bergamo c. 89: es haften »filii et fratres qui cum eis stant ad unum panem et vinum et fratres et socii ejusdem negotiationis ipsum negocium exercentes et omnes alii descendentes talium fugitivorum«, ferner c. 92, 93 eod.

Statuti della honoranda Università d'Mercatanti della inclita città di Bologna riformati l'anno 1600 rubr. 60 und fol. 48.

Einige der zitierten Statuten sind noch ungedruckt und nur in Auszügen von Lastig in der mehrfach zitierten Abhandlung publiziert.

Ein Teil dieser Statuten (Massa, Bergamo, Bologna) stellt neben die Haushaltsgemeinschaft die Gemeinschaft derselben stacio, mensa, negociatio, oder spricht von socii neben den Familiengenossen.

Nur auf die stacio und die socii ohne besondere Erwähnung der Familiengemeinschaft beziehen sich folgende Statutenstellen:

Statuta antiqua mercatorum Placentiae aus dem 13. Jahrhundert c. 550: si plures permaneant in una stacione et unus eorum mercatum fecerit ... quod quilibet ipsorum teneatur in totum ... si fuerint socii in illa stacione. Entsprechend Cap. de fugitivis von 1341. Statuta domus mercatorum Veronae III c. 85, die weiter unten noch zu behandelnde Stelle.

Statuta urbis Mutinae a. 1327 reformata 1. III rubr. 22: Haftung der socii; dazu der Zusatz: »et intelligantur socii quantum ad predicta qui in eadem stacione vel negociatione morentur vel mercantur ad invicem.«

Statuti de' Lanajuoli del 1292 von Siena Dist. II c. 22.

Statuti dei Mercanti di Spalato von 1312 (bei Lastig).

Statuti del Corte del 1376 von Lucca (bei Lastig).

Statuten von Arezzo (Ausgabe von 1580) 1. II rubr. 42: Solidarhaftung der socii für nomine societatis geschlossene Kontrakte.

Es haftet grundsätzlich jeder zur Gemeinschaft Gehörige, auch der unselbständige: Haussohn, Geselle, Handlungsgehilfe. Der Grad der Haftung ist bei den letztgenannten Personen allerdings ein verschiedener. Allein es zeigt sich, daß auch bei den famuli und laboratores die Tendenz der Statuten vielmehr auf eine Einschränkung einer früheren unbegrenzten Gleichstellung mit den selbständigen Genossen als in umgekehrter Richtung gegangen ist. So wird den genannten Personen gelegentlich untersagt, Gegenstände, welche dem Hause gehören, ohne Konsens zu verkaufen112, so daß nach den älteren Grundsätzen sie eine weitgehende Legitimation gehabt haben müssen, in einer den Chef bindenden Weise zu verfügen, was eben aus ihrer Stellung als Hausgenossen resultiert sein wird. Wir kommen auf die Stellung der famuli noch bei Florenz kurz zurück. Uns interessiert hier wesentlich die gleichartige Behandlung des Haussohns mit diesen unselbständigen Kräften des Hauses, welche zugleich besonders deutlich den charakteristischen Unterschied gegen das römische Recht zeigt. Letzteres, welches nach Verschwinden des halbmythischen Gentilvermögens nur Individualvermögen kannte, fühlte mit steigender Kreditbedürftigkeit des Verkehrs gleichfalls das Bedürfnis, die Bedeutung einer Verbindlichkeit, welche ein Haussohn übernahm, zu regulieren und, mangels anderer brauchbarer Gesichtspunkte, entnahm es die Grundlagen dafür dem Pekuliarrecht der Unfreien. So ist die einzige wirkliche Sondervermögensbildung, welche, dem dringenden Bedürfnis des Handels entgegenkommend, in der actio tributoria entwickelt wurde, aus dem Gebiet des Sklavenrechts hervorgegangen. Das mittelalterliche Recht stand hier vor der Aufgabe, die Verhältnisse zwar unselbständiger, aber auch privatrechtlich rechtsfähiger Hausgenossen zu regeln. Bei den Haussöhnen ist, wie früher bemerkt, stets der Gedanke einer Mitberechtigung, mehr oder weniger klar, wirksam gewesen, der Haussohn ist ein Genosse wie die anderen auch, nur die hausherrliche Gewalt, nicht ein schrankenloses Alleineigentum des Vaters beschränkt ihn. Die Folge ist nun für die Frage: wie weit der Haussohn, d.h. hier der mit seinem Vater ad unum panem et vinum lebende Sohn, die Familie verpflichten könne? eine bunte Mannigfaltigkeit der Antworten, wobei jedoch nie ganz die Anlehnung an den Gedanken fehlt, daß im Grunde der Haussohn ein Genosse sei wie ein anderer und also auch seine Kontrakte grundsätzlich die gleiche Wirkung haben müßten wie die jedes anderen Genossen113.

Die Hausgemeinschaft ist dabei stets vorausgesetzt: der »filius seorsum a patre habitans« tritt aus diesem Verhältnis heraus. Nur die vor der Trennung der Wirtschaft von Vater oder Sohn gemachten Schulden treffen noch nach der Trennung den anderen Teil114. Das Eindringen des römischen Rechts hat diese Entwicklungen später meist zum jus commune übergeführt. Die Beschränkung der Haftung hatte auch hier bei den größeren, durch carta kontrahierten Schulden Bedürfnis zu werden begonnen115, auf sie paßte der alte Gedanke, daß das Vermögen den Bedürfnissen aller Genossen diene, daher für die Ausgaben und also Schulden aller hafte, nicht, denn hier handelte es sich nicht mehr um Bedürfnisse der einzelnen, sondern um spekulative Tätigkeit von nicht vorherzusehender finanzieller Tragweite. Allein nicht immer wurden die römischrechtlichen Grundsätze verwendet. Es findet sich vielmehr hier noch eine interessante Sonderentwicklung.


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