Die Solidarhaftung der »fratres carnales«
In den älteren Redaktionen findet sich an erster Stelle die Solidarhaft der »fratres carnales« communiter viventes erwähnt und Lastig hat auch hieraus ein – in der Tat nicht unerhebliches – Argument für die Priorität der rein verwandtschaftlichen Gesichtspunkte entnommen. Es ist – um hierauf noch einmal kurz einzugehen – unzweifelhaft, daß die Haftung der Sippschaftsgenossen füreinander, aus gewissen Tatbeständen, das ältere Institut ist, indessen scheint es zu weit zu gehen, deshalb zu schließen, daß die spätere, auf der häuslichen Gemeinschaft beruhende Solidarhaftung aus jener »hervorgegangen« ist. In Florenz ist schon vor der frühesten der von Lastig zitierten Statutenredaktionen die Solidarhaftung der socii anerkannter Grundsatz: Die Custodes nundinarum Campanie et Brie, die Meßpolizeibehörde der Champagnermessen, requirieren 1278 die Behörden von Florenz wegen der Schuld eines gewissen, flüchtiggewordenen Lapo Rustichi mit dem Ersuchen, ihn und »ejus socii« realiter und personaliter zu exequieren176.
Dieselbe Behörde richtet 1300 an die französischen Gerichte das Ersuchen um Vollstreckung der Schuld eines gewissen Guido Pazzi von der Florentiner Sozietät der Scali, welche jener »nomine suo et dictorum sociorum suorum« auf den Champagnermessen kontrahiert habe, »per suorum et dicte societatis venditionem bonorum«177. Im Jahre 1303 remonstriert ein von der Kommune Florenz wegen Nichtzahlung einer Sozietätsschuld bannierter angeblicher Florentiner Bürger hiergegen mit dem Bemerken178, er sei nicht socius gewesen, und behauptet:
»que li livres et l'escripture toute dou dit Francoiz furent venues a Paris ... par la quele escriture il ne fu onques trouvez comme compains ... Item que la coustume de la dite vile de Florence est tel que qui est compains d'aucune compaignie, ses nons est portés au Conses de la vile et autrement il n'est pas tenus compains«.
Die Kompagnie der Scali, von deren Sturz Villani zum Jahre 1326 berichtet, bestand in der Weise, wie in diesem Jahre, schon über 100 Jahre, desgleichen bestanden die Sozietäten der Alberti und Peruzzi schon im 13. Jahrhundert in derselben Art wie später.
Wenn also die Statuten noch später die Haftung der fratres carnales an die Spitze stellen, oder ausschließlich erwähnen, so geschieht das wohl a potiori: die Florentiner Sozietäten sind ganz überwiegend Familiensozietäten. Dies mit gutem wirtschaftlichem Grunde: die Achillesferse aller damaligen und auch heutiger Assoziationen inter extraneos ist der Auseinanderfall mit dem Tode eines socius und die Notwendigkeit, alsdann früher oder später – selten ohne schwere Verluste – zu liquidieren. Diese gefährliche Eventualität reduzierte sich bei den auf einer, durch Generationen fortgesetzten, Haushaltungsgemeinschaft beruhenden Familienassoziationen ganz erheblich, der Fortbestand, die Kontinuität des industriellen Vermögens, hatte hier eine feste natürliche Grundlage. Nichtsdestoweniger ist es auch bei den Familiensozietäten die Regel, daß außer den Mitgliedern der den Mittelpunkt bildenden Familie, welche der Gesellschaft den Namen gibt, noch andere Teilhaber vorhanden sind, deren Rechtsstellung dann die gleiche ist, wie die Papiere der Alberti und Peruzzi zweifelsfrei ergeben.